Weißrussland: „Die Kirche kann nicht gleichgültig bleiben“

20. August 2021 in Weltkirche


Rigides Vorgehen gegen die Opposition, gewaltsam unterdrückte Massenproteste: Europa schaut schockiert auf die Lage in Weißrussland.


Wien-München (kath.net/kin)

Rigides Vorgehen gegen die Opposition, gewaltsam unterdrückte Massenproteste: Europa schaut schockiert auf die Lage in Weißrussland. Hinzu kommt, dass das Land auch von der Corona-Krise schwer getroffen wurde. In der aktuell angespannten Situation hat auch die katholische Minderheit des Landes Repressalien zu erdulden. Internationale Bekanntheit erlangte der Fall des Minsker Erzbischofs Tadeusz Kondrusiewicz, dem nach Kritik an der politischen Führung monatelang die Wiedereinreise verweigert worden war.

 

Wie die Kirche trotzdem für die Menschen da ist und warum in der aktuellen Situation sogar eine Chance für die ökumenische Annäherung liegt, darüber hat das weltweite kirchliche Hilfswerk „Kirche in Not“ (ACN) mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz von Weißrussland, Aleh Butkewitsch, gesprochen. Der 49-Jährige leitet seit 2014 das Bistum Wizebsk im Norden von   Weißrussland. Das Interview führte Maria Lozano.

 

Maria Lozano: Weißrussland geht durch eine schwere Krise. Wie versucht die Kirche in dieser Zeit für die Menschen da zu sein?

Bischof Aleh Butkewitsch: Die Kirche muss angesichts der Prozesse, die in der Gesellschaft vor sich gehen, nicht gleichgültig bleiben – schließlich sind an ihnen dieselben Menschen beteiligt, die mehrheitlich auch der Kirche angehören. Deshalb versucht die Kirche, ihre Herzen zu erreichen, indem sie sie zu Frieden und Versöhnung aufruft sowie zum Dialog, um die Probleme zu lösen. Wir bieten auch alle mögliche Hilfe an: geistliche, psychologische und manchmal auch materielle Unterstützung für Menschen, die sich in einer besonders schwierigen Situation befinden.

 

Gibt es auch Beeinträchtigungen der kirchlichen Arbeit?

Im Prinzip hat die Krisensituation den Dienst der Kirche nicht ernsthaft behindert oder eingeengt, mit Ausnahme von Einschränkungen bei der Übertragung von Gottesdiensten und, in einigen Fällen, einer verstärkten behördlichen Kontrolle der Aktivitäten einzelner Priester und Pfarreien.

 

Wie hat sich die Corona-Krise in Weißrussland ausgewirkt und was hat die Kirche getan, um die Folgen zu lindern?

Wie überall auf der Welt hatte Epidemie auch in Weißrussland einen negativen Einfluss auf das öffentliche Leben und die wirtschaftliche Situation. Die Kirche ist eine der ersten Institutionen gewesen, die auf das Auftreten der Epidemie reagiert hat. Wir haben Sicherheitsmaßnahmen in Form von Desinfektionsmöglichkeiten in Kirchen, Maskenpflicht bei Gottesdiensten und Einhaltung der sozialen Distanz getroffen. In der Folge wurden Projekte organisiert, um medizinische Organisationen bei der Anschaffung der notwendigen Schutz- und Präventionsausrüstungen zu unterstützen. Die Zahl der Online-Übertragungen von Gottesdiensten in Gemeinden hat zugenommen. Hier hat uns „Kirche in Not“ sofort unter die Arme gegriffen.

 

Die Mehrheit der Bewohner von Weißrussland gehört der orthodoxen Kirche an. Wie ist das Verhältnis zur orthodoxen Kirche? Gibt es eine etablierte Ökumene, auch angesichts der gesellschaftlichen Fragen?

Die Beziehungen zur orthodoxen Kirche, aber auch zu Vertretern anderer Konfessionen und Religionen sind friedlich. In den meisten Fällen, vor allem auf der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen, wie zum Beispiel in konfessionsgemischten Familien, würde ich sie als freundschaftlich bezeichnen. Jegliche interkonfessionellen und interreligiösen Unterscheidungen lösen sich praktisch auf, wenn es um die Rettung des Menschen geht.

 

Sehr viele katholische Priester in Weißrussland stammen aus dem Ausland, zum Beispiel aus Polen. Stellt sie das vor Probleme, etwa bei der Visavergabe? Gibt es sprachliche Barrieren gegenüber den Gemeinden?

Mittlerweile ist die Mehrheit unserer Priester aus Weißrussland. Aber wir sind noch weit davon entfernt, auf die Hilfe von Priestern aus dem Ausland verzichten zu können. Wir sind gerade den polnischen Priestern für ihre langjährige und selbstlose Arbeit in unserem Land sehr dankbar. Ihr Dienst wird dadurch erschwert, dass sie regelmäßig – einmal im Jahr oder sogar halbjährlich – die Genehmigung für die seelsorgerische Tätigkeit einholen müssen. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, dass sie diese Erlaubnis ohne Angabe von Gründen verlieren. Was die Frage der Sprache in der heiligen Messe betrifft, so gibt es kein Problem. Bei den ausländischen Geistlichen existieren keine Sprachbarrieren.

 

Wie könnte die katholische Weltkirche ihre Verbundenheit mit den Menschen in Weißrussland zum Ausdruck bringen?

Es gibt bereits Unterstützung durch die Weltkirche für Weißrussland – vor allem das Gebet vieler Orden, Kongregationen, Pfarreien und Einzelpersonen. Vor allem schätzen wir das Gebet und das Gedenken von Papst Franziskus, der besorgt ist über das, was in unserem Land geschieht. Diese geistige Einheit ist für uns eine wesentliche Stütze in der aktuellen Situation. Es gibt diplomatische Versuche der Vertretung des Heiligen Stuhls in Weißrussland, um den Menschen in dieser schwierigen Situation zu helfen, eine friedliche Lösung der Krise in unserem Land herbeizuführen und seine Situation in der Weltgemeinschaft positiv zu beeinflussen. 

 

Foto: Christinnen in Minsk bei einem Gebet um Frieden. © Witalij Poliniewski/Catholic.by


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