„Wird bei der Taufe das Stirnchakra verschlossen?“

20. September 2021 in Kommentar


Das christliche Basiswissen bei Eltern von Täuflingen (beider Großkonfessionen) wird immer geringer. Kommentar von Petra Lorleberg


Frankfurt a.M. (kath.net/pl) „Wird bei der Taufe das Stirnchakra verschlossen?“ So lautet der Titel eines Beitrags in „evangelisch.de“, dem offiziellen Internetportal der EKD („Evangelische Kirche in Deutschland“). Wer meint, sich hier über „evangelisch.de“ ärgern zu müssen, ist allerdings mit dem falschen Dampfer unterwegs. Denn das Internetportal greift eine Leserfrage auf und „evangelisch.de“-Mitarbeiter Pfr. Frank Muchlinsky beantwortet sie durchaus sensitiv und mit behutsamer Hinführung zum christlichen Glauben: Es gehe beim Kreuzzeichen auf der Stirn des Täuflings darum, „das Kreuz als Symbol der Gemeinschaft der Christenheit und als Zeichen für den Tod und die Auferstehung Jesu Christi an dem Täufling sozusagen ‚anzubringen‘.“ Der Pfarrer bzw. die Pfarrerin spreche zum Stirnkreuz die Worte: „Nimm hin das Zeichen des Kreuzes. Du gehörst Christus, dem Gekreuzigten.“ Oder alternativ „Ich zeichne dich mit dem Kreuz. Jesus Christus hat dich erlöst.“

Bemerkenswert bei diesem Beitrag von „evangelisch.de“ ist nicht die Antwort des Pfarrers, sondern vielmehr die Frage eines Vaters. Er habe sich anlässlich der Taufe seines Kindes im Internet informiert und sei auf dieses Thema des Verschließens des Stirnchakras gestoßen, schildert der Vater „Hans-Werner“. Was er nicht schildert, ist allerdings, wo er diese merkwürdigen Informationen gefunden hat, denn eine normale Googlesuche zum Stich wort "Taufe, evangelisch" befördert das Thema der Stirnchakren nur selten auf den Monitor. War der Vater im Internet vielleicht auch sonst fleißig in esoterischen Themenkreisen unterwegs und hatte sich Google dieser Vorliebe bereits angepasst?

Bemerkenswert ist obendrein, dass dieser Vater mit seiner Frage – offenbar problemlos – in die Religionsvermischung gleitet. Der evangelische Pastor Muchlinsky reagiert auch hier pastoral behutsam, formuliert aber dankenswert klar: „Die Chakren spielen in der christlichen Religion keine Rolle. Es soll also auch nicht verschlossen werden.“

Bemerkenswert ist aber vor allem, dass es Eltern von Täuflingen gibt, die eine solche Frage – bzw. ähnlich verirrte Fragen – ernsthaft stellen. Die Kindertaufe sieht sowohl bei Protestanten wie auch bei Katholiken eigentlich vor, dass gläubige, praktizierende Eltern ihr Kind dem Heiland und Erlöser Jesus Christus anvertrauen und dass sie von Herzen bereit sind, es in den (selbstpraktizierten!) christlichen Glauben hinein zu erziehen. Wenn jemand ernsthaft die Frage nach dem Verschließen eines „Stirnchakras“ stellt, zeigt er damit, dass es am christlichen Glaubenswissen und an seinem klaren Bekenntnis zum christlichen Glauben (etwa im Credo) letztlich fehlt. Das können durchaus Fehler in der christlichen Verkündigung sein, die hier zur Auswirkung kommen. In beiden Konfessionen werden ja Basics des Glaubens oft genug vernachlässigt.

Dennoch ist an dieser Frage durchaus positiv bemerkenswert: Immerhin FRAGT der Vater. Immerhin macht er sich Gedanken und lässt nicht einfach alles wie Wasser an Wachs an sich abgleiten. Obendrein: Der Vater geht immerhin davon aus, dass bei der Taufe auf der spirituellen Ebene etwas geschieht. Spürbar traut er dem Sakrament der Taufe Wirkmacht zu. Möglicherweise glaubt er damit sogar noch mehr als so manche Familie (egal, ob protestantisch oder katholisch), die die Taufe nur noch als Lebensabschnittsfeier und Anlass zur Begrüßung eines neuen Mitglieds im Kreis ihrer Verwandten ansehen.

Ob es wohl an der Zeit wäre, dass die Evangelische Kirche in Deutschland – ebenso übrigens wie die katholische Kirche in Deutschland – über ihr System der Glaubenskatechese nachdenkt, das als „fertige Endprodukte“ einfach zu wenige wirklich praktizierende Gläubige hervorbringt? (Oder ist das Ziel der gegenwärtigen Glaubenskatechese möglicherweise gar nicht, Gläubige hervorzubringen, sondern soll es vielmehr nur künftige Kirchensteuerzahler produzieren?) Wo bleibt der grundlegende Impuls zur Neuevangelisierung, bsp. in Synoden- und Pfarreiversammlungen beiderlei Konfession? Wo bleiben ernsthafte geistliche Vertiefungsangebote mit intellektuellem und spirituellem Niveau? Denn es gilt für die Evangelische Kirche in Deutschland ebenso das, was der spätere Papst Benedikt XVI. 1958 als blutjunger, frisch habilitierter Theologe Joseph Ratzinger hellsichtig mit Blick auf die katholische Kirche so kritisierte: Eine „Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen“. (Siehe Link)

Anmerkung: In der EKD gilt die Taufe als eines von zwei Sakramenten. Die evangelisch-landeskirchliche Taufe wird von katholischer Seite her voll anerkannt, bei einer späteren Konversion wird nicht bedingungsweise nachgetauft, vielmehr werden dem Neukatholiken nur noch die Firmung und die Erstkommunion gespendet.

 


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