Das Leben muss geschützt werden

1. Oktober 2021 in Prolife


Wenn es um Leben und Tod geht, ist ergebnisoffene Beratung unmenschlich - Von Cornelia Kaminski / VISION200


Wien (kath.net/http://vision2000.at)

Wenn uns die Lockdowns während der Covid-19-Pandemie eines gelehrt haben, dann, wie sehr Menschen als soziale Wesen unter Einsamkeit leiden. Aber statt dieser Einsamkeit nun wirksam entgegenzutreten, wird derzeit überlegt, wie Sterbewillige beraten werden sollen. Und wie schon bei der Abtreibung gilt ergebnisoffene Beratung auch diesmal als Lösung – ein falscher Ansatz, wie die Autorin zeigt.

Noch liegen keine validen Daten vor, die eine zuverlässige Aussage über die Entwicklung der Suizidraten während der Lockdowns erlauben; eine Steigerung ist jedoch auf Grund entsprechender Erfahrungen mit der SARS Epidemie (2003) vorstellbar. Eine soziale, solidarische und liberale Gesellschaft muss darauf reagieren. Jeder Suizid zeigt an, dass ein Mensch das Netz seiner sozialen Beziehungen verlassen wollte. Aufgabe einer „sorgenden Gemeinschaft“, wie sie von den Autoren des Diskussionspapiers der deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum assistierten Suizid erstrebt wird, ist es, Sorge dafür zu tragen, dass dieser Wunsch gar nicht erst entsteht oder ihm – wo dies misslungen ist – adäquat begegnet wird.
Die nur schwer zu lösende Aufgabe besteht darin, das Autonomiebestreben der suizidwilligen Menschen einerseits gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren, andererseits aber dem ebenfalls verfassungsgemäßen Auftrag, menschliches Leben zu schützen, gerecht zu werden. Wie kann sichergestellt werden, dass der Suizidale tatsächlich autonom handelt, sein Sterbewunsch unverrückbar und beständig ist und kein gesellschaftliches Klima entsteht, in dem der selbst herbeigeführte Tod den gleichen Stellenwert hat wie das Leben?

Im Diskussionspapier der Leopoldina werden an die Straffreiheit bei der Durchführung des assistierten Suizids folgende Bedingungen geknüpft: von einer umfassenden, „ergebnisoffenen“ Beratung von Suizidwilligen, einer personellen und organisatorischen Trennung der Prüfung der „Freiverantwortlichkeit“ des Suizidwunsches vor der Durchführung der Suizidassis­tenz, sowie von der Festschreibung einer zwischen Beratung und Durchführung liegenden Bedenkzeit ist ebenso die Rede wie vom Vier-Augen-Prinzip: der beratende Arzt darf nicht die Suizidassistenz durchführen.

Die Ähnlichkeiten zu den Abtreibungsregelungen sind frappierend. Waren denn die Schutzwirkungen, die hierdurch entfaltet werden sollten, so effektiv? Im Gegenteil. Fast dreißig Jahre nach der Novellierung des § 218 StGB kann festgestellt werden, dass die Bestrebungen, damit einen Schutz des ungeborenen Lebens zu erreichen, keine große Wirkung erzielt haben. Vielmehr hat die Formulierung „rechtswidrig, aber straffrei“ dazu geführt, dass Abtreibungen von vielen als erlaubt angesehen werden.
Was ist unter Beratung zu verstehen? Ganz grundsätzlich sucht eine Beratung derjenige, der in seinem Entschluss unsicher ist. Von der Person, die ihn berät, erwartet er zusätzliche Informationen und Kompetenz – auf dem Gebiet, auf dem sie berät, verfügt sie über mehr Autorität als der Ratsuchende selbst.

Eine Beratungspflicht macht nur dann Sinn, wenn in dieser Beratung Perspektiven eröffnet und Informationen vermittelt werden, die dem Suizidwilligen noch nicht bekannt waren, und die einen Einfluss auf seinen Todeswunsch haben könnten.
Wer sich auf ein Beratungsgespräch einlässt, erwartet neben Informationen in aller Regel Empathie und Wertschätzung. Ein Arzt rät zur, in seinen Augen, bestmöglichen Therapie, weil er den Patienten heilen möchte, ein Lehrer schätzt die Leistungsmöglichkeit seiner Schüler ein und rät daher zu einer bestimmten schulischen Laufbahn, weil ihm der schulische oder berufliche Erfolg seiner Schüler wichtig ist.

In allen Fällen gilt: die persönliche Einschätzung des Ratgebers – „Ich glaube, diese Entscheidung ist für dich die Beste“ – drückt Wertschätzung für den Ratsuchenden aus. Sie ignoriert auch nicht die Autonomie des Ratsuchenden, denn der erwartet ja genau diese persönliche Ein- und Wertschätzung.  

„Ergebnisoffen“ ist ein Beratungsgespräch, in dem eine solche Formulierung fällt, jedoch nicht. „Ergebnisoffen“ wäre eine völlig wertneutrale Gegenüberstellung der Optionen, ohne persönliche Meinung, ohne Rat.

Im Fall des Suizidalen ist eine solche „ergebnisoffene“ Beratung fatal. Dem Menschen, der sich von einer Brücke stürzen möchte, müsste man möglichst sachlich erklären, welche Konsequenzen dies hat (Aufprall, möglicherweise Schmerz, eventuell – bei verunglücktem Versuch – schwerwiegende gesundheitliche Folgen), und ebenso neutral schildern, welche Konsequenzen sich aus seinem Weiterleben ergeben, um anschließend zu sagen: „Entscheide selbst. Ich habe dazu keine Meinung.“

Depression, Einsamkeit, das Gefühl, nicht erwünscht oder geliebt zu sein: das sind Gründe für eine Selbsttötungsabsicht. Wer in einer solchen Situation vermittelt bekommt, dass es eigentlich egal ist, wie er sich entscheidet, erhält damit die Bestätigung für das, was er bis dahin nur vermuten konnte: „Die Gesellschaft als solche hat kein Interesse an meiner Existenz. Es ist ihr egal, ob es mich gibt oder nicht.“  Das Leben des Suizidwilligen schützt eine solche „ergebnisoffene“ Beratung daher kaum, im Gegenteil: sie könnte sogar seine Selbsttötungsabsicht noch verstärken.

Aus christlicher Perspektive verbietet sich eine ergebnisoffene Beratung in Situationen, in denen eine Entscheidung über Leben oder Tod eines Menschen ansteht, ohnehin vollständig: Es steht uns nicht zu, Gottes Pläne mit seinen Geschöpfen eigenmächtig zu durchkreuzen. Genau das würde jedoch eine solche ergebnisoffene Beratung bedeuten. Da wir keine Kenntnis Seiner Pläne haben, können wir nur Ihm die Entscheidung über Leben oder Tod eines Menschen überlassen und müssen daher ergebnisorientiert beraten: Lebe! Gott hat noch einen Plan mit Dir.

Die Bemühungen, mit dem verhängnisvollen Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf eine Weise umzugehen, die dem Anspruch einer „sorgenden Gemeinschaft“ gerecht wird, sind ohne Zweifel anzuerkennen. Jedoch: Wir haben mit diesem Urteil eine schiefe Ebene betreten, an deren unteren Ende die Tötung allen menschlichen Lebens stehen könnte, das die Gesellschaft als „nicht mehr lebenswert“ oder „menschenunwürdig“ betrachten könnte.

Die empirische Suizidforschung lehrt uns, wie unbeständig Suizidwünsche sind, wie wenig autonom Menschen handeln, die sich selbst töten möchten. Es ist daher dringend erforderlich, Regelungen zu finden, die ein tatsächliches Schutzkonzept für menschliches Leben darstellen. Dazu gehört vor allem eine breite, politische Aufklärungskampagne über den Wert allen menschlichen Lebens. Davon sind wir leider weit entfernt.

Die Autorin ist Bundesvorsitzende der „Aktion Lebensrecht für alle“ (ALfA).

 

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