‚In der Liebe bleiben’: den Willen Gottes tun und die Freude Gottes erfahren

7. Mai 2021 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: „Das Neue“ ist eine Welt voller Freude, in der es keine Leiden und keine Unterdrückung mehr gibt, in der es weder Groll noch Hass gibt. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Freitag der fünften Woche der Osterzeit. Die Weite und Tiefe der Liebe wird vom Vorbild Christi her bestimmt. Er ist der wahre Weinstock. Wir können auch sagen: er ist der wahre Freund, und er will, dass wir jedem Menschen als Freund begegnen, als Bruder.

„Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt“ (Joh 15,12-17).

Benedikt XVI., 2. Mai 2010: aus der Predigt beim Pastoralbesuch in Turin – Eucharistiefeier auf der Piazza „San Carlo“

Wir befinden uns in der Osterzeit, der Zeit der Verherrlichung Jesu. Das Evangelium, das wir soeben gehört haben, erinnert uns daran, daß sich diese Verherrlichung durch die Passion verwirklicht hat. Im österlichen Geheimnis sind Passion und Verherrlichung eng miteinander verbunden, sie bilden eine untrennbare Einheit. Jesus sagt: »Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht« (Joh 13,31), und er spricht so, als Judas aus dem Abendmahlssaal hinausgeht, um den Plan seines Verrates auszuführen, der zum Tode des Meisters führen wird: Genau in diesem Augenblick beginnt die Verherrlichung Jesu. Der Evangelist Johannes gibt uns dies eindeutig zu verstehen: er sagt nämlich nicht, daß Jesus nur nach seiner Passion durch die Auferstehung verherrlicht worden ist, sondern er zeigt, daß seine Verherrlichung bereits mit der Passion begonnen hat. In ihr offenbart Jesus seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit der Liebe, die sich selbst ganz hinschenkt. Er hat den Vater geliebt und daher seinen Willen in einer vollkommenen Hingabe bis zum äußersten erfüllt; er hat die Menschheit geliebt und so sein Leben für uns hingegeben. So wird er bereits in seiner Passion verherrlicht, und Gott wird in ihm verherrlicht.

Doch die Passion – als äußerster und tiefster Ausdruck seiner Liebe – ist nur ein Anfang. Deshalb sagt Jesus, daß seine Verherrlichung auch eine künftige Verherrlichung sein wird (vgl. V. 32). In dem Augenblick, in dem er seinen Weggang von dieser Welt ankündigt (vgl. V. 33), gibt der Herr den Jüngern gleichsam als Vermächtnis ein Gebot, um auf neue Weise seine Gegenwart unter ihnen fortzusetzen: »Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben« (V. 34). Wenn wir einander lieben, so ist Jesus weiterhin mitten unter uns gegenwärtig, so wird er weiterhin in der Welt verherrlicht. 

Jesus spricht von einem »neuen Gebot«. Worin aber besteht dessen Neuheit? Bereits im Alten Testament hatte Gott das Gebot der Liebe gegeben; nun aber wird dieses Gebot von neuem gegeben, wobei Jesus etwas sehr Wichtiges hinzufügt: »Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.« Das Neue besteht gerade in diesem »Lieben, wie Jesus geliebt hat«.

All unserem Lieben geht seine Liebe voraus und es bezieht sich auf diese Liebe, es fügt sich in diese Liebe ein, es wird gerade durch diese Liebe wirklich. Das Alte Testament gab uns kein Vorbild der Liebe, sondern es formulierte nur das Gebot zu lieben. Jesus hingegen hat sich selbst als Vorbild und Quell der Liebe gegeben. Es handelt sich um eine grenzenlose, universale Liebe, die auch alle negativen Umstände und alle Hindernisse in Gelegenheiten zu verwandeln vermag, um in der Liebe fortzuschreiten. Und wir sehen in den Heiligen dieser Stadt die Verwirklichung dieser Liebe, wobei stets der Quell der Liebe Jesu deren Ausgangspunkt war.

In den vergangenen Jahrhunderten hat die Kirche von Turin eine reiche Tradition der Heiligkeit und des großherzigen Dienstes an den Brüdern und Schwestern erfahren – wie der Kardinalerzbischof und der Bürgermeister in Erinnerung gerufen haben –, und dies dank des Wirkens eifriger Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen des aktiven und kontemplativen Lebens sowie von Laiengläubigen. Die Worte Jesu nehmen daher für diese Kirche Turins, die, angefangen bei ihren Priestern, eine großherzige und aktive Kirche, einen besonderen Klang an. Indem Jesus uns das neue Gebot gibt, bittet er uns, seine Liebe und aus seiner Liebe zu leben, die ein glaubhaftes, beredtes und wirksames Zeichen ist, um der Welt das Kommen des Reiches Gottes zu verkündigen. Natürlich sind wir, wenn wir uns allein auf unsere eigenen Kräfte verlassen, schwach und begrenzt. In uns regt sich da immer ein Widerstand gegen die Liebe, und in unserem Leben gibt es viele Schwierigkeiten, die Trennungen, Groll und Verbitterung hervorrufen. Doch der Herr hat uns versprochen, in unserem Leben gegenwärtig zu sein, uns zu dieser großherzigen und vollkommenen Liebe zu befähigen, die alle Hindernisse zu überwinden vermag, auch jene, die in unseren eigenen Herzen sind.

Wenn wir mit Christus vereint sind, können wir wirklich auf diese Weise lieben. Die anderen zu lieben, wie Jesus uns geliebt hat, ist nur durch jene Kraft möglich, die uns in der Beziehung mit ihm entgegentritt, besonders in der Eucharistie, in der wirklich Liebesopfer gegenwärtig wird, das wiederum Liebe hervorbringt. Sie ist die wahre Neuheit in der Welt und der Kraftquell einer anhaltenden Verherrlichung Gottes, der im Fortbestand der Liebe Jesu in unserer Liebe verherrlicht wird.

Der Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes endet mit den Worten: »Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu« (21,5) Das erste absolut Neue, das Gott verwirklicht hat, ist die Auferstehung Jesu gewesen, seine himmlische Verherrlichung. Sie ist der Anfang einer ganzen Reihe von »neuen Dingen«, an denen auch wir Anteil haben. »Das Neue« ist eine Welt voller Freude, in der es keine Leiden und keine Unterdrückung mehr gibt, in der es weder Groll noch Haß gibt, sondern nur die Liebe, die von Gott kommt und alles verwandelt.


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