Der hl. Franziskus und die Sünden von Priestern: „Und ich will ihre Sünde nicht sehen ...“

18. Oktober 2021 in Aktuelles


Theologe Bernhard Meuser: „Mir geht es um genau das provokant Prinzipielle, um das es Franziskus, Ratzinger, de Lubac, von Balthasar und anderen ging. Es gibt keinen Umweg um das Verbrechen und den Verrat in der Kirche.“


Augsburg (kath.net/pl) Derzeit gibt es auf Facebook eine heftige Kontroverse um das Priestertum. Der Publizist Bernhard Meuser (https://neueranfang.online/manifest) hatte dazu eine Stelle aus Testament des hl. Franziskus gepostet – und prompt heftigen Widerspruch geerntet. kath.net dokumentiert die spannend Kontroverse.

Bernhard Meuser: Aus dem unzeitgemäßen Testament des ganz kleinen Bruders Franziskus von Assisi: „Und der Herr gab mir in den Kirchen einen solchen Glauben, dass ich in Einfalt so betete und sprach: ´Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, – auch in allen deinen Kirchen, die in der ganzen Welt sind, – und preisen dich, weil du durch dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast.´ Danach gab und gibt mir der Herr einen so großen Glauben zu den Priestern, die nach der Vorschrift der heiligen Römischen Kirche leben, wegen ihrer Weihe, dass ich, wenn sie mich verfolgen würden, bei ihnen Zuflucht suchen will. Und wenn ich so große Weisheit hätte, wie Salomon sie gehabt hat, und fände armselige Priester dieser Welt – in den Pfarreien, wo sie weilen, will ich nicht gegen ihren Willen predigen. Und diese und alle anderen will ich fürchten, lieben und ehren wie meine Herren. Und ich will in ihnen die Sünde nicht sehen, weil ich den Sohn Gottes in ihnen unterscheide und sie meine Herren sind.“

Einspruch: Das betrifft aber nicht priesterliche Missbrauchstäter, die sich der hl. Franziskus nicht einmal in einem Albtraum vorstellen konnte.

Bernhard Meuser: Das Testament des Franz von Assisi, dass er in den letzten Tagen seines Lebens eigenhändig niederschrieb, ist gewiss eine extreme Provokation, und eben deshalb steht sie hier. Sie bringt auch deshalb in mir etwas zum Klingen, weil sie ungefähr die Wegstrecke beschreibt, die zu gehen mir selbst aufgegeben wurde - zwischen Missbrauch (und totaler Verachtung des „Priesters“) und einem Bleiben in der Kirche, das mehr ist, als ein kompromisshaftes Stehen zu einer Sozialform, in die man nun einmal schicksalshaft hineingeworfen wurde.

Hätte Bischof Heiner Willmer recht und gehöre das Böse zur „DNA“ der Kirche – eine zumindest missverständliche Formulierung –, dann wäre es mit einer geistigen Hygiene nicht vereinbar, auch nur einen weiteren Tag in dieser irreparabel korrupten Kirche zu bleiben. Das Mindeste wäre eine radikale persönliche „Entkirchlichung“, was nun mit Jesus auch nicht zu machen ist.

Und das führt mich zu Franziskus von Assisi und seiner Kirchenerfahrung. Leute, lest mal wieder Kirchengeschichte des 12. und 13. Jh.s - oder ein Buch wie die geniale Franziskus-Biografie von Vauchez. Müßig, sich damit zu befassen, welcher Kirchenzustand ruinöserer war – der von damals oder der von heute. „Baue meine Kirche wieder auf!“ Was den jungen Wilden, der Franziskus war, ausgerechnet bewog, kein rebellischer Schwarmgeist zu werden, sondern sich ausgerechnet der „Priesterkirche“ zu Füßen zu werfen – das ist das Große an ihm.

Und jetzt muss man den Abschnitt davor lesen im Testament – die Stelle, an der er den Ekel überwand und den Aussätzigen küsste. „Und da ich fortging von ihnen wurde mir das Bittere in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt. Und danach hielt ich eine Weile inne und dann verließ ich die Welt.“

Das ist das Gegenteil von Bagatellisierung der Verbrechen in der Kirche. Wie käme ausgerechnet ich dazu!? So möchte ich durchaus nicht verstanden werden. Ich möchte nur einladen jene Kirche zu suchen, die Jesus in Anbetracht des absehbaren Verrats seiner unmöglichen „Repräsentanten“ von Petrus an ins Werk setzte. Es lohnt sich vielleicht wieder in das Buch „Das neue Volk Gottes“ von Ratzinger zu schauen, und dort das Kapitel aufzuschlagen wo er vom Ineinander von Heiligkeit und Sünde spricht („Schwarz bin ich, aber schön!“).

Einspruch: Ich kenne den Inhalt des Testaments vom Hl. Franziskus nicht, aber sind Sie sich sicher, dass er sich vor der „Priesterkirche“ niederwarf?

Bernhard Meuser: Ja, man kann es nicht anders sagen: Franziskus, der ein Freak war und nur im Kontext der radikal kirchenkritischen Schwärmerbewegungen seine Zeit zu verstehen ist, tat das vollkommen Unerwartete: Unterwerfung unter die Institution, deren existenzielle Kritik er in ikonischer Weise darstellte. Durch die in jeder Weise entstellte Kirche hindurch sah er Christus – den jetzt und hier zu küssenden Aussätzigen…

Einspruch: In einem „Priester“, der ein Kind missbraucht, kann niemand den Aussätzigen des Franziskus oder gar Christus erkennen. Das wäre sonst eine Perversion des Evangeliums. Der Ratzingertext hat einen anderen Zusammenhang.

Bernhard Meuser: Ich fühle mich gerade nachhaltig missverstanden. Warum willst Du gerade mir erklären, wie sich jemand fühlt, dem Missbrauch widerfahren ist? Habe ich mir Bagatellisierung von Missbrauch zuschulden kommen lassen?

Natürlich ist nicht jeder ein Franziskus. Ich kann alles verstehen, kann sogar im Kirchenhass mancher unter den Verletzten und Geschändeten noch die verratene Hoffnung wahrnehmen, ihn authentisch finden, was immer. Mir geht es aber um genau das provokant Prinzipielle, um das es Franziskus, Ratzinger, de Lubac, von Balthasar und anderen ging. Es gibt keinen Umweg um das Verbrechen und den Verrat in der Kirche. Das ist in der inkarnatorischen Annahme der Menschennatur sozusagen „drin“ im Spiel. Wir sind keine Gnostiker, haben kein Recht, neben der heilig-sündigen Kirche eine neue, andre, bessere, reinere Kirche aus eigenen Gnaden zu errichten, deren erste Jünger wir sind.

Der bekannte Theologe und Buchautor Berhard Meuser ist der Initiator des „Youcat“. Er war in seiner Jugend selbst zum Opfer des sexuellen Missbrauchs durch einen katholischen Priester geworden. Siehe auch das kath.net-Interview (Link).

 


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