Lasst uns nicht müde werden!

10. November 2021 in Aktuelles


Franziskus: Paulus dachte nie an ein Christentum mit irenischen Zügen, dem es an Biss und Energie fehlt, im Gegenteil. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun; denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Deshalb lasst uns, solange wir Zeit haben, allen Menschen Gutes tun, besonders aber den Glaubensgenossen! [...] Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit eurem Geist, meine Brüder und Schwestern! Amen“ (Gal 6,9-10.18).

Generalaudienz mit Pilgern und Besuchern in der Aula „Paolo VI“. Papst Franziskus schloss seine Katechesenreihe zum Brief des Apostels Paulus an die Galater ab. Der fünfzehnte und letzte Teil stand unter dem Thema „Lasst uns nicht müde werden!“.

Zum Abschluss der Katechesen über den Galaterbrief betrachtete der Papst nochmals die zentrale Erkenntnis, die der Apostel Paulus durch die Offenbarung Jesu Christi erhalten hat. Das Leben des Paulus sei durch die Begegnung mit dem auferstandenen Christus auf dem Weg nach Damaskus völlig verwandelt worden. Während er früher im Eifer für die Überlieferung seiner Väter die Christen verfolgt habe, „setzte er sich nun für die Freiheit ein, die Christus durch sein Leiden und seinen Tod am Kreuz für uns errungen hat“.

Der heilige Bischof Ignatius von Antiochien drücke es schön aus, wenn er schreibe: „Es gibt nur einen Meister, der geredet hat, und was er gesagt hat, ist geschehen; was er aber im Stillen getan hat, ist des Vaters würdig. Wer das Wort Jesu besitzt, kann auch sein Schweigen hören“ (Ad Ephesios, 15, 1-2). Wir könnten sagen, dass der Apostel Paulus in der Lage gewesen sei, diesem Schweigen eine Stimme zu verleihen. Seine originellen Einsichten würden uns helfen, die schockierende Neuheit zu entdecken, die in der Offenbarung Jesu Christi enthalten sei: „er war ein wahrer Theologe, der das Geheimnis Christi betrachtete und es mit seiner schöpferischen Intelligenz weitergab. Und er war auch in der Lage, seinen pastoralen Auftrag gegenüber einer verlorenen und verwirrten Gemeinde auszuüben“.

Er habe dies mit verschiedenen Methoden getan „er benutzte Ironie, Strenge, Sanftmut... Er behauptete seine Autorität als Apostel, aber gleichzeitig verbarg er die Schwächen seines Charakters nicht“. Die Kraft des Geistes habe sich wirklich in sein Herz gegraben: „die Begegnung mit dem auferstandenen Christus hat sein ganzes Leben erobert und verwandelt, und er hat es ganz in den Dienst des Evangeliums gestellt“.

Paulus habe den Galatern erklärt, dass auch sie zu dieser Freiheit berufen seien, die sie von jeder Sklaverei der Sünde entbinde und zu Erben der Verheißung und zu Kindern Gottes mache. Mit Nachdruck weise er darauf hin, dass Freiheit nicht Freizügigkeit bedeute und nicht zu anmaßender Selbstgewissheit führen dürfe.

Im Gegenteil: „die Freiheit steht im Schatten der Liebe. Sie wird in rechter Weise ausgeübt, wenn sie sich in den Dienst des Nächsten stellt“. Diese Vision eröffne uns das Panorama des Lebens aus dem Heiligen Geist, der das Gesetz des Gottes Israels zur Vollendung führe und verhindere, wieder in die Sünde Gottes zurückzufallen.

Die Lehre des Paulus „will unseren müden Glauben aufwecken und uns auf eine persönliche Begegnung mit Christus hinleiten“.

Paulus „dachte nie an ein Christentum mit irenischen Zügen, dem es an Biss und Energie fehlt, ganz im Gegenteil“. Er verteidige die von Christus geschenkte Freiheit mit einer Leidenschaft, die uns auch heute noch bewege, vor allem wenn wir an das Leid und die Einsamkeit denken, die er ertragen musste. Er sei davon überzeugt, dass er eine Berufung erhalten habe, auf die nur er antworten konnte. Er „wollte den Galatern erklären, dass auch sie zu dieser Freiheit berufen waren, die sie von jeder Form der Sklaverei befreite, weil sie dadurch zu Erben der alten Verheißung und in Christus zu Kindern Gottes wurden“.

Er sei sich der Risiken bewusst gewesen, die diese Auffassung von Freiheit mit sich bringe, und er habe die Folgen nie verharmlost: „er wies die Gläubigen mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass Freiheit keineswegs mit Libertinismus gleichzusetzen ist und auch nicht zu einer anmaßenden Selbstgenügsamkeit führt. Im Gegenteil: Paulus stellt die Freiheit in den Schatten der Liebe und stellt ihre konsequente Ausübung in den Dienst der Nächstenliebe“. All diese Vision habe er in den Horizont des Lebens nach dem Heiligen Geist gestellt, der das von Gott an Israel gegebene Gesetz zur Erfüllung bringe und uns davor bewahre, in die Sklaverei der Sünde zurückzufallen.

Am Ende dieses katechetischen Weges scheine eine zweifache Haltung in uns zu entstehen. Einerseits „löst die Lehre des Apostels in uns Begeisterung aus. Wir fühlen uns gedrängt, sofort den Weg der Freiheit zu beschreiten, ‚dem Geist entsprechend zu wandeln’“ Andererseits seien wir uns unserer Grenzen bewusst, „denn wir erleben jeden Tag, wie schwierig es ist, dem Geist gefügig zu sein und seinem segensreichen Wirken zu folgen“.

Dann könne Müdigkeit eintreten und die Begeisterung dämpfen. Wir fühlten uns entmutigt, schwach, manchmal ausgegrenzt gegenüber dem Lebensstil der weltlichen Mentalität. Augustinus schlage vor, wie man sich in dieser Situation verhalten sollte, und bezieht sich dabei auf die Episode des Evangeliums vom Sturm auf dem See:

„Der Glaube an Christus in eurem Herzen ist wie Christus im Boot. Du hörst dir Beleidigungen an, du bist müde, du bist aufgebracht, und Christus schläft. Erwecke Christus, erschüttere deinen Glauben! Selbst in der Aufregung kannst etwas tun. Erschüttere deinen Glauben. Christus wacht auf und spricht zu dir... Erwecke also Christus... Glaube, was gesagt wurde, und es wird eine große Ruhe in eurem Herzen sein“. Wir müssten also Christus in unserem Herzen erwecken, „und nur dann können wir die Dinge mit seinem Blick betrachten, denn er sieht über den Sturm hinaus. Durch seinen ruhigen Blick können wir ein Panorama sehen, das für uns selbst gar nicht vorstellbar ist“.

Auf diesem anspruchsvollen, aber faszinierenden Weg erinnere uns der Apostel daran, dass wir uns keine Müdigkeit leisten könnten, wenn wir Gutes tun. Wir müssten darauf vertrauen, „dass der Geist immer unserer Schwäche zu Hilfe kommt und uns die Unterstützung gewährt, die wir brauchen. Lasst uns also lernen, den Heiligen Geist öfter anzurufen!“.

Wir könnten dies mit einfachen Worten und zu verschiedenen Zeiten des Tages tun. Und wir könnten das schöne Gebet, das die Kirche an Pfingsten spreche, mitnehmen, vielleicht in unser Hosentaschenevangelium:

‚Komm herab o Heiliger Geist, der die finstre Nacht zerreißt

Komm herab, o Heil’ger Geist,

der die finstre Nacht zerreißt,

strahle Licht in diese Welt.

 

Komm, der alle Armen liebt,

komm, der gute Gaben gibt,

komm, der jedes Herz erhellt.

 

Höchster Tröster in der Zeit,

Gast, der Herz und Sinn erfreut,

köstlich Labsal in der Not.

 

In der Unrast schenkst du Ruh,

hauchst in Hitze Kühlung zu,

spendest Trost in Leid und Tod.

 

Komm, o du glückselig Licht,

fülle Herz und Angesicht,

dring bis auf der Seele Grund’...

Und so geht es weiter, es ist ein schönes Gebet. Es wird uns gut tun, es oft zu beten. Sie wird uns helfen, im Geist zu wandeln, in Freiheit und in Freude“.

Die Pilger und Besucher sowie die Zuschauer und Zuhörer aus dem deutschen Sprachraum grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:

Ein herzliches Willkommen sage ich allen Brüdern und Schwestern deutscher Sprache. Streben wir danach, im Heiligen Geist unseren Lebensweg zu gehen, indem wir denen nahe sind, die bedürftig sind, und indem wir Gott in allen Lebensumständen loben. Der barmherzige Gott segne euch und eure Familien.

 


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