Der Untergang des christlichen Humanismus naht

17. August 2021 in Kommentar


Über die Priesterausbildung zwischen Psychologie und Soziologie - Von Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Das jüngste Konzil hat 1965 verhältnismäßig wenig zum Priesterstand gesagt. Obwohl es sah, dass der Erfolg der damals geplanten Erneuerung der Kirche weitgehend vom Klerus abhängen werde. Aufgewertet wurden theoretisch die Laien, auch wenn sie dann praktisch kaum gefragt wurden, etwa zur Liturgiereform. Aufgewertet wurden vor allem die Bischöfe, sodass manche sich heute ermächtigt sehen, ihre Diözesen nach Belieben zu versenken. Rezipiert wurden die Priesterdekrete des Konzils kaum, abgesehen von den "Exit-Stellen", den progressiven Einfügungen, die es nach Rahner/Vorgrimler erlauben, Konzilsentscheidungen gegen ihren Sinn revolutionär zu interpretieren. Das Dokument "Optatam totius" zur Priesterbildung enthält beispielsweise auffällig viele Querverweise auf Pädagogik, Psychologie und Soziologie. Damit konnte man was anfangen! Zugleich wurde zwar das Ausbildungsprinzip des "tridentinischen" Seminars festgeschrieben. Papst Paul VI. hatte schon in einem seiner ersten Schreiben vom 4. November 1963 das Priesterseminar nach den Vorgaben des Konzils zu Trient gerühmt, also zu erkennen gegeben, dass er das überlieferte Priesterbild verteidigt. Aber die "Theologen des Bruchs" waren entschlossen, dieses Konzept zu ruinieren.

Das tridentinische Seminar zeichnete sich durch eine äußere Strenge und fromme Lebensführung aus. Der Zweck dieser Ordnung war jedoch immer der innere, seelische Fortschritt der Alumnen. Man darf sich die Situation so vorstellen, dass vorkonziliar junge Männer in den Seminaren eifrig lernten und schwitzen, heimlich aber bereits Teilhard de Chardin lasen und andere Neuerer. Die bloße Ankündigung des Konzils könnte manche wüste Assoziationen von "free sex for everyone" ausgelöst haben. Die Englischkenntnisse waren damals allerdings noch hinter den Lateinkenntnissen zurück. Spekulationen über eine "Freigabe des Zölibats" (gemeint ist heute damit die Abschaffung jeder Ehemoral) wurden von den hl. Päpsten Johannes XXIII. und Paul VI. jedoch systematisch enttäuscht. Bis heute verweigern sich große Teile des nachkonziliaren Klerus der Einsicht, dass der christliche Humanismus anstrengender und fordernder ist als beispielsweise der atheistische "Humanismus", falls ein solcher überhaupt existiert.

Wie nur konnte es passieren, dass zahlreiche Konvikte und Seminare zu Pflanzstätten erotischer Verwirrung wurden, obwohl das Zweite Vatikanum das direkte Gegenteil angeordnet hatte? Wer es "zuhause" noch nicht begriffen hatte, der bekam möglicherweise auf der Gregoriana in Rom noch Nachhilfe erteilt! "Das Konzil" hat am Priesterbild gar nichts Wesentliches geändert. Der Pfarrer von Ars war also mit Recht auch Patron des "Priesterjahres" 2009/10, was P. Klaus Mertes SJ immens frustriert haben wird. Den Priestern und ihrer Ausbildung wurden allerdings massive zusätzliche Pflichten auferlegt, im Namen der "neuen Lehre". Äußerlich in eine lockere Ordnung entlassen, werden die Priesterkandidaten heute, so ist zu hören, nicht selten innerlich unter Dauerstress gesetzt. Die Wenigen sollen ausgebildet, beurteilt, dressiert, erzogen, sozialisiert und therapiert werden. Selbstverständlich ist ein Priesterseminar auch heute keine Vorstufe der Psychiatrie, aber "behandelt" werden die Seminaristen von ihren Erziehern trotzdem. Für diese ist das Modellieren an lebenden Menschen mitunter nur eine erwünschte Karrierestufe auf ihrer "Flucht nach oben". Trotz ihrer nachgewiesen extrem schwachen Leistung in der Priesterbildung stolpern manche hinauf ins Bischofsamt. Wahrscheinlich war die Art der Aktenführung viel akribischer und die Kunst, günstige Meldungen nach oben zu formulieren, ausgeprägter als bei dem durchschnittlichen "Mitbruder".

Wenn es hierzulande zutrifft, dass der Erfolg des Konzils vom Klerus abhing, dann ist es wohl nur gerecht, dass mit der Selbstverschrottung des Klerus die Entsorgung des konziliaren Humanismus einhergeht. Denn für den priesterlich gewandeten Sozialpädagogen gibt es keine Nachfrage. Wobei Domkapitulare und Generalvikare in jüngster Zeit wieder vermehrt im lässigen Anzug mit bunten Krawatten einherstolzieren. Die erste Welle des Räuberzivils ist allerdings rund 50 Jahre vorbei. Was damals gutbürgerlich rüberkam, das wirkt heute lächerlich: fast nur noch Sparkassendirektoren und Behördenleiter treten so auf, von Anwälten und Wirtschaftsbossen mal abgesehen. Das wird dann wohl das "Priesterbild" sein, das postmodern vermittelt werden soll: Bei uns geht es um Geld und um Verwaltung. Basta. Wozu dann noch das unentwegte Herumdoktern an der Priesterbildung, bei gegen Null tendierender Zahl der Berufungen? Man hat doch jahrezehntelang unüberhörbar kommuniziert, dass die "deutsche Kirche" den Priester nicht mehr will, jedenfalls nicht als Priester.

Das katholische Priestertum, vorkonziliar wie nachkonziliar, zeichnet sich durch eine besondere Würde aus. Die Priesterweihe stiftet - grundsätzlich unverlierbar - eine besondere Bindung an Jesus Christus selber. Darauf beruhen besondere Vollmachten, die alle priesterlichen Funktionen an Christus als den Herrn der Kirche zurückbinden. Das Weihepriestertum ist das Rückgrat der sakamentalen Struktur der Kirche. Wer ihr das Rückgrat bricht, nicht nur durch die Ausbreitung homosexueller Cliquen im Klerus, will wohl freie Bahn schaffen für eine Kirchlichkeit ohne Sakrament, ohne die darin garantierte Christusbegegnung und auch ohne den daraus hervorquellenden echten Humanismus auf Erden.

Gepredigt wird den wenigen Neupriestern heute, dass sie nichts Besonderes sind und vor allem keine "Mamasöhnchen" sein sollen. Die deutschen Bischöfe sehen in ihren Priestern zumeist immer noch willfährige Werkzeuge, die alle Pirouetten der Diözesanverwaltung still leidend mitvollziehen sollen. Der Priester hat "Gehorsam" geschworen, also hat er zu dulden! Ein in der Öffentlichkeit um ein besonders warmherziges Selbstbild bemühter Bischofsdarsteller nimmt sich nicht einmal mehr die Zeit, mit einem Priester persönlich zu sprechen, den er suspendieren will. Man ist ja Autokrat in seinem gottgegebenen Bistum. Wozu dann noch die Menschenwürde respektieren? Zum "guten Ton" nachkonziliarer Karrieristen gehört es, die Sehnsucht nach der einfachen Seelsorge zu betonen, um ganz nah "bei den Menschen" zu sein. Wenn es dann, nach unerforschlichem Ratschluss, anders kam, warum schickt der Bischof dann unbotmäßige Priester wie zur Strafe an die Front? Zum guten Ton gehört es auch, "den Menschen" als Maß der Seelsorge zu feiern, die Ausgrenzung "von Menschen" als schmerzhaft zu beklagen, die Kirche als Institut "von Menschen für Menschen" zu definieren. Trotzdem bleiben die Menschen weg, sogar viele, die auf den diözesanen Gehaltslisten stehen. Denn christlicher Humanismus funktioniert anders. Er hat anderes zu sagen als nur: "Mensch Meier!"

Für die deutschen (österreichischen, schweizerischen ....) Verhältnisse drängt sich der Verdacht auf, dass die Umsetzung des Konzils auf keinem Gebiet so grandios gescheitert ist wie auf dem der Priesterbildung. Die Zeichen der Zeit empfahlen 1968 ff.: 'Keine Experminente!' Umso lustvoller wurde experimentiert von Priestern, die Priester nach ihrem Bild und Gleichnis formen wollten. Vielleicht hat in unseren Breiten nur Marcel Lefebvre in Ecône damals (zunächst legal) ein Priesterseminar gegründet, das den Zielen auch des von Zweiten Vatikanums für die Priesterbildung in etwa entsprach, von einigen politisch motivierten Extratouren abgesehen. Inzwischen gibt es wieder etwas mehr Auswahl; und daran wird 'Traditionis custodes' mit seiner spürbaren Verachtung für das immer gültige Priestertum Christi auch nichts mehr ändern. Die Zeit arbeitet für die Tradition. Auch das lehrt das Konzil.

 

 


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