Embryonen “verwerten”: Verantwortungsvolle Forschung akzeptiert ethische Grenzen

2. Juni 2021 in Prolife


Nach Ansicht der Wissenschaftler sollten die bei In-Vitro-Befruchtung entstandenen „überzähligen“ Embryonen künftig der Forschung für „höherrangige Forschungsziele“ zugeführt werden. Gastkommentar von Susanne Wenzel


Berlin-Halle (kath.net/The Germanz)  In der vergangenen Woche haben die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften in ihrer 55-seitigen Stellungnahme zur „Neubewertung des Schutzes von in-vitro-Embryonen in Deutschland“ gefordert, das Verbot der verbrauchenden Embryonenforschung in Deutschland aufzuheben.

Bislang regelt das 1991 in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz (ESchG), dass die im Rahmen der Verfahren künstlicher Befruchtung (IVF) extrakorporal, also außerhalb des Körpers erzeugten Embryonen, die nicht zur Fortpflanzung genutzt werden, entweder für spätere künstliche Befruchtungsverfahren kryokonserviert werden oder – sofern sie nicht an andere Paare zur IVF gespendet werden – verworfen, d. h. vernichtet werden. Nach Ansicht der Wissenschaftler sollten diese „überzähligen“ Embryonen künftig der Forschung für „höherrangige Forschungsziele“ zugeführt werden. Auch überzählige Embryonen, die nach einer Präimplantationsdiagnostik (PID) aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung Frauen nicht eingepflanzt werden, könnten nach Vorstellung der Autoren noch der Forschung dienen.

Das Embryonenschutzgesetz verbietet bislang die Erzeugung von Embryonen zu anderen Zwecken als der künstlichen Befruchtung. Nach Ansicht der Forscher rechtfertigt der Anspruch diagnostische, präventive oder therapeutische Verfahren mit Hilfe der Embryonenforschung zu entwickeln allerdings die Erzeugung und den Verbrauch von in-vitro-Embryonen. Wie eine solche verbrauchende Embryonenforschung konkret aussieht, zeigt das Beispiel der Entwicklungsbiologin Kathy Niakan, die am Francis Crick Institute in London arbeitet. Sie erhielt 2016 als erste Wissenschaftlerin der Welt die Erlaubnis, in das Erbgut menschlicher Embryonen einzugreifen. Für jedes Gen, mit dem sie forschte, „verbrauchte“, also tötete, sie ca. 20 bis 30 dieser „überzähligen“ menschlichen Embryonen.

Mit dem Papier wird eine alte Diskussion neu entfacht, die aber zentral ist: Wie ist der moralische und verfassungsrechtliche Status des Embryo? Dass auch die Zellkugel, wie es im Papier heißt, in der Petrischale menschliches Leben ist, steht außer Frage. Das wird auch in der Stellungnahme nicht angezweifelt. Es wird aber die Frage gestellt, ob dem Embryo in diesem Stadium schon Würde zukommt und ob auch er deshalb schon einen Schutzanspruch hat? Kann es tatsächlich einen graduellen Würde- und Schutzanspruch geben? Nein. Der Embryo ist Mensch von Anfang an. Es gibt in seiner Entwicklung keinen Moment, an dem etwas völlig Neues entsteht und er zum Menschen wird.

Ihre Forderungen rechtfertigen die Forscher ferner mit der in Artikel 5 unseres Grundgesetzes verankerten Forschungsfreiheit, die aus ihrer Sicht nicht eingeschränkt werden dürfe. Dass Forschungsfreiheit ein Grundrecht ist bedeutet nicht, dass sie auch grenzenlos ist. Im Gegenteil. Die Forschung unterliegt sehr wohl nicht nur den Grenzen ihrer Methoden, sondern auch moralischen Grenzen. Gerade die deutsche Geschichte hat das mit viel Leid bewiesen. Jede Grundfreiheit endet dort, wo sie andere Grundrechte tangiert. Der Schutz der Würde und des Lebens sind eindeutig höherrangig.

Auch wenn Verfahren der Therapie von Krankheiten erforscht werden sollen, bleibt bei allem Verständnis festzuhalten, dass der Anspruch zur Heilung nicht gegen einzelne Mitglieder der Spezies Mensch ausgespielt werden darf. Der Embryo darf nicht zugunsten anderer instrumentalisiert und getötet werden. Ab wann wir dem Menschen seine Würde zuerkennen, ist weder naturwissenschaftlich festzulegen noch eine Frage von Mehrheiten.

Wiederholt verweist die Stellungnahme darauf, dass in anderen Ländern keine oder bedeutend weniger Grenzen festgeschrieben sind und fordert eine Orientierung an internationalen Standards. Eine internationale Debatte ist tatsächlich nötig, zeigt sich doch gerade dort eindrücklich, dass gemacht wird, was nur irgendwie möglich ist, wenn es keine Grenzen gibt. Internationale Standards, die die verbrauchende Forschung mit Embryonen verbieten, sind geboten. Gerade im Hinblick auf die in den vergangenen Jahren möglich gewordenen Eingriffe in die menschliche DNA.

Vor allem die deutschen Vertreter aus Politik und Wissenschaft sollten dabei die Wertordnung unseres Grundgesetzes und die bei uns dazu festgeschriebenen Lösungen offensiv vertreten.

Verantwortungsvolle Forschung kennt und akzeptiert ihre ethischen Grenzen und passt nicht die Ethik den jeweils neuesten Forschungsmöglichkeiten an. Es bleibt am Ende die Frage, wie und mit welchen Mitteln wir nach Fortschritt streben. Ganz sicher nicht, indem wir grundlegende Werte missachten.


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