Ihr unvernünftigen Galater! Im Geist habt ihr angefangen und jetzt wollt ihr im Fleisch enden

1. September 2021 in Aktuelles


Franziskus: wider die Stimme der Sirenen, die zu einer Religiosität verführen wollen, die allein auf der peinlich genauen Einhaltung der Gebote beruht. Die Rigiden und die Gefahr der Fundamentalisten. Von Armin Schwibach


 

Rom (kath.net/as) “Ihr unvernünftigen Galater, wer hat euch verblendet? Ist euch Jesus Christus nicht deutlich als der Gekreuzigte vor Augen gestellt worden? Dies eine möchte ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist durch die Werke des Gesetzes oder durch das Hören der Glaubensbotschaft empfangen? Seid ihr so unvernünftig?” (Gal 3,1-3).

Generalaudienz mit Pilgern und Besuchern in der Aula “Paolo VI”. Papst Franziskus setzte seine Katechesenreihe zum Brief des Apostels Paulus an die Galater fort. Der siebte Teil stand unter dem Thema: „Ihr unvernünftigen Galater!”.

In der heutigen Katechese betrachtete der Papst, wie Paulus in seinem Brief an die Galater seine Zuhörer mit Entwicklungen in ihrer Gemeinde konfrontiert, die sie der Gefahr aussetzen, sich von der empfangenen Gnade zu entfernen.

Im Gegensatz zu anderen Briefen spreche Paulus die Adressaten nicht als geliebte Brüder an, ja er bezeichne sie sogar zweimal als unverständig, nicht wegen eines Mangels an Intelligenz, sondern weil sie Gefahr liefen, die Schönheit der Neuheit des Evangeliums zu verkennen.

Die Ausdrücke, mit denen der Apostel die Galater anspricht, seien gewiss nicht höflich. In anderen Briefen finde man also leicht den Ausdruck “Brüder” oder “ihr Lieben”, aber nicht hier. Er sage ganz allgemein “Galater” und nennt sie zweimal “unvernünftig”. Er tue dies nicht, weil sie nicht intelligent wären, sondern weil sie, fast ohne es zu merken, Gefahr liefen, den Glauben an Christus zu verlieren, den sie so begeistert angenommen hätten. Sie seien töricht, weil sie nicht erkennten, dass die Gefahr darin bestehe, “den kostbaren Schatz, die Schönheit der Neuheit Christi, zu verlieren. Das Staunen und die Traurigkeit des Apostels sind offensichtlich. Nicht ohne Bitterkeit erinnert er diese Christen an seine erste Verkündigung, mit der er ihnen die Möglichkeit bot, eine bisher unerhoffte Freiheit zu erlangen”.

Der Apostel stelle den Galatern Fragen, um ihr Gewissen aufzurütteln. Diese Fragen seien rhetorisch, denn die Galater wüssten sehr wohl, “dass ihr Glaube an Christus die Frucht der Gnade ist, die sie durch die Verkündigung des Evangeliums erhalten haben”.

Das Wort, das sie von Paulus hörten, habe sich auf die Liebe Gottes konzentriert, die im Tod und in der Auferstehung Jesu voll zum Ausdruck komme. Paulus konnte keinen überzeugenderen Ausdruck finden als den, den er ihnen in seiner Predigt wahrscheinlich mehrmals gesagt habe: “Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Was ich nun im Fleische lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat” (Gal 2,20).

Die Galater müssten auf dieses Ereignis blicken, ohne sich von anderen Verkündigungen ablenken zu lassen. Kurz gesagt: “Paulus will die Christen in die Enge treiben, damit sie sich bewusst werden, was auf dem Spiel steht, und sich nicht von der Stimme der Sirenen verführen lassen, die sie zu einer Religiosität verführen wollen, die allein auf der peinlich genauen Einhaltung der Gebote beruht”.

Paulus zeige seine Verwunderung darüber, dass sie nicht in der Lage seien, das Leben in Christus von der bloßen äußeren Befolgung von Vorschriften zu unterscheiden. Demgegenüber rufe Paulus den Galatern das Wirken des Geistes in Erinnerung, das sie selbst in der Liebe und verschiedenen Charismen erlebt hätten.

Der Aufruf des Paulus, in Treue zum gekreuzigten und auferstanden Herrn zu leben, gelte auch uns: “Lassen wir uns nicht von oberflächlichen Einflüssen ablenken und bleiben wir stets fest verankert im Glauben an den menschgewordenen Herrn, der uns erlöst hat!”.

Die Galater hingegen hätten sehr gut verstanden, worauf der Apostel anspiele. Sie hätten das Wirken des Heiligen Geistes in den Gemeinschaften sicher erfahren. Wie in den anderen Kirchen hätten sich auch bei ihnen die Nächstenliebe und verschiedene Charismen manifestiert. Als sie auf die Probe gestellt worden seien, “mussten sie antworten, dass das, was sie erlebt hatten, die Frucht der Neuheit des Geistes war”. Am Anfang ihrer Hinwendung zum Glauben sei also die Initiative Gottes gestanden, nicht die der Menschen. Der Heilige Geist war der Protagonist ihrer Erfahrung. Ihn jetzt in den Hintergrund zu stellen, um ihren eigenen Werken den Vorrang zu geben, wäre töricht. Die Heiligkeit komme vom Heiligen Geist.

Auf diese Weise lade uns Paulus auch ein, darüber nachzudenken, wie wir unseren Glauben lebten: “Bleibt die Liebe des gekreuzigten und auferstandenen Christus als Quelle des Heils im Mittelpunkt unseres täglichen Lebens, oder begnügen wir uns mit ein paar religiösen Formalitäten zur Beruhigung unseres Gewissens? Hängen wir an dem kostbaren Schatz, an der Schönheit der Neuheit Christi, oder bevorzugen wir etwas, das uns im Moment anzieht, uns dann aber innerlich leer lässt? Das Vergängliche klopft oft an die Tür unserer Tage, aber es ist eine traurige Illusion, die uns in Oberflächlichkeit verfallen lässt und uns daran hindert zu erkennen, wofür es sich wirklich zu leben lohnt”.

Wir sollten uns also die Gewissheit bewahren, dass Gott auch dann, wenn wir versucht seien, uns abzuwenden, weiterhin seine Gaben schenke. Der Papst wartne erneut vor einer Rigidität, die zu einem Fundamentalismus führe. Dies bekräftige der Apostel gegenüber den Galatern, wenn er in Erinnerung rufe: “Warum gibt euch denn Gott den Geist und bewirkt Machttaten unter euch? Aus Werken des Gesetzes oder aus dem Hören der Glaubensbotschaft?” (Gal 3,5). Der Apostel spreche im Präsens - “gibt”, “bewirkt” - und nicht im Präteritum. Denn trotz aller Schwierigkeiten, die wir seinem Handeln entgegensetzten, lasse Gott uns nicht im Stich, “sondern bleibt in seiner barmherzigen Liebe bei uns. Bitten wir um die Weisheit, uns dieser Realität stets bewusst zu sein”. Dfundamnetalisten sollen beiseite gelassen werden.

Die Pilger und Besucher sowie die Zuschauer und Zuhörer aus dem deutschen Sprachraum grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:

Einen herzlichen Gruß richte ich an die Gläubigen deutscher Sprache. Leben wir unseren Glauben in der Liebe zum gekreuzigten und auferstandenen Herrn, denn nur in ihm finden wir den Weg des wahren Lebens, der uns zum vollkommenen Glück führt. Der Heilige Geist möge uns allezeit die Kraft für jedes gute Werk geben.

 


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