Nichts ist schön am Sterben der Volkskirche

25. April 2022 in Kommentar


Endlich hat ein Bischof den Mut, der Volkskirche ihr Ende zu bescheinigen - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Mainz (kath.net)

Endlich hat ein Bischof den Mut, der Volkskirche ihr Ende zu bescheinigen. Im Zuge der Pfarreireformen im Bistum Mainz erklärte Peter Kohlgraf, die Zeit der Volkskirche, in der viele auch emotional groß geworden seien, gehe dem Ende entgegen oder sei bereits an ein Ende gekommen. Die natürlich prompt einsetzende Diskussion, man müsse das Gute aus der Volkskirche doch bewahren, war erwartbar. Nicht weiter überraschend ist die Tatsache, dass der Bischof von Mainz zwar das Ende der Volkskirche verkündet, dieses Ende aber gerade mit volkskirchlichen Mitteln einzuleiten gedenkt. Pastoral mit der Gießkanne. Leider wird auch die Reform im Bistum Mainz in gleicher Weise scheitern, wie bislang alle Bistumsreformen, die sich als volkskirchliche Konservenbüchsen entpuppten.

Bis zum Jahr 2030 soll es im Bistum Mainz noch 46 Pfarreien geben, die aus den jetzt errichteten 46 Pastoralräumen entstehen sollen. Zum einen ist es keine Frage, dass die Personalnot in der Kirche die Bistümer zwingt, ihre Strukturen zu überdenken. Die Pfarrei ist eine historisch gewachsene Unterstruktur des Bistums. Ja nicht einmal das Bistum müsste zwingend territorial umschrieben sein. Es braucht einen Bischof und die Gläubigen, die ihm jurisdiktionell unterstehen. Der Bischof muss in Einheit mit den Bischöfen der Weltkirche sein und natürlich in Einheit mit dem Papst. Auch die territoriale Umschreibung von Bistümern ist historisch gewachsen und keinesfalls in Stein gemeißelt. Sie mag im Allgemeinen sinnvoll sein. Ob sie es immer ist, sei dahingestellt.

Längst gehörten einige deutsche Bistümer, auf deren Territorium es kein nennenswertes katholisches Leben mehr gibt aufgelöst. In den Regionen wäre eine Missionsstruktur mit katholischen Zentren viel angebrachter und würden den Menschen eher gerecht, als ein Pfarrer, der 150 km entfernt wohnt und den man nie zu sehen bekommt. Wer jetzt beim Lesen die Luft scharf durch die Zähne eingezogen hat, hat erkannt, was das Ende der Volkskirche, das Peter Kohlgraf so jovial und mit lockerer Hand verkündet hat, wirklich bedeutet.

Ein ungeschönter Blick auf die sterbende Volkskirche zeigt sich oft, wenn man katholische Traditionen ansieht. Prozessionen sind ein gutes Beispiel. Vielerorts werden eucharistische Prozessionen zu Fronleichnam oder auch auf Grund von Gelöbnissen seit Jahren gepflegt und mit großer Beteiligung, mit beeindruckenden regionalen Traditionen aufrechterhalten, obwohl das Glaubens- und Gebetsleben der Gemeinde längst prekär ist. Eine kleine treue Schar sonntäglicher Messbesucher erlebt einmal im Jahr die gute alte Zeit. Es ist keine Seltenheit, dass bei solchen Traditionsprozessionen ein- bis zweitausend Menschen mitgehen. Kommunale Honoratioren, die man allenfalls im Wahlkampf in der Kirche sieht, gehen ganz vorne mit. Beim TeDeum wackeln dann noch einmal die Kirchenfenster, weil es alle mitsingen können. Hach wie schön! Nun sind aber gerade solche Prozessionen ein Ausdruck von Volksfrömmigkeit.

Unterwegs zeigt sich allerdings die Wirklichkeit des Zustandes der Volksfrömmigkeit sehr viel ungeschönter. Kaum Gesang, keine Beteiligung am Gebet. Es ist ein netter Spaziergang, man trifft Nachbarn und hält ein Pläuschchen, während der Pastor die Monstranz durch die Straße trägt. Was in der Monstranz ist, ist lange vergessen. Einst wusste man es noch, da kniete man sich zum Segen nieder, heute findet sich kaum jemand, der noch ein Kreuzzeichen macht. Vielerorts zeigt sich zunehmend, wie sehr diese Prozessionen zu einer echten Last werden. Pfarrer mit 30 Kirchtürmen in der Pfarrei können definitiv keine 30 Prozessionen gehen. Selbst wenn es in einer solchen Pfarrei samt Pensionären sechs oder sieben Priester gibt, ist es nicht zu bewältigen. Auch die Laien ächzen. Nur wenige, die noch einen Altar aufzubauen bereit sind. Prozessionswege müssen eingerichtet werden, Blumenschmuck besorgt werden. An den Küstern kann nicht alles hängen bleiben.

Mancherorts ist sogar das Fronleichnamsfest inzwischen eher ein Trauermarsch, wenn eine kleine Herde sich durch die Straßen quält, an denen nicht eine Fahne weht und hier und da ein verschlafenes Gesicht verstört aus dem Fenster schaut, wer da mit Blasmusik die Feiertagsruhe stört. Im Gegenzug möchte man nicht in der Haut eines Pfarrers stecken, der das Ende einer Prozession verkündet. Am lautesten schreien die, die seit 20 Jahren nicht mehr mitgehen.

Vielleicht wird es daran deutlich. Die Volkskirche braucht kein Bischof für beendet erklären, auch wenn die Ehrlichkeit von Kohlgraf lobenswert ist. Die Volkskirche stirbt. Ein Sterbeprozess ist schmerzhaft, schmutzig und laut. Nach einem Sterbeprozess bleibt eine Leiche zurück. Ein Sterbeprozess löst Trauer aus. Ein Sterbeprozess hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke. Es Geschrei, Tränen, Wut und Zorn. Es gibt Verzweiflung, weil man gar nicht weiß, wie es weiter gehen soll. Und ja, die Kirche, in die ich mich vor rund vierzig Jahren hineinbekehrt habe, war schon vor sich hin sterbend. Doch es war noch weitaus mehr Leben darin, wenn an einem normalen Sonntag die Kirche mitten in einer Großstadt dreimal voll wurde. Wenn in der Abendmesse am Sonntag zwei bis drei Dutzend junger Menschen in der Kirche war und man dort Freunde und Bekannte traf, mit denen man wirklich Gemeinschaft lebte.

So wie die Kirchen damals in der katholischen Diaspora des Nordens aussahen, wenn der Priester vor der Messe in die Kirche kam, ans Mikrofon trat und fragte, ob jemand Messe dienen könne, ob ein Organist anwesend sei, ob jemand Lektorendienst machen könne. Das ging natürlich nur, wo es Tourismus gab. In anderen Gemeinden erlebte man Sonntagsmessen mit fünf Personen. In den alten katholischen Kernländern, Westfalen, Bayern, Rheinland, Emsland etc. sind wir bald genau da: in der katholischen Diaspora.

Es ist nichts, aber auch wirklich gar nichts schön, am Sterben der Volkskirche, aber wenn wir uns dem nicht stellen, wenn wir die Volkskirche dort, wo sie tot ist, nicht beerdigen und nur weiter und weiter und weiter mit den Mitteln der Volkskirche arbeiten, dann leben wir in einer (nicht selten mit Blattgold überzogenen) Zombiekirche.

Will man die Kirche zum Leben erwecken, dann wären neue Paradigmen zu definieren. Es gehört vielleicht etwas Mut dazu, Dinge platt zu machen, doch was nicht mehr lebt, darf man sterben lassen. Tote Pfarreien auflösen. Was lebt sollte man stärken. Besser einer lebendigen Pfarrei/ Gemeinschaft noch einen Priester dazu geben, als diesen in einer Pastoralkolchose zu verschleißen. Laien stärken heißt nicht, Laien mit Arbeit zuzuschütten oder ihnen Aufgaben zu übertragen, die nicht ihre sind. Laien stärken heißt, Laien zu schulen - auf jeden Fall! - aber auch Laien nicht sakramental verhungern zu lassen.

Katholische Zentren fördern, die sich zwiebelschalenförmig ausbreiten. So geht Mission! Ein fruchtbares Zusammenleben von Klerus und Laien in räumlicher Nähe da ermöglichen, wo es sich anbietet. Gemeinschaften von Laien, die missionarisch sind aber keine Priester in der Nähe haben, einen Kontaktpriester zuweisen, der mit ihnen nach geistlichen Wegen sucht. Sonderberufungen, wie Eremiten, geweihte Jungfrauen, geweihte Witwen etc. zulassen und offensiv kirchlich einbinden. Und für Bischöfe gilt nicht nur runter vom Balkon: Ganz raus aus dem Palais. Ein Bischof wird dann und nur dann heute noch glaubwürdig sein, wenn er so lebt, wie der Querschnitt der Menschen in seinem Bistum. Weg mit den Dienstwagen- Personal abbauen! Ein Bischof braucht einen Kaplan (mit Führerschein) und eine Sekretärin. Das reicht. Es ist ein Irrtum, der Bischof dürfe sich keinen Kaplan mehr „leisten“, wenn im Bistum Priestermangel herrscht. Das Umfeld des Bischofs hat – wenn schon nicht ein klösterliches, wie in der Ostkirche – dann doch mindestens ein geistliches zu sein. Und das darf auch individuell gefärbt sein.

Gleiches gilt für Priester. Das Pfarrhaus der Volkskirche ist inzwischen für Priester toxisch. Die Dreizimmerwohnung über der Caritas ebenso. Ein Priester gehört, wenn schon nicht in eine WG, dann mindestens in stabiles soziales Wohnumfeld mit anderen Menschen, darunter gerne Klerikern, Laien am besten mit Kindern, Ordensleuten etc. Hauptsache es sind genügend Menschen darunter, die einen normalen Lebensalltag und normale Alltagssorgen haben. Kirchenfinanzen müssen radikal saniert werden. Die volkskirchliche Kirchensteuer ist nicht mehr zeitgemäß. Die Staatsleistungen sind es schon lange nicht mehr. Bistümer mit Milliardenvermögen, die von Jahr zu Jahr reicher und saturierter werden, vergiften sich an den Staatsleistungen. Es ist nirgendwo die Rede davon, dass das Sterben der Volkskirche angenehm ist. Aber wo die Strukturen der Kirche, dem Glauben, dem Leben den Atem rauben, da müssen die Strukturen weg. Je eher, umso besser.


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