Update aus der Theologie zum Plagiatsjahr 2021

4. September 2021 in Kommentar


„Plagiate gibt es in allen Fachrichtungen, aber dass Theologie davon betroffen ist, müsste erschüttern: Sollte man nicht von Theologinnen/Theologen, vor allem von (künftigen) Priestern, Integrität erwarten dürfen?“ Gastkommentar von Gudrun Trausmuth


Wien (kath.net) Das Prinzip des Betrugs beim Plagiat bleibt immer gleich: In publizierten Arbeiten werden fremde Texte ohne Ausweisung der Quelle übernommen. Dass Plagiate Hochkonjunktur haben, spiegeln die Aktivitäten des Salzburger Kommunikationswissenschaftlers und Plagiatsjägers Stefan Weber, der heuer sowohl mit Plagiatsvorwürfen gegenüber der deutschen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock („Die Grünen“) in die Öffentlichkeit trat als auch die Plagiatsaffäre rund um die ehemalige österreichische Ministerin für Arbeit, Jugend und Soziales, Christine Aschbacher (ÖVP) ins Rollen brachte: Laut Weber sind mindestens 21% der von Aschbacher an der TU Bratislava vorgelegten Dissertation abgeschrieben bzw. kopiert… In Bezug auf Plagiate gibt es wenig Unrechtsbewusstsein, das macht auch die Causa Franziska Giffey deutlich; die deutsche Politikerin verlor nach Plagiatserweisen zwar ihren Doktortitel und musste als Bundesfamilienministerin zurücktreten, kündigte aber kurz darauf an, den SPD-Landesvorsitz in Berlin anzustreben.

Die prominenten Beispiele fächern die Ebenen einer verbreiteten Plagiatsproblematik auf: Nach Auftauchen der Vorwürfe erfolgt die stereotype Reaktion, die Arbeit „nach besten Wissen und Gewissen“ verfasst zu haben, dann, nach Bestätigung des Plagiatsverdachts, kommt der schrittweise Rückzug - auf dem wachsenden Scherbenhaufen des Vertrauens in wissenschaftliche Arbeit. Jenseits dessen, was medial diskutiert wird, schimmert ein anderer Bruch durch: Akademische Bildung war seit ihrer Entstehung gebunden an ein Meister-Schüler-Verhältnis, das Begleitung und Betreuung impliziert. Ist dieses Verhältnis intakt, wird Plagiat kein Thema sein. Wenn der „Betreuer“ einer Master- oder Doktorarbeit allerdings seinen Namen nicht verdient bzw. kaum Ahnung von Inhalt, Stil und Formalia einer Arbeit hat, weil er sie nicht oder unzureichend sorgfältig liest, so ist einem lockeren – man könnte auch sagen, missbräuchlichen - Umgang mit wissenschaftlichen Standards Tor und Tür geöffnet.

Die dringend notwendige Auseinandersetzung mit dem Phänomen Plagiat wird als lästig und unangenehm empfunden, weil sie eine Konfrontation mit institutionellen Versäumnissen und Schwachstellen erfordert, der man sich nicht stellen will. Diese Scheu führt bisweilen sogar zu einer Täter-Opfer-Umkehr, wo der Whistleblower als beckmesserischer Störenfried empfunden wird, während man bereit ist, über das zugrundeliegende Problem des Betrugs hinwegzusehen.

Plagiate gibt es in allen Fachrichtungen, dass auch die Theologie davon betroffen ist, müsste eigentlich erschüttern: Sollte man nicht von Theologinnen und Theologen, vor allem von (künftigen) Priestern, Integrität erwarten dürfen, auch als Wissenschaftler? – Der vom Philosophen und Wissenschaftsethiker Michael Dougherty (Ohio Dominican University) kürzlich veröffentlichte Aufsatz “Plagiarism in the Sacred Sciences: Three Impediments to Institutional Reform” (Philosophy and Theology 32.1-2, 2021) ist geeignet, diesbezüglich die Augen zu öffnen: Dougherty setzt sich darin mit dem Phänomen des Plagiats in wissenschaftlichen Publikationen der Fachgebiete Philosophie und Theologie auseinander und arbeitet drei kritische Punkte heraus, die der Verhinderung von Plagiaten bzw. institutionellen Reformen entgegenstehen: Dougherty betont, Plagiate würden oft geduldet, um den Ruf von Personen und Institutionen zu schützen. Dies geschehe allerdings auf Kosten der gesamten Scientific Community: die falschen Personen würden die Ernte der intellektuellen Mühe anderer einfahren, ebenso würden durch nichtgeahndete Plagiatsfälle Forschungsgelder und Arbeitsplätze falsch vergeben. Um Bischofsernennungen und andere Beförderungen im kirchlichen Kontext unter bedenklichen Voraussetzungen zu vermeiden, plädiert Dougherty explizit für eine kritische Lektüre akademischer Arbeiten sowie für die Veröffentlichung von Plagiatsvorwürfen. Ein weiterer Punkt betrifft die Textgestaltung selbst: die Nennung einer Quelle müsse überlegt und in unmittelbarer Nähe eines Zitats erfolgen; das bloße Anführen eines Werkes, aus dem wörtliche Übernahmen erfolgten, im allgemeinen Literaturverzeichnis, sei ein ungenügendes „Bauernopfer“. Doughertys dritter Punkt bezieht sich auf die vielstrapazierte „Plagiatsintention“. Der verbreiteten Praxis, sich nach Plagiatsvorwürfen damit zu rechtfertigen „nach bestem Wissen und Gewissen“ gearbeitet zu haben, erteilt Dougherty eine Abfuhr: entscheidend sei bei Plagiatsverdacht die Faktenlage.

Diesbezüglich liefert der Plagiatsforscher in seinem Aufsatz ein gleichermaßen drastisches wie überzeugendes Fallbeispiel. Es geht um die theologische Dissertation von Stephen Robson, seit 2012 Bischof des Bistums Dunkeld, Schottland. Robsons Arbeit über Bernhard von Clairvaux wurde 2004 mit dem „Bellarmin-Preis“ der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom ausgezeichnet; 2019 wies der Heiligenkreuzer Kirchenhistoriker P. Alkuin Schachenmayr in den „Analecta Cisterciensia“ darauf hin, dass dutzende Passagen in Robsons Doktorarbeit mit nichtzitierten Textstellen der Sekundärliteratur identisch oder fast gleichlautend sind. Zwei Monate später veröffentlichte eine – aus drei ungenannten Professoren bestehende - Kommission der Gregoriana das Urteil, Stephen Robsons Dissertation enthalte keinerlei Plagiat und erfordere keine weitere disziplinäre Maßnahme…. Roma locuta, causa finita? – Obwohl nach einer Lektüre des Schachenmayr-Aufsatzes über die Robson-Dissertation das Urteil der Kommission völlig unverständlich ist, schien es zunächst so. - Und damit nicht genug, denn dem renommierten Kirchenhistoriker Schachenmayr wurde infolge des Robson-Beitrags die langjährige Herausgeberschaft (2008-2020) der „Analecta Cisterciensia“ entzogen, angesichts seiner Aktivitäten als Plagiatsforscher die Lektüre von Heiligenkreuzer Diplomarbeiten verboten und seine Lehrtätigkeit als Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. vorübergehend ausgesetzt. Wie kath.net berichtete (https://www.kath.net/news/75117), protestierte in der Folge die Arbeitsgemeinschaft österreichischer Kirchenhistoriker mit einem offenen Brief gegen die „Disziplinierungen“ von P. Alkuin Schachenmayr durch Abt Maximilian Heim.

Richtig spannend wird es jetzt, denn Michael Doughertys weiterführende Plagiatsanalyse der Bernhard-Dissertation Robsons bestätigt die Resultate Schachenmayrs nachdrücklich. Entgegen dem Urteil der Gregoriana-Kommission beharrt Dougherty mit weiteren Beweisen auf dem Plagiatsvorwurf gegen den schottischen Bischof. In zwölf Tabellen vergleicht der Plagiatsforscher „originale“ Passagen aus Robsons Dissertation mit Texten anderer Wissenschaftler: mittels farbiger Markierungen macht Dougherty sichtbar, dass ein Großteil der Auswahl, Darstellung und Analyse in Robsons Dissertation bereits in früheren Publikationen von anderen Autoren geleistet worden war – die entsprechenden Autoren und Quellen dokumentiert Dougherty selbstverständlich.

Fassen wir den Status quo zusammen: Die Dissertation eines katholischen Theologen und nunmehrigen Bischofs, wurde 2004 von der Gregoriana ausgezeichnet und geriet 2019 unter Plagiatsverdacht, der postwendend von der Gregoriana zurückgewiesen wurde. Nun zeigt nach dem Kirchenhistoriker Schachenmayr auch der Wissenschaftsethiker Dougherty auf, dass Robsons Bernhard-Dissertation voller Plagiate ist … - Wie wird die Päpstliche Universität Gregoriana reagieren?

Obwohl die Plagiatsproblematik natürlich genauso alle anderen Fakultäten der universitären Welt betrifft, ist eine „Vogel-Strauss-Politik“ geeignet, in der Theologie den größten Schaden anzurichten. Denn, wie steht es um die Glaubhaftigkeit einer „Lehre von Gott“ (das ist die eigentliche Bedeutung des Begriffs „Theologie“), die unredliche Methoden toleriert? Ginge die Theologie hingegen in der Bekämpfung von Plagiaten offensiv voran, würde sie sich selbst den größten Dienst erweisen.


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