Konzil und Liturgie

22. März 2022 in Kommentar


Möge das nächste Konzil also ein "Retro-Konzil" werden, das der Auferstehung der Liturgie als der Gottesfeier unter uns neue Freiheit eröffnet - Einige Hinweise wider den liturgischen Modernismus - Ein Kommentar von Franz Norber Otterbeck


Köln (kath.net)

Er ist wieder da, der "alte Ritus": Artikel 93 der Apostolischen Konstitution vom 19. März 2022 weist die Zuständigkeit für die "außerordentliche Form" des römischen Ritus der früheren Gottesdienstkongregation zu, die jetzt "Dikasterium" heißt, von griechisch δικαστήριον für "Gericht" (im Sinn von Entscheidungsstelle). Wird also mit 'Praedicate Evangelium' nicht nur die Kurie, sondern auch bereits 'Traditionis custodes' vom 16. Juli 2021 reformiert? Schön wär's. Wahrscheinlicher ist aber, dass auch die Bearbeiter der lange vorbereiteten "Kurienreform" vom Generalangriff des Papstes auf die ältere Liturgie kalt erwischt wurden. Art. 93 verharrt also nur in der - wenig glücklichen - Sprachregelung, die das liturgische Friedens-Motuproprio von 2007 traf.

Denn erst neulich hat sich Liturgiepräfekt Roche, "nur" Erzbischof, kein Kardinal, wieder weit aus dem Fenster gelehnt mit wenig erleuchteten Sophistereien zu Liturgie und Konzil; gemeint ist das "Superkonzil" von 1962-65, das nach den Forschungen von Florian Kolfhaus allerdings gar keine letztverbindlichen Entscheidungen traf, sondern pastoraler Natur war. Nebenbei bemerkt: auch "nach Franziskus" könnte es sich durchsetzen, dass nicht mehr alle Dikasterien des Apostolischen Stuhls, das ist der neue Zentralbegriff, von Kardinälen geleitet werden. Denn die 1588 von Sixtus V. eingeführten Kardinalskongregationen sind nicht mehr vorgesehen.

Roche könnte der "Ghostwriter" des Motu proprio aus dem Vorjahr gewesen sein, das die unsinnige Begriffsbestimmung traf, nur die nachkonziliaren liturgischen Bücher seien "einziger" Ausdruck der römischen Liturgie. Womit die Tatsache allerdings nicht aus der Welt geschafft werden konnte, dass gerade die älteren Bücher selbstverständlich Ausdruck der Liturgie bleiben, sogar vor dem Gericht des Glaubens und der Vernunft: mit mehr Recht. 

Als Papst Paul VI. 1978 starb, rühmte die deutsche Bistumspresse einhellig seine Liturgiereform, während andere, definitive Entscheidungen (insbesondere "Humanae vitae" von 1968) als "problematisch" bekrittelt wurden. Knapp 44 Jahre später sind wir schlauer. Die reformierte Liturgie zerfällt im deutschen Sprachraum, besser: deutsch-katholischen Kreisch-Raum, vor aller Augen zu Staub. Ihre Reste werden von nahezu niemanden unter 60 noch frequentiert, auch nach Corona nicht. Sie bringt kaum noch Priester hervor, die aus ihr und in ihr leben wollen; übrigens auch kaum mehr "Ständige Diakone". Bischöfen wie Showmaster Bätzing gelingt es zwar noch, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, nicht aber auf die heiligen Geheimnisse Jesu Christi. Die katholische Religion wird in Deutschland und drumherum, immer mehr überwiegend, von solchen Menschen praktiziert, die an den definitiven Entscheidungen der Kirche, beispielsweise von Trient und beiden vatikanischen Konzilien, auch gegen den Trend festhalten, gerade was Ehe und Familie betrifft. Die Schnittmenge dieser Katholiken mit Freunden der "alten Messe" wächst. Wie lange noch? Wahrscheinlich: auch immer mehr.

Übrigens gab es keine definitive Entscheidung des Konzilspapstes gegen die älteren Liturgien. Wie wäre eine solche auch dogmatisch zu begründen? Unmöglich! Paul VI. war nach dem Zeugnis von Jean Guitton selber unzufrieden mit dem praktischen Verlauf der liturgischen Reformen. Ihm ging es um die Akzeptanz des Konzils in der gesamten Kirche, als er von Liturgie-Rebell Lefebvre zur harten Disziplinierung der "alten Messe" provoziert wurde. An dieser scharfen Repression heute wieder anzuknüpfen ist widersinnig. Zu unterschiedlichen Zeiten dasselbe zu tun kann falsch sein. Manche sagen, der Ordo Missae von 1965 habe die Absichten des Konzils bereits voll verwirklicht. Aber das "Consilium" zur Liturgiereform (ein Neben-Dikasterium) wollte mehr, unter Federführung von Bugnini. Seine Idee von einer modernen Messe wurde allerdings im Wesentlichen erst beim Neo-Katechumenat umgesetzt, nicht im allgemeinen Missale von 1970. Da bremste der Papst bereits. Ich las die Selbstdarstellung von Annibale Bugnini und "seiner" Liturgiereform erst 2007. Dieses Selbstzeugnis weckte die ersten Zweifel daran, ob das Projekt "novus ordo missae" tatsächlich der Zielsetzung des Konzils entsprach. Im historischen Sinn: gewiss nicht. Die Konzilsväter - einschließlich Lefebvre - hatten 1963 ganz etwas anderes im Sinn, als sie die Liturgiekonstitution beschlossen hatten. Allerdings enthält sie eine Perspektive, deren Grenzen der Papst nachkonziliar überschreiten durfte, um die zentralen Absichten noch stärker hervorzuheben: die pastorale, kommunikative und missionarische Perspektive.

Überlagert und verdrängt wurde diese echt konziliare Perspektive allerdings alsbald durch einen ideologischen Überbau, der sich als desaströs erwiesen hat, vom "Synodalen Weg" beispielsweise aber auch heute noch als alleinseligmachend vermarktet wird. Hier ist die Kirche keine Institution göttlichen Rechts, sie feiert nicht die heiligen Geheimnisse Christi, des Erlösers, weder unter dem Wort Gottes noch mit und unter Petrus vereint, und schon gar nicht zum Heil der Welt. Die Liturgie dieser Kaputtkirche orientiert sich nur noch nach Belieben ungefähr an Drama und Duktus des (deutschen) Messbuchs. Liturgie wird heruntergezerrt auf die Ebene von Narrativ und Symbolismus; und zwar nicht im Sinne von 'Symbolum' (Glaubensbekenntnis), sondern im Sinne einer therapeutischen Transmission von Archetypen des kollektiven Unbewussten. So jedenfalls könnte es Bätzing meinen, wenn er ab und zu noch einfließen lässt, dass "Sakramente wirken". Mit der Liturgie der Kirche haben diese postmodernen Ansätze nichts im Sinn.

Auch wenn der mehrdeutige Begriff "Modernismus" weder sämtliche Phänomene seit 1965 bzw. 1968 und schon gar nicht den rabiaten Glaubensverfall hierzulande allein zu erklären vermag, wir kommen nicht mehr umhin, den inneren Zusammenhang der berechtigten Aussagen des hl. Pius X. um 1907 und den liturgischen Entwicklungen seit 2007 in den Blick zu nehmen. Auf die von Benedikt XVI. gewährte, größere Freiheit für die ältere Liturgie folgte nämlich keine Konvergenz der beiden Ausdrucksformen derselben römischen Liturgie. Die "extraordinaria" genannte Form fand in einigen Gegenden mehr und mehr Anklang. Fast keine ihrer neuen Freunde stellte jedoch jemals "das Konzil" in Frage. Ein hie und da anzutreffender Fanatismus oder Purismus liturgischer Traditionalisten hätte es nicht erfordert, 2021 mit "Kanonen auf Spatzen" zu schießen. Positiv bewegt das nichts. Diese extreme Kriegserklärung deutet vielmehr an, dass die vorsätzliche Umdeutung der "neuen Liturgie" in das Lehrbuch eines "neuen Glaubens" im Umfeld der ehemaligen Gottesdienstkongregation von baldigem Scheitern bedroht ist. Mit der Diffamierung der älteren "lex orandi" als 'konzilswidrig' (wiewohl es selber so zelebrierte!) soll speziell die "lex credendi" der Kirche diskreditiert werden.

Ich war und bin kein Liturgietraditionalist. Aber ich nähere mich dem "dogmatischen Traditionalismus" immer mehr an. Den darf man aber inzwischen guten Gewissens als konzils- und papsttreu bezeichnen. Auch unter Papst Franziskus wurde und wird kein Dogma der Kirche umgestürzt. Die Kurien-Neuordnung, die gewiss ihre Probleme hat, bekräftigt überall die missionarische Sendung der Kirche in der Welt, wie es auch zumindest die drei jüngsten, älteren Konzilien unisono taten. Die immer schon sehr traditionelle Mariologie des bisweilen unglücklich regierenden Pontifex tritt in diesen europaweit friedlosen Tagen wieder sehr deutlich hervor; freilich ohne nennenswerte Resonanz aus dem Land der Reformation, in dem die katholische Religion vor der Auslöschung steht. Ausgelöscht in Bälde durch den eigenen, fetten Apparat. "Gott Bauch" nämlich braucht keine Liturgie und kein Konzil. Die wenigen Priester, die von der feisten Sakralbürokratie noch durch die Fläche gehetzt werden, erfahren insbesondere dann keine Hilfe ihrer Bischöfe, wenn sie den Glauben der Kirche im Vollsinn und die Liturgie als ihr Herz bekennen, ganz im Sinne des letzten Konzils, das modern und antimodern zugleich urteilte. Möge das nächste Konzil also ein "Retro-Konzil" werden, das der Auferstehung der Liturgie als der Gottesfeier unter uns neue Freiheit eröffnet.

 


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