Kardinal Kasper über die „Ursünde des Synodalen Wegs“ in Deutschland

9. November 2021 in Aktuelles


Massive Kritik vom emeritierten Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und Papst-Franziskus-Vertrauten am Synodalen Weg in Deutschland.


Rom-Bonn (kath.net/pl) Er habe Fragen zum Synodalen Weg in Deutschland. Das erläuterte Kardinal Walter Kasper, der emeritierte Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, in einer Videoschaltung von Rom aus in seinem Beitrag zum 3. Online-Studientag des Arbeitskreises Christliche Anthropologie (siehe Video unten). Der emeritierte Sekretär des… bezog sich auf ein zur Diskussion stehendes Dokument des „Synodalen Weges“ der katholischen Kirche in Deutschland unter dem Titel „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“. Dieses Thema sei durchaus wichtig und aktuell, denn „mit dem Sendungsauftrag der Kirche geht es um die Frage, wozu ist Kirche da, wofür steht sie? Wofür steht das Bischofsamt und in welcher Weise können alle Christen daran teilnehmen?“ Allerdings habe ihn bereits die Überschrift des Textes überrascht und nachdenklich gemacht, denn „Macht“ und „Gewaltenteilung“ seien Begriffe, die nicht der Theologie entstammen, sondern der Soziologie und der neuzeitlichen Staatslehre. „Der Text geht also von einer soziologischen und politologischen Außenperspektive an das Problem der Kirche heran.“ Dies könne zwar zweifellos auch hilfreich sein, aber im Eigentlichen gehe es dem Text darum, „die Demokratie IN der Kirche heimisch zu machen und eine Art demokratischer Machtkontrolle in der Kirche einzurichten.“ Dafür berufe sich der Text auf das II. Vatikanische Konzil, das eine Wende vollzogen habe „von einer von Klerikern dominierten Kirche zur Kirche, die sich als Volk Gottes versteht, von einer Betreuungskirche zu einer Beteiligungskirche aller“, „denn alle Getauften haben an dem einen Geist teil, am gemeinsamen Priestertum aller Christen“. „Eine solche grundsätzliche Wende“ habe sich „auch heute, mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Konzils noch nicht voll durchgesetzt“, räumte Kasper ein und wertete es als ein grundsätzlich „berechtigtes Anliegen des Synodalen Wegs, diese Verwirklichung fortzuentwickeln. So wie die Kirche in der Vergangenheit von der feudalen Ordnung und der monarchischen Ordnung“ gelernt habe, könne sie dies nun auch von der demokratischen Ordnung tun, „falls dies ihrer eigenen Ordnung dienlich ist, sie kann es aber nur in dem Maß, als es ihre eigene Wesensordung erlaubt“.

Damit sei man aber bei der Grundfrage angekommen, so Kasper: Worin bestehe die eigene Wesensordnung der katholischen Kirche? Ausgehend vom Selbstverständnis der Kirche als Volk Gottes des neuen Bundes bedeute dies, dass sich die Kirche „nicht als irgendein Volk wie alle anderen Völker“ verstehe, sondern „als Volk GOTTES, das zusammenkommt nicht um über seine eigenen Anliegen und Probleme zu entscheiden, sondern um zu hören, was Gott entschieden hat, was er von uns will und was er uns schenkt“. Kasper erinnerte an das Jesuswort in der Bergpredigt: Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere hinzugegeben werden. Es bestehe also „eine Rangordnung zwischen dem, was als grundlegender Maßstab zuerst kommt“. Die „der Kirche von Gott gegebene Volk-Gottes-Ordnung kommt zuerst, und soziologische und andere Gesichtspunkte KÖNNEN in zweiter Linie hilfreich und ergänzend hinzukommen“.

Gemäß dem Neuen Testament und Kirchendokumenten gebe es dann aber „innerhalb des gemeinsamen Priestertums aller Getauften eine große Mannigfaltigkeit von Geistgaben, Berufungen, Sendungen und Dienstleistungen“. Kasper erinnerte daran, dass die Kirche „ein Leib mit vielen Gliedern“ sei. „Alle Getauften nehmen an der einen Sendung der Kirche teil, doch jedes Glied entsprechend seiner Geistgabe, seiner Berufung und seiner Sendung. Es besteht also einen Gleichheit des Geistes, aber eine Gleichheit in der Mannigfaltigkeit der Geistgaben, Berufungen und Sendungen. Die Gleichheit aller in der Kirche ist deshalb keine abstrakte Gleichheit. Nicht EINER kann ALLES, auch nicht der Papst, auch nicht der Bischof. Aber es können auch nicht alle ALLES.“ Nur alle gemeinsam könnten alles, erläuterte Kasper. Jedes Glied solle freimütig die eigene Berufung einbringen und demütig die Berufungen der anderen anerkennen. „Alle – auch die Bischöfe – sind also zunächst hörende Kirche“, alle sollen auf Gott und aufeinander hören und den gemeinsamen Glauben bekennen.

Deshalb laute also, gemäß Kasper, die „Grundfrage an den synodalen Text“: „Wie steht es mit seinen Kriterien? Wahrt er das Zuerst der Volk-Gottes-Kriteriologie oder tritt anderes, was hinzukommen kann, also Soziologie, Politologie, Humanwissenschaften, an die erste Stelle?“ (Alle Hervorhebungen von kath.net).

Es stelle sich als zweite Frage: „Welches ist innerhalb dieser großen Symphonie aller Geistgaben der Kirche der Part des Bischofs? Welches ist sein Charisma, seine Berufung und seine Sendung“? In den Abschiedsreden Jesu, die sich in allen vier Evangelien finden, sendet Jesus „seine Jünger, die er bereits zu Beginn seines öffentlichen Wirkens frei erwählt hatte, nun als Apostel aus, um das Evangelium, das er verkündet hat, allen Geschöpfen, allen Völkern zu verkünden bis ans Ende der Welt“, dazu verheißt er ihnen den Heiligen Geist als Beistand, dieser ist „also gleichsam die Seele der Kirche. Diese Sendung der Apostel soll dauern bis ans Ende der Welt. Da die Apostel aber sterbliche Menschen waren, brauchen sie nach ihrem Tod Nachfolger. Die Nachfolger sind keine neuen Apostel, sie stehen vielmehr auf dem Fundament der Apostel und Propheten. Sie haben nicht das Apostelamt, sondern ein apostolisches Amt. Dieser Übergang von der apostolischen zur nachapostolischen Zeit wird in der Apostelgeschichte sehr eingehend beschrieben.“ Das Amt der Bischöfe „stammt nicht von einer Entscheidung der sogenannten Basis, es ist [vielmehr] im Heiligen Geist begründet“ und wird darum „durch Handauflegung und Gebet übertragen“. „Aufgabe der Bischöfe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Botschaft Jesu, das Evangelium vom Reich Gottes, das Evangelium des Lebens, der Freiheit, des Friedens, der Versöhnung, das Evangelium von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi nicht verstummt und nicht durch falsche Lehre verkehrt oder verkürzt wird.“

Kasper erinnerte an seine eigene Bischofsweihe vor über 30 Jahren, er wurde in der Liturgie nach seiner Bereitschaft befragt, das Evangelium zu bezeugen und es treu zu bewahren. Dann wurde in der Weihepräfation der Geist der Leitung herabgerufen, d.h. die Aufgabe, die Kirche nicht in irgendeiner Weise beliebig zu leiten, sondern sie im Sinn des Evangeliums zu leiten. Nach der Handauflegung wurde mir das aufgeschlagene Evangelienbuch auf die Schulter gelegt. Dieses letztere war für mich neben der Handauflegung die wichtigste Zeichenhandlung bei der Bischofsweihe, so etwas prägt das ganze Leben…, die Bischofsweihe nimmt die ganze Person in Anspruch.“

Die Kirche ist dazu da, „um zu evangelisieren“, „deshalb gehört das mit dem Evangelium beauftragte Bischofsamt zu der von Christus gegründeten Identität und Wesensordnung der Kirche. Es war deshalb, wenn man das so sagen darf, die Ursünde des Synodalen Wegs, dass er die Einladung von Papst Franziskus, vom Evangelium und vom Grundauftrag der Evangelisierung her die Frage anzugehen, auf die Seite gelegt hat und damit faktisch nachgeordnete Kriterien in den Vordergrund gerückt hat. Rein formal hat er [der Synodale Weg] das Bischofsamt nicht aufgegeben, aber er hat es von seinem Wesenskern entkernt. Aufs Ganze gesehen ist der Bischof nach dem Text, so wie er vorliegt, nicht viel mehr als ein auf Zeit gewählter und jederzeit abwählbarer Vorsitzender eines Aufsichtsrats. Damit ist der auf das Evangelium gegründeten Kirche und dem Bischofsamt das Genick gebrochen.“

Als dritte Frage thematisiert Kasper, wie soll dieses Miteinander von Bischof und Kirche geschehen? „Zunächst hat der einzelne Bischof an dem einen Episkopat Anteil nur zusammen mit allen anderen Bischöfen in der Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus, des Bischofs von Rom. Er kann sein Bischofsamt nur in Gemeinschaft mit allen anderen Bischöfen ausüben … in ähnlicher Weise hat er das Bischofsamt nur innerhalb des Volkes Gottes und für das ihm anvertraute Volk Gottes.“ Schon im Neuen Testament höre man von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Paulus, dabei nennt er sehr viele Frauennamen, „die Forderung nach einer angemessenen Beteiligung der Frauen ist deshalb durchaus berechtigt. Auch ein heutiger Bischof steht ja nicht allein da, er ist auf viele amtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angewiesen. Er kann seinen Dienst nur tun mit den Priestern, Diakonen, Katecheten, Lehrern und Dozenten, den Mitarbeitern bei der Caritas, den Vätern und Müttern, auch den Großmüttern in der Familie. Die Leitungsaufgabe des Bischofs ist im Evangelium gegründet und damit ist auch die geistliche Aufgabe des Bischofs begrenzt.“ Gemäß dem Kirchenrecht handle es sich um „eine sacra potestas, eine geistliche Vollmacht“, das lässt „Raum für vielfältige andere Leitungsaufgaben in der Kirche, die auch Laien innehaben können, Männer und Frauen, Administration, Finanzen, Bauwesen, Caritas und vieles andere mehr.“ Die Aufsicht des Bischofs ist es, „Sorge zu tragen, dass das Ganze im Geist des Evangeliums geschieht“. Doch es wäre verkehrt, die Zusammenarbeit auf eine Führungsgruppe zu reduzieren. „Der Heilige Geist ist allen verheißen“, „ALLE haben einen geistlichen Sinn“ erhalten. Auch Petrus gab Rechenschaft vor der Gemeinde, am Ende heiße es aber: „der Heilige Geist und wir haben beschlossen“. Die Rezeption in der Gemeinde musste folgen.

„Kein geringerer als der inzwischen heiliggesprochene John Henry Newman hat die Bedeutung der Laien aufgezeigt.“ Er konnte zeigen, dass im 4. Jahrhundert es die Laien, nicht die Bischöfe waren, die den Glauben durch ihr Zeugnis gerettet haben. „Wenn Papst Franziskus heute die synodale Struktur erneuern will, dann ist das keine Neuerung, sondern die konservativste Reform, die man sich denken kann.“ Dennoch dürfe man die Synodale Struktur der Kirche nicht mit einem Kirchenparlament verwechseln. „Die Kirche bejaht die Demokratie und die fundamentalen Menschenrechte, sie übernimmt für sich aber nicht die Ausfaltung in einem parlamentarischen System, das mit Mehr- und Minderheiten entscheidet. Sie sucht konsensorientiert, oft nach langem Ringen, eine einmütige Antwort, die dann als Zeichen des Heiligen Geistes verstanden wird. Eine einmütige Antwort also und nicht, dass eine Seite einfach sozusagen mehrheitlich niedergestimmt wird. Die Synode soll nicht Minderheiten ohne seriösen Austausch der Argumente niederstimmen und gleichsam abschmettern, so wie es leider bei der letzten Sitzung des Synodalen Wegs geschehen ist, und damit hat sich dieser Synodale Weg selbst zur Farce gemacht. Hierarchie bedeutet nicht ‚Herrschaft des Hierarchen‘, sondern ‚Herrschaft des Hieron, des Heiligen‘, d.h. des Heiligen Geistes.“ Die Macht gehe „weder von der Basis aus noch ist der Bischof der eigentliche Herr der Synode. Dem Bischof ist vielmehr in der Synode der Dienst der Einheit aufgetragen.“ Leitung in der Kirche heiße nicht „Kommandieren, Diktieren, Regieren, sondern Inspirieren, Motivieren, den Geist des Evangeliums exemplarisch vorleben“.

Auf diözesaner Ebene sei „die Einrichtung von synodalen Strukturen schon heute möglich, in manchen deutschen Diözesen gibt es dafür schon seit langem gute Ansätze, ohne dass je ein römischer Hahn gekräht hätte“, erläuterte Kasper und dachte dabei möglicherweise auch an seine eigene frühere Diözese Rottenburg-Stuttgart, der er von 1989 bis 1999 als Bischof vorgestanden hatte. „Der Synodale Weg sollte sich darum auf das in Deutschland schon heute ohne weiteres Mögliche und auch Nötige konzentrieren, und sich nicht mit Projekten befassen, die nur gesamtkirchlich möglich sind und in der gegenwärtigen Situation nur zu Enttäuschungen und Frustrationen führen“, erläuterte Kasper und ließ offen, ob er dabei bsp. an die massiven Forderungen nach Frauenpriesterweihe dachte. „Wer dagegen einen übergenordneten Synodalrat als ein Supergremium schaffen will, das weder in der Ekklesiologie noch in der Verfassungsgeschichte der Kirche auch nur den geringsten Anhalt hat, der sollte überlegen, ob die Kirche noch mehr als sie ohnehin schon ist eine Sitzungskirche werden soll, oder ob sie nicht umgekehrt Kirche im Aufbruch werden muss, eine Kirche, die hinausgeht, die nicht um sich selber kreist, die evangelisiert und sich um die Nöte der Menschen kümmert.“

Archivfoto Kardinal Kasper (c) kath.net/Petra Lorleberg

Den hörenswerten Beitrag von Kardinal Kasper einschließlich der nachfolgenden Diskussion kann man in voller Länge auf diesem Video ab Stunde 1,12 nachhören (bitte auf Youtube weiterklicken):

 


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