Das Gericht des Menschensohns

7. März 2022 in Aktuelles


Franziskus: Jesus anblicken, Jesus anblicken im Hungernden, im Gefangenen, im Kranken, im Nackten, in dem, der keine Arbeit hat und eine Familie ernähren muss. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Montag der ersten Woche der Fastenzeit mit dem Evangelium vom Gericht (Mt 25, 31-46):

„Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er zu denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! 42 Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder fremd oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen? 45 Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben“.

Mehrmals, vor allem im außerordentlichen Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit, kommentierte Papst Franziskus den Abschnitt aus Matthäus und forderte auf, die „Zärtlichkeit“ Gottes anzunehmen und sie durch leibliche und geistliche Werke der Barmherzigkeit zu bezeugen. So lädt der Papst in seiner Katechese vom 30. Juni 2016 zu einer Gewissenserforschung ein, denn es sei eine Sache, über Barmherzigkeit zu reden, eine andere, Barmherzigkeit zu leben. Die Werke der Barmherzigkeit seien keine theoretischen Themen, sondern konkrete Zeugnisse. Sie verpflichteten uns, die Ärmel hochzukrempeln, um das Leid zu lindern. Papst Franziskus fordert auf, Jesus im Leiden anzuschauen, denn auf diese Weise schaue Jesus mich an, er schaue uns alle an.

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Papst Franziskus, AUSSERORDENTLICHES JUBILÄUM DER BARMHERZIGKEIT, JUBILÄUMSAUDIENZ, Donnerstag, 30. Juni 2016:

Wie oft haben wir in diesen ersten Monaten des Jubiläums von den Werken der Barmherzigkeit reden gehört! Heute lädt der Herr uns zu einer ernsthaften Gewissenserforschung ein. Denn wir dürfen nie vergessen, dass die Barmherzigkeit kein abstraktes Wort ist, sondern ein Lebensstil: Ein Mensch kann barmherzig sein oder er kann nicht barmherzig sein; es ist ein Lebensstil.

Ich entscheide mich, barmherzig zu leben, oder ich entscheide mich, nicht barmherzig zu leben. Eine Sache ist es, über Barmherzigkeit zu sprechen, etwas anderes ist es, die Barmherzigkeit zu leben. In Anlehnung an ein Wort des heiligen Apostels Jakobus (vgl. 2,14-17) können wir sagen: Die Barmherzigkeit für sich allein ist tot, wenn sie nicht Werke vorzuweisen hat. Genauso ist es! Was die Barmherzigkeit lebendig macht, ist die beständige Dynamik des Zugehens auf die Bedürfnisse und Nöte der Menschen, die sich in geistlicher und materieller Not befinden. Die Barmherzigkeit hat Augen, um hinzusehen; Ohren, um zuzuhören; Hände, um wieder aufzurichten…

Der Alltag gibt vielfältige Gelegenheiten, viele Bedürfnisse der Armen und Leidtragenden mit Händen zu greifen. Es bedarf der besonderen Aufmerksamkeit unsererseits, um das Leiden und die Bedürftigkeit vieler Brüder und Schwestern zu erkennen. Manchmal begegnen wir Situationen dramatischer Armut, und sie scheinen uns nicht zu berühren; alles geht weiter als wenn nichts wäre, in einer Gleichgültigkeit, die uns letztlich zu Heuchlern macht und, ohne dass wir es merken, in eine Form geistlicher Trägheit einmündet, die das Herz gefühllos und das Leben unfruchtbar macht. Menschen, die vorübergehen, die im Leben weitermachen, ohne die Not der Anderen zu erkennen, ohne die ganze spirituelle und materielle Not zu sehen, sind Menschen, die vorübergehen, ohne zu leben, sind Menschen, die den anderen nicht dienen. Erinnert euch gut daran: Wer nicht lebt, um zu dienen, versteht nicht zu leben.

Wie vielfältig ist Gottes Barmherzigkeit uns gegenüber! Und wie viele Gesichter wenden sich uns zu, um Barmherzigkeit zu erlangen! Wer im eigenen Leben die Barmherzigkeit des Vaters erfahren hat, kann nicht gefühllos gegenüber den Nöten der Geschwister sein. Die Lehre Jesu, die wir gehört haben, lässt keine Ausflüchte zu: Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war nackt, fremd, krank, im Gefängnis, und ihr habt mir geholfen (vgl. Mt 25,35-36).

Man darf angesichts eines hungernden Menschen nicht zaudern: Man muss ihm zu essen geben. Jesus sagt uns das! Die Werke der Barmherzigkeit sind keine theoretischen Themen, sondern es sind konkrete Zeugnisse. Sie verpflichten uns, die Ärmel hochzukrempeln, um das Leiden zu lindern. Aufgrund des Wandels unserer globalisierten Welt haben sich einige Formen materieller und spiritueller Armut vervielfacht: Geben wir daher der Phantasie der Nächstenliebe Raum, um neue Möglichkeiten des Handelns zu erkennen. Auf diese Weise wird der Weg der Barmherzigkeit immer konkreter werden.

Von uns wird daher verlangt, wachsam zu sein wie Wächter, damit der Blick der Christen angesichts der von der Wohlstandskultur erzeugten Formen der Armut nicht schwach wird und unfähig, das Wesentliche anzublicken. Das Wesentliche anblicken. Was bedeutet das? Jesus anblicken, Jesus anblicken im Hungernden, im Gefangenen, im Kranken, im Nackten, in dem, der keine Arbeit hat und eine Familie ernähren muss. Jesus anblicken in diesen unseren Brüdern und Schwestern; Jesus anblicken in dem, der allein und traurig ist; in dem, der Fehler macht und einen Rat braucht; in dem, der jemanden braucht, der ihn still auf seinem Weg begleitet, damit er spürt, dass er in Gesellschaft ist. Das sind die Werke, die Jesus von uns verlangt! In ihnen, in diesen Menschen auf Jesus schauen. Warum? Weil Jesus so auf mich schaut, auf uns alle schaut.

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Auch Benedikt XVI. mahnte dazu, Tag um Tag sein Wort in die Praxis umzusetzen.

Benedikt XVI., aus dem Angelus vom 23. November 2008:

Das heutige Evangelium betont gerade das universale Königtum Christi, des Richters, mit dem wunderbaren Gleichnis vom Weltgericht, das der hl. Matthäus unmittelbar vor den Bericht über die Passion gestellt hat (25,3–46). Die Bilder sind einfach, die Sprache volksnah, doch die Botschaft ist äußerst wichtig: sie besteht in der Wahrheit über unser letztes Schicksal und über den Maßstab, nach dem über uns geurteilt werden wird. »Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen« (Mt 25,35) und so fort. Wer kennt diesen Abschnitt nicht? Er ist Teil unserer Zivilisation. Er hat die Geschichte der Völker christlicher Kultur gezeichnet: die Hierarchie der Werte, die Institutionen, die vielfältigen wohltätigen und sozialen Werke. In der Tat, das Reich Christi ist nicht von dieser Welt, es bringt aber alles Gute zur Erfüllung, das – Gott sei Dank – im Menschen und in der Geschichte vorhanden ist. Wenn wir dem Evangelium entsprechend die Liebe zu unserem Nächsten in die Tat umsetzen, so machen wir für die Herrschaft Gottes Platz, und sein Reich verwirklicht sich mitten unter uns. Wenn hingegen jeder nur an seine eigenen Interessen denkt, dann kann die Welt nur zugrunde gehen.

Liebe Freunde, das Reich Gottes ist keine Frage der Ehren und des äußeren Scheins, sondern es ist, wie der hl. Paulus schreibt, »Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist« (Röm 14,17). Dem Herrn liegt unser Wohl am Herzen, das heißt, daß jeder Mensch das Leben haben soll und daß insbesondere seine »geringeren« Kinder Zugang zu dem Tisch finden können, den er für alle bereitet hat. Deshalb weiß er nichts mit dem heuchlerischen Verhalten dessen anzufangen, der »Herr, Herr« sagt und dann seine Gebote nicht beachtet (vgl. Mt 7,21). In sein ewiges Reich nimmt Gott all jene auf, die sich Tag um Tag darum mühen, sein Wort in die Praxis umzusetzen.

 


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