Was bleibt nach dem Münchner Gutachten? – „Satan lacht noch immer“

27. Jänner 2022 in Kommentar


„Man sollte auch das nicht ganz übersehen: Heute geht man davon aus, dass in jeder Schulklasse ein oder zwei Kinder sind, die missbraucht werden.“ Gastkommentar von Ursula Zöller/“Neue katholische Frauenbewegung“


München (kath.net/„Neue katholische Frauenbewegung) Es war ein lange und mit Spannung erwartetes Gutachten über den Missbrauch durch Kleriker und Angestellte in der Diözese München und Freising, das am letzten Donnerstag vorgestellt wurde. Hat es die notwendige Aufklärung gebracht?

Es ging um den sehr langen Zeitraum seit 1945. In diesem waren laut dem Gutachten 173 Priester mögliche Täter oder Mittäter. Die Zahl der möglicherweise Geschädigten wird mit 496 angegeben. Zweimal nennt einer der Rechtsanwälte das Gutachten eines des Grauens. Und für jedes einzelne Opfer von Missbrauch – wobei man den genau definieren müsste – war dieser grauenhaft, nicht zu entschuldigen, mit keinem Geld der Welt wieder gutzumachen und sicher nicht wirklich zu heilen.

Dennoch sollte man auch das nicht ganz übersehen: Heute geht man davon aus, dass in jeder Schulklasse ein oder zwei Kinder sind, die missbraucht werden. In den Nachrichten hören oder lesen wir von Verbrechern, die Kinder zum Missbrauch anbieten. Manchmal tun es die eigenen Väter. In der berüchtigten, einst pädagogisch so hochgelobten freien Odenwaldschule wurden alleine dem Schulleiter Vergehen an mindestens 200 Schülern zur Last gelegt. Er starb, ohne dass man ihn strafrechtlich zur Verantwortung gezogen hätte.

Der Prozentsatz der Taten in der katholischen Kirche ist vergleichsweise sehr gering, was aber für keines der Opfer ein Trost und für keinen Täter eine Entschuldigung sein kann.

Schwerpunkt der im Gutachten untersuchten Fälle waren die 1960er bis 70er Jahre, die Zeit der sexuellen Revolution. In dem internationalen Standardwerk „Klinische Sexologie“ aus dem renommierten Deutschen Ärzteverlag konnte man dazu noch 1989 lesen, dass Untersuchungen und Verhöre wegen sexueller Handlungen an Kindern und Jugendlichen unter Umständen mehr Schaden anrichten als die Handlung selbst.

Der Vortrag der Gutachter befasste sich schwerpunktmäßig mit Erzbischof Joseph Ratzinger, Papst em. Benedikt, dem man in vier Fällen ein Fehlverhalten beim Einsatz von Priestern vorwirft. Dass man sich gerade mit ihm so ausführlich beschäftigt, scheint auf Grundlage der Untersuchung völlig unangebracht und legt nahe, dass es dabei auch um andere Gründe geht.

Ihm galt dann selbstverständlich auch der Schwerpunkt der Berichterstattung und vieler innerkirchlicher Kommentare mit dem ganz offensichtlichen Ziel, das Ansehen Benedikts schwer zu erschüttern.

Das Gutachten, hieß es, bedeute eine historische Zäsur für die Kirche. Aber der Fall des pädophilen auf Bewährung verurteilten Priesters H. aus dem Bistum Essen war schon 1986 durch die Medien gegangen. Neu oder historisch bedeutend war er nicht.

Die Bewegung „Wir sind Kirche“ fordert Benedikt nun auf, „sich seiner kirchenstrukturellen wie moralischen Verantwortung zu stellen“ und ein „persönliches Schuldeingeständnis“ abzugeben.

Sie hätten den Brief des Papstes aus dem Jahr 2010 an die Katholiken in Irland lesen sollen. „I am truly sorry“ heißt es zu Beginn der Passage „an die Opfer des Missbrauchs und ihre Familien“. „Ihr habt schrecklich gelitten, und das tut mir aufrichtig leid. Ich weiß, dass nichts das von Euch Erlittene ungeschehen machen kann. Euer Vertrauen wurde missbraucht, und Eure Würde wurde verletzt….“

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing predigt noch am Abend der Vorstellung des Protokolls im Trierer Dom. Er spricht von einem desaströsen Verhalten in der Kirche, erwähnte in dem Zusammenhang ausdrücklich den emeritierten Papst. „Vertuscht, verdeckt wurde lange genug“. Mag aber sein, dass Bischof Bätzing in einem Glashaus sitzt. Denn aus seiner Zeit als Generalvikar sind – leider – Missbrauchsfälle bekannt, die bisher noch nicht aufgeklärt sind.

Auffallend am Vortrag der Rechtsanwälte war die immer wieder verwandte Formel, dass ein Vorwurf gegenüber dem damaligen Münchener Bischof „überwiegend wahrscheinlich“ sei. Mit dieser Einschätzung wäre vor keinem Gericht eine Verurteilung möglich. Die Gutachter sind sowieso keine Richter, auch wenn es in der Öffentlichkeit für viele so wirken mag. Deren vorsichtige Formulierung wird dort kaum kommuniziert. Auch, dass die Gutachter in dem vor allem vorgestellten Fall des Priesters H. und seiner Verurteilung auf Bewährung davon sprechen, dass ein sexueller Missbrauch stattgefunden haben dürfte, wird kaum bekannt geworden sein. Dieser Priester war also offensichtlich nicht wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt als es darum ging, ob er nach München kommen könne.

Was also bleibt? Aufklärung über etliche schreckliche Fälle von Missbrauch, die aber nicht Papst Benedikt anzulasten sind. Von seinen Vorgängern im Bischofsamt und seinem Nachfolger, der nicht zur Übergabe der Unterlagen erschienen war, wurde kaum gesprochen.

Ein aktives Zugehen auf die Opfer „der Verantwortlichen in der Sorge um Geschädigte sei für die Zeit der Aufarbeitung nicht festzustellen“, sagen die Gutachter. Aber schon lange zuvor war gerade Papst Benedikt auf die Opfer zugegangen. Es bleibt, dass mit dem Ergebnis des Gutachtens eine totale Umwandlung der Kirche versucht werden soll. Immer wieder ist – so erneut vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZDK) – von „systemischen Problemen“ der Kirche die Rede.

„Wir sind Kirche“ fordert, vor allem müsse „der Abbau fehlgeleiteter klerikaler Machtstrukturen erfolgen.“ Das allerdings hat Papst Benedikt schon 2010 verlangt, nur fand er kaum Beachtung. „Rücktritte auf den verschiedenen Leitungsebenen mögen nötig sein“ meint die Gruppe, wichtiger aber sei ein grundlegendes Umsteuern…

Der Sprecher der Opfer-Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch erklärt, das Gutachten habe „ein um den emeritierten Papst aufgebautes Lügengebäude zum Einsturz gebracht.“ Und, auch das zielt wieder auf eine völlige Veränderung der Kirche, „Wir hoffen sehr, dass da jetzt was Neues aufgebaut wird“.

Das ist natürlich auch die Hoffnung einiger Frauen von Maria 2.0. Sie demonstrierten mit kirchlichen „Reformgruppen“ vor der Veröffentlichung des Gutachtens – gemeinsam auch mit der Giordano-Bruno-Stiftung – auf dem Münchner Marienplatz. Es stört offenbar nicht, dass diese Stiftung ein atheistisch-materialistisches Weltbild hat, das in völligem Gegensatz zum Christentum steht.

Die „Reformgruppen“ hatten ein großes Plakat bei sich, auf dem die berühmten drei Affen abgebildet sind. Als Affe, der sich die Augen zuhält, war Kardinal Ratzinger dargestellt, der Affe, der sich die Ohren zuhält, war Kardinal Marx und natürlich durfte als angeblicher dritter Affe Kardinal Woelki nicht fehlen. Für den Fall, dass der ein oder andere Betrachter die drei Kardinäle nicht identifizieren könnte, stand zur Sicherheit ihr Name unter der Karikatur.

Was bleibt? Sehr viel Hass, der oft nicht von den schwer betroffenen Missbrauchsopfern, sondern eher von unzufriedenen internen Gegnern ausgeht. Und sehr viel Uninformiertheit, die Vorwürfe stützt, die völlig unberechtigt sind. Gerade Papst Benedikt hat dafür gesorgt, dass Missbrauchstäter in der Kirche zur Rechenschaft gezogen und selbstverständlich auch vor staatliche Gerichte gestellt werden. Und lange bevor das Gutachten vorlag, schreibt er 2010 in seinem Brief an die irischen Priester etwas, das für jeden anderen Täter auch gilt: „Ihr habt das Vertrauen, das von unschuldigen jungen Menschen und ihren Familien in Euch gesetzt wurde, missbraucht, und Ihr müsst Euch vor dem allmächtigen Gott und vor den zuständigen Gerichten dafür verantworten“.

Dann führt er viele Ursachen an: eine nicht ausreichende menschliche, moralische, intellektuelle und geistliche Ausbildung in Seminaren und Noviziaten. Er beklagt eine Tendenz, den Klerus zu begünstigen, „unangebrachte Sorge um den Ruf der Kirche und die Vermeidung von Skandalen“. Es sind genau jene Vorwürfe, die vor allem im Rahmen des sogenannten Synodalen Weges immer wieder vorgebracht werden als müsse man dies endlich aufdecken.

Er appelliert – so Peter Seewald in seinem Buch „Benedikt XVI. Ein Leben“ – an alle Verantwortlichen, diese Faktoren dringend anzugehen, „die zu so tragischen Konsequenzen im Leben der Opfer und ihrer Familien geführt“ haben. Die Bischöfe, die „bei der Anwendung der seit Langem bestehenden Vorschriften des Kirchenrechts zu sexuellem Missbrauch von Kindern bisweilen furchtbar versagt haben“, fordert er auf, „neben der vollständigen Umsetzung der Normen des Kirchenrechts…mit den staatlichen Behörden in ihrem Zuständigkeitsbereich zusammenzuarbeiten“.

Dies alles fordert Papst Benedikt vor nunmehr 12 Jahren. Er hat ganz sicher nicht die Augen vor dem Skandal des Missbrauchs verschlossen. Man hätte auf ihn hören sollen, statt ihn nun schuldig sprechen zu wollen. Denn es gibt keinen Beweis für sein Versagen in einzig vorgebrachten vier Fällen.

Vier Fälle: Ein bis dahin als Exhibitionist auf Bewährung verurteilter Priester, der aus einem anderen Bistum eigentlich nur zu einer psychologischen Behandlung nach München kommen sollte, der später aber offenbar Kinder missbraucht hat. Von ihm sagen die Gutachter für die Zeit seiner Verurteilung 1986 nur, sexueller Missbrauch dürfte stattgefunden haben.

Ein ausländischer Priester, dessen Bischof offenbar nicht mitteilte, warum sein Neffe wirklich nach Deutschland kommen sollte. Er wurde beim Nacktbaden beobachtet und bemühte sich um private Kontakte zu Ministranten, was zu seiner Entlassung führte.

Dann war da noch ein pädophiler Homosexueller, der im Alter als Ruhestandspriester aus dem Ausland in die Heimat zurückkommen wollte. Hier sagen die Gutachter, der Kardinal gelte „insofern insgesamt als entlastet“.

Und Fall vier? Ein Priester, der anzügliche Fotos von jungen Mädchen gemacht hat, dafür verurteilt wurde und nur noch in einem Krankenhaus und Altenheim eingesetzt werden durfte.

Vier Fälle, die den damaligen Erzbischof belasten sollen? Dabei ist sicher, dass gerade er strikt und mit aller gebotenen Härte gegen Missbrauchstäter vorgegangen ist.

Warum wird das nicht anerkannt? Weil Benedikts Sicht auf seine Kirche nicht dem Zeitgeist entspricht. Sie passt aber zu Jesus Christus, zu dem er sein Leben lang gehört. Denn auch er war alles andere als zeitgeistkonform. Das führte zu seinem Tod am Kreuz.

Wer im Jahr 2005 den Kreuzweg von Papst Johannes Paul II. im Kolosseum vor tausenden Gläubigen mitfeiern konnte, hörte Texte von Kardinal Ratzinger, die tief betroffen machten. „Wieviel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm (Jesus) ganz zugehören sollten … Das verschmutzte Gewand und Gesicht deiner Kirche erschüttert uns.“ Und – es ist die neunte Station – „Wir ziehen dich mit unserem Fall zu Boden, und Satan lacht, weil er hofft, dass du von diesem Fall nicht wieder aufstehen kannst, dass du in den Fall deiner Kirche hineingezogen selber als Besiegter am Boden bleibst.“

Kann man ein schärferes Urteil über moralisches Versagen in der Kirche fällen? Jener Kirche, die durch ihren Gründer Jesus Christus immer heilig, zugleich aber wegen uns Menschen immer sündig ist.

Satan lacht auch heute über den Zustand unserer Welt und unserer Kirche. Sie ist, so sagt es mancher, am Nullpunkt, sei nur noch durch umfassende Änderungen zu retten. Aber sie steht auch mit Jesus Christus auf. „Heile und heilige deine Kirche“, bat Kardinal Ratzinger damals, „Heile und heilige uns“. Dann bleibt unendlich vielen Menschen unendliches Leid erspart.

Foto: Symbolbild


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