Aufbruch zum geistigen Kampf

12. Juni 2021 in Spirituelles


Appell, der zunehmend bedrohlichen Säkularisierung entgegenzutreten - Von Christof Gaspari / VISION 2000


Wien (kath.net/VISION2000.at)

Wer nur etwas Sensibilität besitzt, spürt: Unsere Gesellschaft ist bedroht – nicht so sehr durch Corona und der im Gefolge verhängten Maßnahmen, das wohl auch, vor allem aber durch die geistige Entwurzelung der Menschen. Orientierungslosigkeit in wesentlichen Fragen beherrscht die Szene.

Wie groß diese Orienterungslosigkeit ist, macht eine kürzlich in Österreich durchgeführte Befragung deutlich: 61% der Befragten erklärten sich mit der vom Verfassungsgerichtshof dekretierten Beihilfe zum Selbstmord einverstanden! Und fast jeder Zweite könnte sich vorstellen, selbst solche „Hilfe“ in Anspruch zu nehmen. Ohne feste Verankerung im Glauben lassen sich eben die meisten Menschen offenbar alles einreden, was ihnen lang genug eingetrichtert wird.


Zwei Bücher, die ich in den letzten Wochen gelesen habe, beschreiben einerseits diesen Prozess der Unterwanderung, andererseits die Perspektiven, die sich aus ihr ergeben.

Da war zunächst das sehr empfehlenswerte Buch Der denaturierte Mensch und seine Rechte (Siehe s. 20-21). Es zeigt, dass wir mitten in einem systematischen Umbau unseres Wertesys­tems stecken. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, der eigentlich für die Einhaltung der Menschenrechte in Europa Sorge tragen sollte, betreibt seit Jahren eine Rechtssprechung, die diese Rechte umbaut und neu deutet. Das Ergebnis: Abtreibung und Euthanasie werden zunehmend zu „Rechten“ hochstilisiert, die „Ehe für alle“ als Institution etabliert, die künstliche „Produktion“ von Kindern gefördert… Wer dies kritisiert, handelt sich den Vorwurf ein, Hass zu verbreiten, und wird immer öfter vor Gericht zitiert (siehe Kasten rechts).

Es lohnt sich, einige Überlegungen zu den Menschenrechten anzustellen. Warum? Weil sie heute – auch von Christen – als wertvolles Referenzsystem in dieser Welt angesehen werden. Da ist zunächst festzustellen, dass es sich um vom Menschen dekretierte Rechte handelt. Daher sind sie nicht für Zeit und Ewigkeit in Stein gemeißelt, sondern können von Menschen – das Recht gehe ja vom Volk aus, wie Österreichs Verfassung erklärt – geändert werden.

Das unterscheidet sie von den 10 Geboten, die von Gott verkündet wurden. Diese gelten für alle Menschen zu allen Zeiten, weil sie von einer höheren Autorität stammen. Sich nach ihnen zu orientieren, entspricht dem Wesen des Menschen. Mit gu­tem Willen sieht jeder ein, dass sie einzuhalten, dem Wohl des Menschen dient. Im Naturrecht finden sie ihren Niederschlag. Mit zunehmendem Glaubensverlust hat sich unsere Rechtssprechung jedoch von ihm entfernt.

Und so werden die Menschenrechte zum Spielball der Mächtigen, wie wir derzeit in der Corona-Krise erleben. Die meisten dieser Rechte wurden in den letzten 15 Monaten einfach auf Eis gelegt. Wie sehr wurden wir eingeschränkt: in unserer Bewegungsfreiheit, in unserem Familien- und Erwerbsleben, in der Ausübung unseres Glaubens, in der öffentlichen Äußerung von Meinung, in der Versammlungsfreiheit… Ich möchte hier kein Klagelied anstimmen, wohl aber auf die enorme Missachtung der Grundrechte hinweisen, die ihre Bewährungsprobe nicht bestanden haben. Zwar hat der Verfassungsgerichtshof im Nachhinein viele Verordnungen aufgehoben. Nur hielt das die Regierung keineswegs ab, weiter ähnliche Vorschriften zu erlassen. Und wer hat registriert, dass wir längst nicht mehr in einer halbwegs freien Markt-, sondern in einer in weiten Bereichen zentral verwalteten Wirtschaft leben?

Die letzten 15 Monate haben eine Entwicklung beschleunigt und damit sichtbar gemacht, die sich schon seit langem abgezeichnet hat. Der Umbau unseres gesellschaftlichen Wertesys­tems folgt einer Logik, die sich aus dem Fortschrittsdenken der letzten Jahrzehnte fast zwangsläufig ergibt. In seinem internationalen Bestseller (verkaufte Auflage 10 Millionen, übersetzt in 50 Sprachen) mit dem bezeichnenden Titel Homo Deus (Der Mensch als Gott) entwirft der israelische Philosoph Yuval Noah Harari „Eine Geschichte von Morgen“, wie es im Untertitel heißt. Einige Kostproben aus dem Buch lassen erkennen, wohin die Entscheidungen der Eliten unserer Tage, der politischen Entscheidungsträger, der Medienmacher, der Wissenschafter und Techniker, der Manager von Großunternehmen und der internationalen Organisationen die Menschheit im postchristlichen Zeitalter tendieren. So liest man etwa in der Einleitung: „Nachdem wir ein beispielloses Maß an Wohlstand, Gesundheit und Harmonie erreicht haben und angesichts (…) der gegenwärtigen Werte werden die nächsten Ziele der Menschheit wahrscheinlich Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit sein.“ Man glaube es kaum, aber Harari hält dieses Projekt für realisierbar.
So sagt er weiters: „Das ,Up­grade’ von Menschen zu Göttern kann auf drei Wegen erfolgen: durch Biotechnologie, durch Cyborg-Technologie und durch die Erzeugung nicht-organischer Lebewesen.“ Oder: „Für moderne Menschen ist der Tod vielmehr ein technisches Problem, das wir lösen können und lösen sollten.“

Ich belasse es bei diesen Zitaten. Sie führen uns die Grundproblematik unserer Situation vor Augen: unsere Gottlosigkeit. Sie treibt die Entwicklung zu einer komplett menschengemachten Welt voran. Was als rational notwendige Veränderung auf wissenschaftlichem Hintergrund verkauft wird, ist nichts anderes als die Frucht des Geis­tes, der dem Menschen suggeriert: „Ihr werdet sein wie Gott.“ Sicher, das war immer schon die Versuchung, der die Menschheit ausgesetzt war. Das Neue und Dramatische an unserer heutigen Situation ist, dass wir über ein mächtiges Instrumentarium verfügen, das uns schwerwiegende Eingriffe in Mensch und Schöpfung – und das weltweit! – ermöglicht. Diese Maschinerie hat die Tendenz, sich zu verselbständigen. Sie verliert damit den Charakter, dienlich zu sein, sondern wird geistig von der Gottlosigkeit besetzt, dämonisiert, wie der große Theologe Romano Guardini schreibt (Seite 10-11).

Für Christen bedeutet das: Aufwachen, endlich aufwachen! Unsere Zeit ist gerade dabei, den letzten Rest der christlichen Zivilisation zu verschleudern. Dadurch entsteht jedoch nicht einfach ein neutrales, perfekt funktionierendes System vernünftiger, rationaler Entscheidungen und Verhaltensweisen, wie Harari es erhofft. Nein, es bricht ein neues Heidentum an. Und das wird nicht harmlos sein. Denn das Heidentum wird vom Widersacher des lebendigen Gottes beherrscht. Und dieser ist ein Mörder. Er fordert blutige Opfer. Derzeit ist es der hundert millionfache Mord an ungeborenen Kindern. Kommunismus und Nationalsozialismus haben jedoch gezeigt, wie umfassend sich Neuheidentum austoben will. Das Neuheidentum, das derzeit auf sanften Pfoten daherkommt, wird sich nicht anders gebärden.  
Diese Ausführungen dürfen Sie, liebe Leser, nicht als Untergangshysterie eines alten Mannes interpretieren. Sie sind der Versuch, die Zeichen der Zeit zu lesen, um zu begreifen, wie groß die Bedrohung und wie wichtig unsere Berufung als Christen ist: Der Welt vor Augen zu führen, dass es eine Alternative zum Weg in den Abgrund gibt, weil dort, wo Menschen ihr Leben in Jesu Hände legen, wahre Erfüllung stattfindet, die Sorgen verblassen, Friede wächst, Freude erlebt wird. Damit dies geschehen kann, müssen wir Christen uns noch viel mehr als bisher für Sein heilbringendes Wirken öffnen. Denn wir haben, wie der Apostel Paulus sagt, „nicht gegen Menschen zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ Und diese Gewalten hat Jesus Christus besiegt.

Das klingt in den Ohren der meisten Zeitgenossen sicher als total daneben. Es ist aber der Kampf, in dem die Christenheit von Anfang an stand. Nur haben die meisten von uns das ausgeblendet – zu unserem Schaden. Diesem Kampf muss der Christ sich auch heute stellen, und er kann ihn auch bestehen. Unsere Glaubensgeschwister im Osten haben genau so einen Kampf in der kommunistischen Ära aufgenommen und bestanden.

Dazu aber war es notwendig, Waffen anzulegen, die Paulus für diesen geistigen Kampf empfiehlt: den „Schild des Glaubens“, „den Helm des Heils“, „das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes“. Und vor allem: „Betet jederzeit im Geist.“ (Eph 6)
Das Pfingstfest, das wir in diesen Tagen gefeiert haben, soll uns ermutigen, in einer feindlichen Umwelt zu verkünden: Wir sind dem lebendigen Gott begegnet. Er ist nicht eine Hypothese, die man verwerfen kann. Er hat die Welt geschaffen. Er regiert sie. Wer sich auf Seine Seite stellt und für den Heiligen Geist öffnet, hat jeden Grund zum Jubel. Denn er muss sich nicht mehr ängstlich um alles sorgen.

Schlussbemerkung: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass solches leicht gesagt ist und durch eigene Anstrengung nicht bewerkstelligt werden kann. Es ist Geschenk Gottes – für das wir uns allerdings öffnen können. Die Aposteln haben dieses Geschenk zu Pfingsten empfangen. Der Herr wird es denen, die beharrlich darum bitten nicht vorenthalten.


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