Auf dem Weg zur Minderheit

3. Jänner 2022 in Kommentar


Hoffnung für die Kirche findet sich nicht in den sterbenden Pfarreien. Die sind viel zu starr. Hoffnung findet sich in den jungen Gemeinschaften. Da ist die Dynamik, die eine Minderheitenkirche braucht - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Rom (kath.net)

Irgendwann im Laufe des Jahres 2022 – so nicht ein retardierendes Moment, wie eine Massenbekehrung oder eine massenhafte Zuwanderung von Christen erfolgte – werden die Christen in Deutschland die Minderheit sein. Die Stärke der Demokratie, dass die Majorität die Richtung weist, ist zugleich ihre Schwäche. Denn noch nie war Majorität ein Kriterium für Wahrheit.

In Deutschland schlägt sich dies politisch nieder. Während bei früheren Vereidigungen von Regierungen schon mal ein Minister ohne religiöse Beteuerungsformel den Eid leistete, so war es diesmal neben dem Bundeskanzler eine nennenswerte Anzahl. Der Glaube an Gott verabschiedet sich aus der aktiven Politik. Der Worst Case der Demokratie, tritt ein, indem die Mehrheit die Wahrheit absolut dominiert. Damit wird auch Böckenförde in Rente geschickt. Eine Regierung nämlich die nicht mehr anerkennt, dass der säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er sich nicht selbst geben kann, relativiert die Mehrheit vor der Wahrheit.

Seit Beginn der Bundesrepublik, die sich ein Grundgesetz gab, das sehr stark naturrechtlich geprägt war, spielte die Wahrheit im politischen Alltag immer eine dominante, weil verfassungsrechtlich verankerte Rolle. Politische Mehrheiten, die im Alltagsgeschäft des Regierungshandelns wichtig sind, mussten sich aber wenn es an die Kernsubstanz ging, vor Wahrheit zurücknehmen. Garant dafür war die Verfassung und ein Verfassungsgericht, das darüber wachte.

Die Mehrheit der Bürger im Land - katholische und evangelische Christen - war zu Beginn der Republik sehr dominant und damit politisch relevant. Während bis weit in die 60er Jahre hinein die beiden Konfessionen stark gesellschaftlich und damit politisch im Sinne des Naturrechts prägend war, erlagen die Landeskirchen schon früh den Versuchungen des Sozialismus und mehr noch denen des Ökologismus. Nach außen wirkten die katholischen Bistümer stärker, was sich jedoch als Illusion erwies. Immer wieder waren es Fragen des Lebens und der Bioethik, die die reale Schwäche der Kirche aufzeigte.

Die Basis für diese Schwäche, die eine Glaubwürdigkeitsschwäche ist, haben die deutschen Bischöfe selber gelegt. Ein Schlüsseldatum ist der 30. August 1968. Mit der bis heute nicht widerrufenen „Königsteiner Erklärung“ distanzierten sich die deutschen Bischöfe von der Enzyklika „Humanae vitae“. Damit zogen die Bischöfe einer naturrechtlich geprägten Bioethik den Boden unter den Füßen. In der kurze Zeit darauf schon folgenden Diskussion um eine Freigabe der Abtreibung waren die Bischöfe bereits merklich geschwächt. Auch wenn sie damals noch deutlich auf der Seite der Lebensschützer standen, reichte der Einfluss der Kirche längst nicht mehr aus. Im Jahr 1974 wurde eine Fristenregelung verabschiedet, die erst das Bundesverfassungsgericht kassierte.

Derselbe Konflikt eskalierte erneut nach der Wiedervereinigung, als ein neuer Kompromiss gefunden werden musste. Wie dramatisch die 15 Jahre den Episkopat geschwächt hatte, wurde nur zu deutlich. Die deutschen Bischöfe knickten vor einer faktischen Fristenlösung mit Beratungsschein ein. Erst eine massive Intervention durch Johannes Paul II. beendete die Mitwirkung der katholischen Kirche in Deutschland am Tötungsschein. Die Gründung der Laieninitiative „Donum vitae“ durch katholische Laienfunktionäre zeigt, wie gering die Integrationskraft der Bischöfe damals schon war. Auch wenn „Donum vitae“ bis heute eine ekklesiologische Kränkung für den Episkopat darstellt, hat die informelle Annäherung längst stattgefunden.

Das Zurückweichen einer katholischen und naturrechtlichen Prägekraft auf gesellschaftliche und politische Fragen findet in Lebensrecht und Bioethik einen Indikator. Weder bei der In-vitro-Fertilisation, noch bei der Präimplantationsdiagnostik konnte sich die Kirche Gehör verschaffen. Über die Verwendung unzähliger eingefrorener menschlicher Embryonen, die schlicht und einfach Menschen sind, werden später andere entscheiden. Der Paragraf 219 ist schon jetzt Makulatur, der finale Angriff auf den 218er nur eine Frage der Zeit. Die Kirche wird die kleinen Menschen nicht mehr vor der Absaugpumpe oder der Giftpille schützen können. Die amtierende Regierung erklärt die Tötung ungeborener Menschen zu einem normalen Bestandteil der Gesundheitsvorsorge und die Kirche – bei auf wenige löbliche Ausnahmen – schweigt.

Waren die Lebensrechts- und Bioethikfragen für die Kirche eher theoretischer Natur, geht es den schwindsüchtigen Kirchen jetzt ans Eingemachte. Erstmals steht die Ablösung der Staatsleistungen ganz konkret im Koalitionsvertrag. Sind die Ablösungen weg, stellt sich bei einer Minderheitenkirche auch die Frage nach dem staatlichen Einzug der Kirchensteuer, nach der Ausbildung von Priestern und Religionslehrern auf Staatskosten. Militär- und Gefängnisseelsorge werden auf den Prüfstand kommen. Die christliche Dominanz bei staatlichen Feiertagen steht schon längst auf dem Prüfstand.

Mit dem synodalen Weg versuchen in der katholischen Kirche „ZdK“ und DBK ein letztes Aufbäumen der Kirche durch eine finale Anbiederung an den Zeitgeist, womit sie nur den Weg des modernen Protestantismus nachvollziehen, der am Ende die völlige Bedeutungslosigkeit zur Folge hat. Das Ausmaß der Schwächung der Kirche, das dadurch erfolgt, ist kaum zu erahnen. Der Kipppunkt, an dem Christen irgendwann im Laufe des nun begonnenen Jahres zur Minderheit in Deutschland werden, ist im Grunde nur noch ein Fanal, das uns klar machen soll, wohin die Reise geht. Ein weitaus deutlicherer Marker ist vielleicht noch ein Selbstversuch: Bei einem regelmäßigen sonntäglichen Kirchgang von ungefähr 5% der Katholiken und 2% der Protestanten bedeutet dies, dass ca. 1,8% der Bundesbürger eine christliche Sonntagspraxis pflegen. Gehen Sie durch eine Straße, begegnen Sie Menschen und zählen Sie bis 50 Menschen, denen Sie begegnen. Es ist maximal einer darunter, der am vergangenen Sonntag in einer Kirche gewesen ist. Noch Fragen?

Hoffnung für die Kirche findet sich nicht in den sterbenden Pfarreien. Die sind viel zu starr. Hoffnung findet sich in den jungen Gemeinschaften. Da ist die Dynamik, die eine Minderheitenkirche braucht. Die Zukunft der Kirche als einer Minderheitenkirche hat längst begonnen. Politisch und gesellschaftlich sind wir schon lange irrelevant. Es kommt darauf an, den Paradigmenwechsel zu einer Kirche, die aus dem Glauben an Christus eine wirkliche Lebensalternative bietet, zu vollziehen. Gar nicht so einfach.


© 2022 www.kath.net