Mariä Verkündigung 2022: „Der christliche Glaube beruht auf Gottes Handeln und ist historisch-real“

26. März 2022 in Spirituelles


„Unser Glaube an die Erlösung von Sünde und Tod durch die Menschwerdung des Sohnes ist keine religiöse Phantasie oder die bildhafte Einkleidung frommer Wünsche, sondern volle Wirklichkeit.“ Predigt in voller Länge – Von Gerhard Card. Müller


Leżajsk-Vatikan (kath.net) kath.net dokumentiert die Predigt von Kardinal Gerhard Müller in der Basilika Mariä Verkündigung (Leżajsk/Polen) am 25.3.2022 in voller Länge und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung - Am Ende d s Gottesdienstes betete der Kardinal die Weihe von Russland und Ukraine an die Gottesmutter Maria, wie Papst Fanziskus  gewünscht hat - Kardinal Müller besuchte am Freitag eine polnische Region nahe der ukrainischen Grenze. Er zeigte sich tief beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Polen, die polnische Hilfsbereitschaft sei "nicht zu toppen". Viele Polen nehmen ukrainische Flüchtlinge ins eigene Zuhause auf. Kirche, Staat und Kommunen arbeiten auf Hochtouren, um den in Mengen ankommenden Flüchtlingen wenigstens eine Notunterkunft bsp. in Turnhallen sowie Nahrung anbieten zu können. Es kommen offenbar vorwiegend flüchtende Frauen mit Kindern. Die Situation sei unbeschreiblich, ein Bild des Jammers.

Gott ist Ursprung und Ziel der ganzen Schöpfung und er selbst führt die ganze Geschichte des Heils zu ihrem Höhepunkt. Das ist die Menschwerdung seines Sohnes, der mit dem Vater und dem Heiligen von Ewigkeit her der drei-eine Gott ist. „Vielmals und auf vielerlei Weise hat einst Gott zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; jetzt am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, durch den er auch die Welt geschaffen hat; er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort; er hat die Reinigung von den Sünden bewirkt.“ (Hebr 1, 1-3). So wie am Anfang des Briefes an die Hebräer der Glaube der Urkirche an Jesus den Sohn Gottes und den Erlöser der Welt zusammengefasst wird, so bekennt auch Johannes im berühmten Prolog seines Evangeliums: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Herrlichkeit.“ (Joh 1, 14).

In Jesus verwirklicht sich mitten in der Welt, der Geschichte der Menschheit und im Lebensweg jedes Einzelnen der ewige Ratschluss Gottes uns Menschen, seinen Geschöpfen ganz nahe zu kommen und schließlich durch den Tod seines Sohnes am Kreuz die Menschen aus Sünde und Tod zu retten. In der Auferweckung Jesu von den Toten ist das Tor des Himmels weit aufgetan. Jeder, der durch diese Tür eintritt erfährt die Erfüllung all seiner Hoffnung auf sein unverlierbares Glück, das Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht und das Beisammensein mit all seinen Lieben in der Gemeinschaft der Heiligen.

Wenn wir beim letzten Posaunenschall des Jüngsten Gerichtes verwandelt werden wird das Sterbliche durch die Unsterblichkeit bekleidet werden. Dann erfüllt sich das Wort der Schrift „Tod, wo ist dein Sieg, Tod, wo ist dein Stachel?“ Triumphierend über alles Böse und das Leid der Welt konstatieren die Erlösten: „Gott aber sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch unseren Herrn Jesus Christus.“ (1 Kor 15, 57).

Unser Glaube an die Erlösung von Sünde und Tod durch die Menschwerdung des Sohnes ist aber keine religiöse Phantasie oder die bildhafte Einkleidung frommer Wünsche, sondern volle Wirklichkeit. Der christliche Glaube beruht auf Gottes Handeln und ist darum historisch-real und nicht nur wie in den alten Mythologien eine metaphorische Darbietung der religiösen Phantasie oder die symbolische Verschlüsselung existentieller Betroffenheiten von Liebe und Leid von Geburt und Tod.

Die Überzeugung von der Tatsächlichkeit des Heilsereignisses in Jesus dem Christus ist größer als die Gewissheiten, die wir in den Naturwissenschaften vom materiellen Sein oder in der Philosophie von den letzten Prinzipien des Seins und Erkennens gewinnen können. Die Gewissheit des Glaubens gründet in der Autorität des sich uns offenbarenden Gottes und – wie Paulus sagt – in alleinigen „Macht, die Toten lebendig zu machen und das, was nicht ist, ins Daseins zu rufen (Röm 4, 17).

Dazu hat er seinem Sohn „bei seinem Eintritt in die Welt“, nämlich der Annahme unserer menschlichen Natur, „einen Leib geschaffen“. Nur so konnte Jesus, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, im Garten Gethsemane seinen menschlichen Willen ganz dem Willen seines Vaters unterwerfen und auf Golgatha den universalen Heilswillen des Vaters kundtun und verwirklichen. Darum heißt es: „Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt.“ (Hebr 10, 10). Denn wir sind in Christus Söhne und Töchter Gottes geworden.

Maria, die Mutter Jesu, ist ein historischer Mensch in seinem einmaligen Verhältnis zum Gott der Schöpfung und des Bundes mit Israel. Sie ist also keine Figur, um die sich im Nebel der Geschichte Mythen und Legenden ranken. Der Prophet Jesaja spricht im Jahre 735 v. Chr. zur Zeit größter Gefahr von einem Zeichen, das Gott selbst geben wird. Voraussetzung ist, dass das königliche Haus Davids und das ganze erwählte Gottesvolk ihre Hoffnung nicht setzten auf die Mittel menschlicher Diplomatie und die Macht von Politik und Militär, sondern allein auf den Gott des Bundes und der Verheißung. Und schon die jüdischen Gelehrten in Alexandria übersetzten um 200 vor. Chr. den hebräischen Text so: „Seht die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und man sie wird ihm den Namen Immanuel – Gott mit uns – geben.“ (Jes 7, 14). Das Wort, das im Anfang bei Gott war und das Gott ist, Jesus Christus der Sohn des Vaters, ist durch seine Fleischwerdung der Gott mit uns. „Er war Gott gleich, und entäußerte sich und wurde den Menschen gleich“ (Phil 2, 6f) – so betete schon die Urkirche von Jerusalem in ihrer Liturgie.

Und dann „als die Zeit erfüllt war und Gott seinen Sohn sandte, der geboren ward aus einer Frau“ (Gal 4, 6), war die Stunde Marias gekommen, der Einwohnerin von Nazareth in Galiläa zur Zeit des römischen Kaisers Augustus.

Zu dieser mit Josef verlobten Jungfrau sandte Gott den Engel Gabriel mit der Botschaft, dass aus ihrem jungfräulichen Leib ohne Mitwirkung eines Mannes allein durch die Kraft des Heiligen Geistes der Sohn Gottes als Mensch geboren werden sollte, der den Thron Davids einnehmen wird und über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen wird (Lk 1, 33). Das ist das von Jesus öffentlich verkündete Reich Gottes, in dem für alle Menschen Platz ist, die sich im Glauben, Hoffnung und Liebe ganz Gott anvertrauen. Gottes schenkende Liebe ist so unerschöpflich, dass er die Freiheit und Würde des Menschen nicht nur respektiert, sondern in der Lebens-Gemeinschaft mit ihm vollendet. Wir sind Kinder Gottes des Vaters, Söhne und Töchter Gottes in seinem Sohn und Freunde Gottes im Heiligen Geist.

Gott benutzt oder instrumentalisiert uns Menschen nicht. Das grausame Gesetz der Welt dagegen will es, dass die Soldaten für den Ruhm des Feldherrn sterben, der arme indische Vater seine Organe an korrupte Oligarchen verkauft, um seine Kinder zu ernähren, die mittellose ukrainische Frau für den Kinderwunsch eines Paares ihren Körper als bezahlte Leihmutter zu Verfügung stellt.

Gott allein besitzt die Freiheit der schenkenden Liebe, die nichts gewinnt oder verliert, wenn sie sich für uns endgültig entscheidet. Er gibt alles umsonst. Er hat den Preis unserer Erlösung mit dem Blut seines Sohnes bezahlt, der von unseren Händen den Tod erlitt und sich auf dem Altar des Kreuzes zu unsere Versöhnung mit Gott dahingab. Dass er sich uns sterblichen und sündigen Menschen so selbstlos und demütig zuneigt, hat also keinen Preis, den wir zahlen müssten. Bei Gott können wir nur gewinnen: die Auferstehung und das Leben, die Freiheit unseres Handelns und die Wahrheit unseres Daseins, den Frieden des Herzens und die ewige Seligkeit.

Und darum sagt Maria in begnadeter Freiheit wichtigsten Satz zwischen Himmel und Erde, der der ganzen Welt- und Heilsgeschichte die irreversible Wende gegeben hat zum Besseren, „zum Neuen Himmel und zur neuen Erde, zur heiligen Stadt, dem neuen Jerusalem, das vom Himmel herabgekommen ist, von Gott geschmückt wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. (Offb 21, 1f).

Dieses Wort ist für uns der Schlüssel, mit dem sich die Wohnung Gottes unter den Menschen öffnet, wenn Gott bei uns ist und wir bei ihm sein werden. Dann heißt es von den Erlösten: „Er wird alle Tränen von ihren Augen wischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ (Offb 21, 3f).

Das alles verdanken wir Gott und Jesus dem „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt“ (Joh 1, 30). Aber wir verdanken es auch Maria, seiner Mutter, die in jungfräulicher Reinheit das Urbild und Vorbild des Glaubens an ihren göttlichen Sohn wurde, indem sie dem Engel ihre Antwort an Gott anvertraute: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1, 38).

Foto Kardinal Müller während der Predigt in Leżajsk (c) Gerhard Müller/privat


© 2022 www.kath.net