Polnischer Bischofskonferenzvorsitzender: Lügen ist die zweite Wesensart der russischen Diplomatie

24. Mai 2022 in Aktuelles


Erzbischof Stanisław Gądecki, der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, kritisiert Russlandpolitik des Vatikans als 'sehr naiv und utopisch'


Warschau (kath.net)
Erzbischof Stanisław Gądecki, der Vorsitzende der Polnischen katholischen Bischofskonferenz (KEP), hat gegenüber der katholischen polnischen Nachrichtenagentur KAI die Russlandpolitik des Vatikan als "naiv und utopisch" kritisiert. Der Vatikan gehe solle reifer mit Russland umgehen, der Vatikan sei hier zu gutgläubig. Es gäbe keine "ausreichend ernsthafte Reflexion auf der Seite des Vatikan". Gądecki erinnerte daran, dass die Erfahrungen der mittel- und osteuropäischen Länder zeigen, dass Lügen die zweite Wesensart der russischen Diplomatie sei. Die Staaten Mittel- und Osteuropas werden laut dem Vorsitzenden von der vatikanischen Diplomatie hingegen unterschätzt. Kritisch wird von den polnischen Bischöfen auch gesehen, dass der Papst nicht in die Ukraine reisen möchte und lieber Putin in Moskau treffen möchte. Die These, dass die NATO eine Mitverantwortung für Russlands Einmarsch in die Ukraine habe, wird in Polen laut Umfragen mit fast 80 Prozent als falsch eingestuft.

kath.net dokumentiert Auszüge aus dem KAI-Interview in einer eigenen Übersetzung:

KAI: Diese Verbrechen zeigen, dass die Menschheit keine Fortschritte macht. Aber andererseits ist die Ukraine der Ort in Europa, an dem wirklich für Werte gekämpft wird, mit der Überzeugung, dass es sich sogar lohnt, sein Leben für sie zu geben ...

Gądecki: Ich habe den Eindruck, dass die europäische Zivilisation, wenn es um den Bezug zu Werten geht, eine tiefe Krise durchmacht. In der Ukraine ist das anders. Die Menschen sind [hier] bestrebt, für die grundlegendsten Werte zu kämpfen: christlich und europäisch zugleich. Sie zeigen, wie viel wert die Freiheit für sie ist. Diese Werte rangieren höher als das eigene Leben. Eine solche Spezies von Menschen sieht man heute nur noch selten.

KAI: Also, trotz dieser Verbrechen, Todesgruben, Ruinen und dem Meer des Leidens, gibt es Hoffnung aus der Ukraine?

Gądecki: Hoffnung zunächst auf die Wiedergeburt der Ukraine selbst und dann auch auf die Wiedergeburt Europas. Denn obwohl die Ukraine aus wirtschaftlicher Sicht ernsthaft geschwächt wurde, ist sie hinsichtlich ihrer Wertetreue zu einem Vorbild für uns alle geworden. Die Ukrainer sind in dieser Hinsicht einzigartig.

...

KAI: Ein weiteres wichtiges Treffen der Bischöfe in Kiew ist ein Treffen mit dem Erzbischof Paul Gallagher, Staatssekretär für Beziehungen zu den Staaten, Außenminister des Heiligen Stuhls. Ich weiß, dass der Erzbischof sich zur aktuellen Ostpolitik des Vatikans geäußert hat, nachdem er dem Papst kürzlich ein besonderes Statement zu diesem Thema überreicht hat. Worum geht es in diesen Kommentaren? Wurde es erwähnt?

Gądecki: Meiner Meinung nach sollte die Herangehensweise des Vatikans gegenüber Russland reifer werden, da die frühere und die gegenwärtige Herangehensweise als sehr naiv und utopisch erscheint. Natürlich ist das Ziel edel: nämlich Kontakte und Dialog herzustellen, was sich aus der Tatsache ergibt, dass Russland großartig ist und Respekt verdient. Damit einher geht jedoch keine hinreichend ernsthafte Reflexion auf vatikanischer Seite. Für Russland ist der Vatikan zwar eine wichtige Instanz, aber gleichzeitig soll er [der Vatikan] aber gedemütigt werden, wie Putin selbst bereits mehrfach gezeigt hat, indem er absichtlich mehrere Stunden zu spät zum geplanten Treffen mit dem Papst kam. Der Heilige Stuhl sollte verstehen, dass er in seinen Beziehungen zu Russland – gelinde gesagt – vorsichtiger sein sollte, denn aus der Erfahrung der mittel- und osteuropäischen Länder scheint es, dass Lügen zur zweiten Natur der russischen Diplomatie gehören. Andererseits scheinen die Länder Mittel- und Osteuropas von der vatikanischen Diplomatie unterschätzt zu werden. [...].

Foto: (c) Papst empfängt Frauen aus Mariupol


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