„Mein franziskanischer Habit ist auch ein geeigneter Habit für einen Rapper“

22. Dezember 2021 in Interview


Youtuber Pater Sandesh Manuel OFM im kath.net-Interview: „Ich möchte meine Berufung genießen, das Leben genießen, und das versuche ich als ein Mensch und ein Mönch. Und diese Kombination gefällt den Leuten immer wieder sehr.“ Von Petra Lorleberg


Wien (kath.net/pl) Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden, den südindischen Ordenspater Sandesh Manuel in Wien. Mit seinem sympathischen Lächeln und seiner Musik verschiedener Stilrichtungen erobert der Franziskaner die Herzen der Menschen in Wien, in Österreich und darüber hinaus. Längst ist auch das Fernsehen auf ihn aufmerksam geworden. Doch wer ist dieser Pater, dessen Fröhlichkeit spontan an seinen Ordensgründer, den hl. Franz von Assisi denken lässt? kath.net hat nachgefragt.

kath.net: Neulich waren Sie im ORF in der Sendung „Fakt oder Fake“, zur Diskussion stand, ob ein Wiener rappender Franziskanerpater wirklich echt sein kann. Die Teilnehmer kamen zu der Schlussfolgerung, dieses Video sei „so schräg ist, dass es wahr sein muss“. Pater Sandesh, sind Sie Fakt oder Fake?

Es gibt immer wieder vergleichbare Anfragen zu solchen Sendungen, auch aus Bereichen, wo die Kirche nicht vertreten ist. Dort, wo es keine Präsenz von Kirche gibt, wird alles Mögliche erklärt, nur für die Kirche ist kein Platz. Und weil ich „so schräg“ bin, so verrückt bin (schmunzelt), …der heilige Franz von Assisi war ein Gaukler Gottes, ich finde das großartig und es inspiriert mich wirklich!

Ich mag „schräge“ Sachen, vielleicht bin ich einfach so? Ich möchte meine Berufung genießen, das Leben genießen, und das versuche ich als ein Mensch und ein Mönch (schmunzelt). Und diese Kombination gefällt den Leuten immer wieder sehr.

Durch dieses „Schräge“, durch diese Musik und alles, was ich mache (ich habe viel zu erzählen) komme ich in Kontakt mit so vielen Menschen, die überhaupt nichts mit der Kirche zu tun haben. Deswegen sage ich: ja, es ist ein Fakt, dass sie alle Menschen sind.

Viele denken, nun ja, die Priester und Ordensfrauen, das sind ganz heilige Menschen. Das ist eigentlich falsch. Jeder Mensch ist heilig. Nur einige sind auch heiliggesprochen, sie sind Vorbilder. Aber jeder Mensch ist heilig, auch ein Dieb ist eigentlich heilig, nur was er tut ist nicht heilig. Der heilige Franz von Assisi bezeichnete die Räuber als „Bruder Räuber“ – und weil er sie so genannt hat, haben sie sich bekehrt. Denn eigentlich hatten sie ja gewusst, dass das, was sie tun, total falsch ist, dennoch nannte sie jemand zum ersten Mal „Bruder Räuber“.

Deswegen möchte ich als Fakt immer wieder betonen, dass wir Menschen sind, auch wenn wir im Kloster sind – egal, ob wir mit oder ohne unseren Habit unterwegs sind. Die „Würde“ kommt nicht durch ein Gewand, sondern von innen, einfach dadurch, dass wir da sind. Aber wir brauchen einen Rahmen, das zu leben, und dazu hilft das Klosterleben. Die Kirche vergisst oft diesen ganzen Aspekt der „Menschlichkeit“ und fokussiert sich nur auf die Heiligenscheine und diese Flügel von Engeln. Ich hoffe, Sie verstehen was ich meine: es ist wichtig, dass die Kirche sagt, „Unser Gott ist ein menschgewordener Gott“, und wir sind Menschen, und wir sind dazu berufen, ein Bild Gottes zu sein, in der Gottesebenbildlichkeit zu leben. DAS ist unser Ziel: einfach Menschen zu werden, ehrliche Menschen. Und wenn die Kirche ehrlich ist und sagt, „wir sind einfache Menschen“, das wird die Leute sehr ansprechen.

kath.net: Sie sind „YouTuber“. Warum sind Sie auf dieser Plattform aktiv und was sind Ihre Erfahrungen?

Youtube ist eine Plattform, in der jeder sagen kann, was er will und wie er es will. YouTube kontrolliert zwar und sortiert beispielsweise Pornos aus. Aber jeder kann etwas sagen, jeder kann eine Meinung haben. Das gefällt mir sehr gut, das ist wie eine freie Bühne und es gibt Leute, die machen Videos von der Mülleimer-Versorgung bis komplizierten Videos über Robotics. Das fand ich toll. Manches habe ich sehr gebraucht, beispielsweise konnte ich anfangs keinen Notenständer öffnen, denn das ist ein bisschen kompliziert – dann habe ich ein Video geschaut und jemand hat gezeigt, wie man das macht, und jetzt ist das so einfach.

Dann habe ich gedacht, ich muss auch meine Predigten und Lieder auf YouTube stellen und damit kann ich diese Lieder teilen. Als ich 2009 zum Priester geweiht wurde, gab es noch wenig christliche Angebote auf YouTube. Dann habe ich eine Zeitlang nichts auf YouTube gemacht 2013 kam ich auf Einladung unseres Provinzials für Österreich nach Wien, ich sollte mitwirken und auch Musik studieren an einem privaten Konservatorium für Popmusik in Wien.

Vor drei, vier Jahren habe ich gesagt: nun, ich bin in Österreich, aber ich habe wenig Freunde und Bekannte. Mein Musikproduzent Elias Steskal – wir sind sehr gute Freunde –hat zu mir gesagt: Warum machst du keine YouTube-Videos? Ich antwortete ihm, dass ich früher bereits YouTuber gewesen war. Dann riet er mir: Du kannst jetzt wieder anfangen. Ich unterstütze dich mit Kamera und Ton. Das hat er am Anfang gemacht und dann habe ich selber gelernt, wie man das machen kann. Ich habe dabei sehr viele nette Leute kennengelernt, langsam habe ich ein großes, sehr gutes Team (schmunzelt), die für mich diese Videos machen. Es kostet sehr viel, ich spare alles und stecke es da rein. Ich male ja auch, wenn ich Bilder verkaufe, geht der Erlös ebenfalls in die Videos. Wenn Gott will, dass ich das weitermache, dann wird Er sich um diese Arbeit kümmern, die ja für Ihn ist.

Durch YouTube komme ich in Kontakt mit soooooo vielen Leuten! Jetzt habe ich überall „eine große Familie“. Es geht nicht um Fans, als Priester brauchst du keine Fans. Sie sind meine Familie. Ich bin ja nicht verheiratet, aber ich habe dadurch „meine Familie“ auf der ganzen Welt. Der hl. Franz von Assisi sagt: „Die Welt ist unser Kloster.“

Ich habe sehr, sehr viele positive Rückmeldungen, besonders von Menschen am Rand der Kirche, die von sich nicht wissen, ob sie gläubig sind oder nicht, oder sie sind aus der Kirche ausgetreten. Wenn sie dann mit mir in Kontakt kommen, finden sie das toll. Diese Menschen sind durchaus überzeugt, dass die Kirche etwas Gutes anzubieten hat. Dann kommen wir ins Gespräch. Mittlerweile habe ich so viele persönliche Freunde kennengelernt, viele von ihnen besuchen mich hier in Wien. Das finde ich total genial.

Von manchen Insidern bekomme ich natürlich gelegentlich auch Kritik: „Hey, Pater, du machst die Kirche zu einer Disko.“ Auf eine solche Mail habe ich beispielsweise zurückgeschrieben: „Danke, liebe Frau… Ich mache die Kirche zu einer Disko, weil ich ein DJ bin“ (schmunzelt). Natürlich nehme ich das mit Humor, denn ich tue niemandem etwas Schlechtes.

Als ein Franziskaner merke ich, dass wir auch Tradition brauchen, ja, das ist sehr wichtig. Aber wir brauchen gleichzeitig auch Offenheit.

kath.net:  Sie machen Musik, Sie malen und gestalten. Ein normaler Weg eines normalen Ordensmannes? Wie kommt Ihr Orden mit Ihnen zurecht?

Eigentlich hatte ich überhaupt nicht über meinen Orden nachgedacht, sondern ich habe einfach Musik gemacht. Musik ist eine neutrale Sprache. Ich sage und tue ja nicht Falsches. Musik verstehen alle. Anfangs habe ich auch ein paar lustige Videos gemacht, denn ich wollte betonen, dass ich ein MENSCH bin. Als Inder in Österreich hatte man mich, ehrlich gesagt, am Anfang nicht so ernst genommen. Man dachte, ich sei ein Gaststudent und werde in ein paar Jahren wieder zurückgehen. Doch mittlerweile gehöre ich zur österreichischen Franziskanerprovinz, ich bleibe also.

Langsam wurde der ORF auf mich aufmerksam und hat mich in einige Sendungen mit aufgenommen. Ich bin also hie und da im Fernsehen. Bei „Galiläo“ gibt es auf YouTube auch einen Dokumentarfilm über mich.

Mein Orden unterstützt mich voll. Mein Provinzial hat mich nie gestoppt, sondern er hat mich immer unterstützt. Die Franziskaner sind sehr offene Menschen. Und jetzt in der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass die Kirche auch mit neuen Medien aktiv werden sollte, denn viele Leute können nicht mehr in die Kirche kommen, und da muss die Kirche nun umdenken. Lieder schreibt mir übrigens ein Mitbruder, Bruder Elias van Haaren, und Bruder Philipp spielt auf dem Akkordeon bei einigen meiner Stücke. Mit Pater Oliver nehme ich aktuell einige Lieder und Videos auf.

Das ist natürlich schon auch eine große „Werbung“ für uns Franziskaner hier in Österreich. Unsere Präsenz in untypischen Medien ist sehr wichtig, ich möchte auch nach „draußen“ gehen und außerhalb der Kirche Freude teilen. Ich möchte außerdem zeigen, dass ich, obwohl ich ein Priester bin, gleichzeitig auch ein Mensch bin und das Recht habe, das Leben zu genießen. Wenn wir so eine Spiritualität in unseren Alltag bauen, dann ist das für jeden interessant. Denn jeder sucht nach einem Halt, jeder findet ihn woanders. Doch jeder Mensch braucht Gott, der uns umarmt und verzeiht, egal was wir getan haben und egal was wir tun werden. Das ist etwas ganz besonderes mit Gott. Und diesen Halt zu finden ist für jeden Menschen sehr wichtig. Hier ist – im Gegensatz zu Indien, die Kirche ganz getrennt von der normalen Welt. Doch wie soll hier jemand Anschluss finden, der gläubig werden möchte? Wenn sich die Kirche hier mehr öffnet, dann kann der Glaube in den Alltag fließen und jeder wird das interessant finden. Die jungen Leute sind heutzutage interessiert nach „Meditation“. Doch Gebet ist ebenfalls Mediation, entsprechend sollten wir das auch anbieten und sagen: „Komm rein, wir öffnen unseren Kreis.“ Was die Kirche in die Welt zu tragen hat, ist sehr wichtig.

kath.net: Der hl. Franziskus, der Gründer Ihres Ordens, wird gelegentlich als „Spielmann Gottes“ bezeichnet. Sehen Sie sich mit Ihrem Engagement in den Fußspuren Ihres großen Ordensvorbildes?

Für mich war der hl. Franz von Assisi wirklich ein ganz besonderer Mensch. Er ist mir ein echtes Vorbild und ich bin sehr froh, dass ich ein Franziskaner bin. Mein franziskanischer Habit ist auch ein geeigneter Habit für einen Rapper (schmunzelt).

Franziskus war ja sehr „verrückt“, sehr radikal. Gleichzeitig aber auch sehr menschlich. Zu sich selber war er sehr streng, doch zu jedem Mitbruder war er sehr barmherzig, sehr lieb. Immer wieder denke ich, dass jeder in seiner eigenen Filterblase lebt und jeder hält seine eigene Blase für die richtige, die beste. Das ist nicht einmal nur schlecht, denn es ist eine Überlebenstaktik. Doch wie kommen wir zusammen, wenn jeder in seiner eigenen Blase lebt? Wir sollten unsere eigene Filterblase loslassen, nach draußen gehen und sagen: ‚Ich lege mein Ego und alles weg, und ich brauche die Demut, dies zu tun.‘ Das ist sehr schwierig für uns Menschen, doch der hl. Franz hat dies getan, beispielsweise, als er dem Sultan begegnete. Ich weiß nicht, was sie geredet hatten, aber damals in dieser Zeit mit den Kreuzrittern und so hat sich der hl. Franz getraut, dem Sultan „hallo“ zu sagen, als er ins Heilige Land pilgerte.

Ja, der hl. Franz ist für mich wirklich ein Vorbild, weil er sehr menschlich war, mit einem sehr greifbaren Glauben, mit seiner Verbindung zur Natur („Bruder Sonne“, „Schwester Mond“). Er hat Gott in allem gesehen. Für ihn war Gott nicht nur in den Kirchen und Kapellen. Am Anfang seines Berufungsweges hatte er gedacht: ‚Ok, Gott ruft mich, die Kirche neu zu bauen‘, und er hat wirklich angefangen, eine Kirche neu zu bauen. Doch nach und nach hatte er verstanden, dass er nicht eine Kirche bauen muss, sondern „die Kirche in mir“. Er hat Gott überall erlebt, auch in der Kirche, auch in der Welt. Deshalb sagte er: „Die Welt ist unser Kloster“.

Archivfoto Pater Sandesh Manuel OFM (c) Sandesh Manuel

VIDEO - ♪ Pater Sandesh Manuel OFM und Andreas Schätzle: ´Schönster Herr Jesu´


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