Afghanistan: „Großer Rückschlag für die Menschenrechte“

24. August 2021 in Weltkirche


„Kirche in Not“ beurteilt Aussichten für die Religionsfreiheit düster


Wien-München (kath.net/KIN)

Am 19. August, dem 102. Jahrestag der Unabhängigkeit Afghanistans vom britischen Empire, rief der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, das Land per Twitter zum „Islamischen Emirat Afghanistan“ aus. Nach dem Abzug internationaler Truppen haben die Taliban das Land innerhalb weniger Wochen vollständig unter ihre Herrschaft gebracht.

Das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ (international Aid to the Church in Need – ACN) äußerte seine tiefe Sorge über die jüngsten Entwicklungen – sowohl was die Zukunft der religiösen Minderheiten in Afghanistan angeht sowie die Menschenrechtslage überhaupt. Das Hilfswerk befürchtet eine Sogwirkung für die ganze Weltregion.

Der Geschäftsführende Präsident von „Kirche in Not“ (ACN), Dr. Thomas Heine-Geldern, erklärte:

„Wir sind zutiefst schockiert und alarmiert über die Ereignisse in Afghanistan. Während der vorangegangenen Herrschaft der Taliban (1996-2001) führten sie landesweit eine strenge Version der Scharia ein. Wir können auch jetzt damit rechnen, dass die Scharia wieder eingeführt, der sunnitische Islam zur offiziellen Religion erklärt wird und die in vergangenen 20 Jahren hart erkämpften Freiheiten und Menschenrechte, einschließlich eines gewissen Maßes an Religionsfreiheit, wieder zurückgenommen werden.

Verschlechterung vorhergesehen

,Kirche in Not’ hat in seiner im April 2021 veröffentlichten Dokumentation ,Religionsfreiheit weltweit’ die Verschlechterung der Situation in Afghanistan vorhergesehen. Während der 22 Jahre, in denen der Bericht erscheint, zählte Afghanistan immer zu den Ländern, die das Menschenrecht auf Religionsfreiheit massiv verletzt haben. In der jüngsten Ausgabe hat ,Religionsfreiheit weltweit’ die wiederholten und ungeheuerlichen Angriffe auf Gotteshäuser, religiöse Führer und Gläubige in den vergangenen drei Jahren herausgestellt.

Unsere Analyse lässt leider nicht viel Raum für Hoffnung. Alle Bewohner Afghanistans, die sich nicht den extremen islamistischen Ansichten der Taliban anschließen, sind in Gefahr – selbst moderate sunnitische Muslime. Die Schiiten, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, die kleine christliche Gemeinschaft und alle anderen religiösen Minderheiten werden noch stärker unterdrückt werden. Dies ist ein großer Rückschlag für die Menschenrechte und insbesondere für die Religionsfreiheit in Afghanistan.

Anerkennung der Taliban: Magnet für kleinere radikal-islamische Gruppen

Bedauerlicherweise hat eine Reihe von Ländern schnell Sympathien für das neue Emirat geäußert. Das legitimiert nicht nur die Taliban. Es wird auch andere autoritäre Regime weltweit und besonders in der Region ermutigen und zu zunehmenden Verstößen gegen die Religionsfreiheit in diesen Ländern führen. Die internationale Anerkennung der Taliban wird außerdem wie ein Magnet auf kleinere radikal-islamische Gruppen wirken und eine neue Konstellation religiös motivierter terroristischer Gruppierungen schaffen, die historische Organisationen wie Al-Kaida und den sogenannten Islamischen Staat verdrängen könnten. Zu den besonders besorgniserregenden Gebieten gehören Pakistan, die Palästinensischen Autonomiegebiete und die Provinz Idlib in Syrien. Die Lage der Christen und der anderen religiösen Minderheiten, die ohnehin schon unterdrückt werden, wird sich dort noch weiter verschlechtern.

Der Inhalt der Gespräche, die seit 2020 in Doha zwischen den Taliban und den westlichen Regierungen sowie zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung geführt wurden, bleibt weitgehend geheim. Daher ist uns keine weitergehende Einschätzung möglich, was die die getroffenen Vereinbarungen für diejenigen Afghanen bedeuten, die sich nicht den extremen islamistischen Ansichten der Taliban anschließen.

Diplomatische und ethische Fragen für die Staatengemeinschaft

Unzählige schwierige diplomatische Fragen bleiben offen. Die unerwartete und freiwillige Flucht und Amtsniederlegung von Präsident Ashra Ghani stellt den Westen vor ethnische und moralische Schwierigkeiten. Denn vor Wochen haben die an den Gesprächen mit den Taliban beteiligten Länder erklärt, sie würden niemals ein Regime anerkennen, das gewaltsam die Macht ergriffen hat. Werden die Taliban auf Menschrechtsforderungen reagieren, wenn es keine institutionellen Ansprechpartner gibt? Die Tatsache, dass die meisten westlichen Botschaften und internationale Beobachter das Land verlassen, so wie sie es 2011 in Syrien getan haben, ist kein gutes Zeichen.

,Kirche in Not’ (ACN) fordert die internationale Gemeinschaft auf, zum Schutz der Menschenrechte für alle Bürger Afghanistans ihre Stimme zu erheben. Wir gehen davon aus, dass insbesondere die Religionsfreiheit bedroht sein wird. Wir rufen außerdem unsere Wohltäter auf, in dieser zutiefst beunruhigenden Zeit in der Geschichte Afghanistans weiter für das Land und seine Menschen zu beten.“

Über 99 Prozent der Bevölkerung Afghanistans sind Muslime, davon der größte Teil Sunniten. Zu den etwa 0,1 Prozent der Angehörigen anderer Religionen gehören Hindus, Bahai, Buddhisten und Christen. Schätzungen aus dem Jahr 2018 sprachen lediglich 200 Katholiken im Land.

Weitere Informationen zu Afghanistan enthält der Bericht „Religionsfreiheit weltweit 2021“ von „Kirche in Not“: https://acninternational.org/religiousfreedomreport/de/reports/af/

Foto: Dr. Thomas-Heine Geldern, Geschäftsführender Präsident von „Kirche in Not“ (ACN), mit dem Bericht „Religionsfreiheit weltweit 2021“ © Kirche in Not


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