Yad Vashem ehrte Kardinal Höffner

7. Mai 2004 in Deutschland


"Sie haben in schwierigen Zeiten Mitmenschlichkeit gezeigt und Verantwortung getragen, als andere Ihr Verhalten für verantwortungslos hielten"


Köln (kath.net/PEK/red)
„Yad Vashem hat Sie, Frau Hesseler, und Ihren Bruder ausgezeichnet und nimmt Sie in den Kreis ’Gerechte/r unter den Völkern’ auf,“ erklärte in seiner Laudatio Josef Zolk, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Flammersfeld-Horhausen, dem Geburtsort der Höffners. Und er fuhr beim Festakt zur Verleihung von Urkunde und Medaille in der Israelischen Botschaft in Berlin fort: „Sie haben in schwierigen Zeiten Mitmenschlichkeit gezeigt und Verantwortung getragen, als andere Ihr Verhalten für verantwortungslos hielten. Sie haben Nächstenliebe selbstverständlich gelebt, als dies große Gefahren für Sie selbst und Ihre Familie bedeutet hat. Sie haben Menschen geholfen, ohne nach dem System zu fragen. Sie sind menschlich geblieben, als die Unmenschlichkeit regierte. Sie haben sich nicht an das Klima des Bösen gewöhnt. Nein, Sie haben Gewichte in die Waagschale der Tugend gelegt, als die Waagschale des Bösen schon überbordete. Sie haben dem Leben des Mitmenschen Ehrfurcht entgegengebracht, als diese Menschen ausgegrenzt waren.“ Was hatten der spätere Kardinal Joseph Höffner und seine Schwester Helene Hesseler getan?

Von 1939 bis 1943 war Joseph Höffner Vikar in Kail an der Mosel. Im Rahmen der Kinderlandverschickung kam das jüdische Mädchen Esther Sara Meyerowitz alias Christa Koch aus Berlin nach Kail. Höffner nahm sich persönlich des Kindes an, denn nur er alleine kannte ihre jüdische Identität. Ab März 1943 versteckte er das Mädchen vor dem Zugriff der Gestapo in seinem Pfarrhaus, in dem seine Schwester Maria Höffner Haushälterin war. Als Höffner nach Trier versetzt wurde, brachte er das Mädchen bei guten Freunden unter, der Familie des Bauern Wilhelm Heuchler in Kail, die es bis Oktober 1945 beherbergte. Nach Kriegsende beantragte Höffner bei der amerikanischen Militärregierung für Alice Esther Sarah einen Interzonenpass, um sie in Berlin wieder mit ihrer Mutter zu vereinen, die den Holocaust überlebt hatte. Mutter und Tochter wanderten nach Amerika aus. Weiterhin brachte Höffner die Jüdin Dr. Edith Nowak und ihren evangelischen Ehemann Dr. Hans Nowak für sechs Monate in seinem Elternhaus in Horhausen unter, in dem seine Schwester Helene Hesseler und ihre Familie lebten. Helene Hesseler wusste, dass sie einer jüdischen Frau und ihrem Mann Unterschlupf gewährte. Sie schwieg darüber aber eisern – auch gegenüber ihrem Ehemann, der als Soldat bei der Wehrmacht diente.

Das Verhalten der Höffners ist laut Frau Kuck, deutsche Repräsentantin von Yad Vashem, vor folgendem Hintergrund zu sehen: „Bereits in der Weimarer Republik wurden von den Kirchen beständig und kompromisslos nationalsozialistische Rassenpolitik und Antisemitismus als unvereinbar mit der christlichen Lehre herausgestellt. Das Konfliktfeld, in dem Kirche und Nationalsozialismus 1933 aufeinander trafen, war bestimmt durch den totalitären Gleichschaltungswillen des Regimes bei gleichzeitiger Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Kirche. Nach 1933 und dem scheinbar kirchenfreundlichen Reichskonkordat setzten mit steigender Tendenz alltägliche Schikanen gegen Pfarrerschaft und Gemeindemitglieder sowie allgemeine Restriktionen wie Verbot der Kirchenblätter ein. In der von Anfang an offenkundigen Opposition von einzelnen Pfarrern und Ordensgeistlichen bildete die Kirche einen Gegner, der wegen seiner Verankerung in weiten Bevölkerungsschichten für die Durchsetzung der verbrecherischen Ziele des Regimes sehr gefährlich war. ... Rund ein Drittel aller deutschen Kleriker sind in irgendeiner Weise Strafmaßnahmen des Regimes ausgesetzt gewesen. Dabei reichte die Skala von der Verwarnung durch die Gestapo bis zum Tod im Konzentrationslager oder auf dem Schafott.“

Shimon Stein, Botschafter Israels in Berlin, dankte den Geehrten für ihr selbstloses Handeln, ihre Wachsamkeit gegenüber hilflosen Mitmenschen und ihre Menschlichkeit in Zeiten der Not. Ihr Handeln sei begründet in einer tiefen Verwurzelung im eigenen Charakter, einer unerschütterlichen Zuversicht und einem geistigen Hintergrund, der der nationalsozialistischen Propaganda einen Zugriff auf die eigene Persönlichkeit verwehrte.

In seinem Grußwort sagte Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, es sei gut, dass von den Opfern der Unmenschlichkeit „an die Menschlichkeit in unmenschlicher Zeit erinnert wird“ – auch wenn dies nachträglich nichts entschuldige oder von der Mithaftung befreie. Man müsse sich der Vergangenheit erinnern, um nicht blind für die Gegenwart zu werden und anfällig für neue Ansteckungsgefahren.

Der Kölner Weihbischof Manfred Melzer überbrachte die herzlichen Grüße des verhinderten Kölner Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner. Melzer, langjähriger Kaplan und Geheimsekretär Kardinal Höffners, erinnerte an den bescheidenen, zurückhaltenden und sich nie vordrängenden Höffner, der von seinen Taten in Nazizeiten nie öffentlich erzählte und der sich auch in der Sprache so sehr zurücknahm, dass er seine Aussagen in die dritte Person zu kleiden pflegte. Eine der selten Gelegenheiten, bei denen er seine eigene Zurückhaltung durchbrochen habe, sei die Schilderung des Weihnachtsfestes 1945 gewesen; damals habe er „Gründe zur Hoffnung, zur Zuversicht“ gehabt: keine Gestapo mehr, keine Spitzel unter der Kanzel, die die Predigt mitschrieben, keine Angst mehr vor Bombenangriffen, und: „ich war glücklich, dass das jüdische Mädchen Esther Sarah, das ich seit 1943 in meiner Seelsorgestelle verborgen hatte, bald wieder unversehrt zu ihren Eltern ... zurückkehren konnte.“ Ich war glücklich – ein Satz, den er nie an anderer Stelle aus dem Munde Höffners gehört habe, berichtete Melzer.

Eine Feierstunde der Art, wie Feierstunden selten sind – ehrlich und herzlich, ohne Scheuklappen und vermintes Gelände, im guten Sinne besinnlich, nachhaltig nachdenklich und mit der unausgesprochenen Frage an jeden selbst: Wie hättest du dich damals verhalten? Die mahnende Erinnerung bleibt. Und auch die Frage: Wie wirst du dich verhalten, wenn du vor einer vergleichbaren Situation stehen solltest?


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