Kirchliche Expertin Susanne Kummer: Suizidbeihilfe-Gesetz bringt "klare Zäsur"

19. Dezember 2021 in Prolife


IMABE-Geschäftsführerin Kummer nach Beschlussfassung im Nationalrat: Noch nicht erfolgter Beschluss der Hospiz- und Palliativversorgung "kein gutes Signal" - Aufgabe nun, "Wahlfreiheit zum Leben" sicherzustellen


Wien (kath.net/KAP) Das am Donnerstag im Nationalrat beschlossene "Sterbeverfügungsgesetz", mit dem ab 1. Jänner 2022 Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Bedingungen straffrei wird, bringt eine "klare Zäsur" mit sich: Zu diesem Schluss kommt die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Susanne Kummer. Aus vielen Perspektiven sei das Gesetz abzulehnen, und auch auf die Begleitumstände seien bedenklich: Dass das angekündigte Gesetz zum versprochenen wohnortnahen und flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung noch nicht beschlossen wurde, sei "kein gutes Signal", betonte die kirchliche Ethikerin in einer Stellungnahme vom Freitag.

Zu den Eckpfeilern des neuen Gesetzes gehört, dass die suizidwillige Person volljährig und entscheidungsfähig sein muss und entweder an einer unheilbaren Krankheit leidet, die zum Tod führt, oder an einem dauerhaft schweren Leiden erkrankt ist, das sie in der gesamten Lebensführung beeinträchtigt. Weder psychische Erkrankungen noch Behinderung oder Altersgebrechlichkeit sind dabei ausgeschlossen. Möchte der Betroffene Suizid mittels tödlichem Gift, so ist ein mehrstufiges Prozedere Pflicht. "Soll der Suizid durch eine andere Methode geschehen, etwa mittels Schusswaffe, die durch einen Dritten ausgehändigt wird, ist dagegen keine 'Sterbeverfügung' nötig", kritisierte Kummer.

Verändert habe das Gesetz den bisher in Österreich rechtlich abgesicherten Konsens, den die Ethikerin so formulierte: "Sterben in Würde heißt, dass für Menschen in Krankheit alles getan wird, um ihre Schmerzen zu lindern und Beistand zu leisten." Jetzt aber stehe auch die Mithilfe bei einer Selbsttötung als Option zur Verfügung. Deshalb laute die Frage nun, "wie wir gemeinsam verhindern, dass Menschen in existenziellen Krisensituationen oder aufgrund schwerer Erkrankungen in naher Zukunft meinen, dass nun Sterbehilfe-Organisationen für sie zuständig sind". Da der Wandel schleichend geschehen könne, müsse man "sehr aufmerksam bleiben und gegensteuern", unterstrich Kummer. Sie verwies dabei auf die Weltgesundheitsorganisation WHO, die erklärt hatte, dass "jeder Suizid einer zu viel" sei.

Druck auf Medizin und Pflege

Sorge bereitet der kirchlichen Expertin, dass nun das bisherige Selbstverständnis von Medizin und Pflege auf lange Sicht unter Druck geraten könnte: "Ärzte und Pflegende haben eine Garantenstellung für das Leben und sehen sich nicht als Tötungsgehilfen." Zudem wolle nicht jeder Mensch, der einen Sterbewunsch äußert, auch wirklich sterben. Es bestünde nun die Gefahr, dass Suizid- oder Sterbewünsche als "pure Handlungsaufforderung" verstanden werden. Dies sei unzulässig, seien Sterbewünsche am Lebensende doch "komplex" und bräuchten daher "komplexe Hilfen, keine einfachen Antworten". Es sei daher ein Gebot der Stunde, dass sich Gesundheitsberufe verstärkt im Umgang mit Suizid - und Sterbewünschen sowie im Bereich Palliativ Care fortbilden.

Kritisch äußerte sich die IMABE-Geschäftsführerin auch darüber, dass das Suizidbeihilfe-Gesetz bloße "Hinweise" auf Palliativ- und sonstige Angebote gegenüber einer suizidgefährdeten Person vorschreibt. Dies sei ungenügend und reiche höchstens dafür aus, um Checklisten abzuhaken. "Was nützen die besten Hinweise auf Alternativen, wenn man gleichzeitig keinen Zugang dazu hat? Was Patienten brauchen, sind Erfahrungen. Wer von einer 'Autonomie zum Suizid' spricht, muss auch in Zukunft eine 'Wahlfreiheit zum Leben' ermöglichen", forderte Kummer.

Ärzte in Schlüsselrolle

Laut Gesetz müssen Betroffene in ihren Suizidängsten über Alternativen aufgeklärt werden - von einem Palliativmediziner und einem zweiten Arzt, der wohl in der Regel der Hausarzt sein wird. Die Wartefrist beträgt nur zwölf Wochen. Die beiden Ärzte sollen die Entscheidungsfähigkeit prüfen. Fachgesellschaften aus dem psychosozialen Bereich hatten gefordert, dass bei der ärztlichen Begutachtung immer auch eine psychologische oder psychiatrische Expertise einfließen sollte, und zwar unabhängig davon, ob eine psychische Krankheit vorliegt oder nicht. Daraus wurde jedoch nichts.

Die sogenannte "Sterbeverfügung" können Menschen mit Suizidabsicht künftig beim Notar errichten lassen, wo erneut ein Aufklärungsgespräch stattfinden muss. Anschließend darf die Person ein tödliches Medikament aus einer Apotheke abholen oder holen lassen, die dieses vertreibt. Einnehmen muss sie es aber schließlich selbst. Allerdings: Kein Arzt, Pflegender oder Apotheker darf gezwungen werden, bei Selbsttötungen mitzuwirken und auch keine Institution, denn die Mitwirkung darf abgelehnt werden. Dass somit die Gewissensfreiheit des Gesundheitspersonals abgesichert wurde und auch Einrichtungen Beihilfe zum Suizid ablehnen dürfen, ohne deswegen benachteiligt zu werden, bewertete Kummer positiv.

Insgesamt überwiegt für die IMABE-Expertin jedoch eindeutig die Ablehnung und Kritik an der neuen Regelung, wie auch an dessen Werdegang: Die Begutachtungsfrist sei äußerst knapp gewesen und die Regierung habe die Einwände von insgesamt 138 Stellungnahmen und Expertenvorschlägen zur Verbesserung des Gesetzes so gut wie völlig übergangen. Gefordert hatten zahlreiche Stellungnahmen unter anderem, den irreführenden Begriff der "Sterbeverfügung" zu streichen - zumal  Assistenz zum Suizid kein natürlicher Tod ist - und durch "Suiziderklärung" zu ersetzen. Auch viele andere Fragen in der Umsetzung seien offengeblieben, unterstrich Kummer.

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