„Die ‚Botschaft Jesu‘ ist Jesus Christus selber. Inmitten seiner Kirche“

7. April 2021 in Kommentar


Kurz vor Ostern 2021 ließ Bischof Kohlgraf von Mainz durchblicken, die Kirche in ihrer bisher geläufigen Gestalt werde sterben. Muss eine andere Kirche her? Gastkommentar von Franz N. Otterbeck, Köln


Bonn (kath.net) Einige werden die katholische Religion vermissen, wenn die "deutsche Kirche" ihre Ziele durchsetzt. Wie könnte ein Ostergottesdienst in naher Zukunft aussehen? Der Pfarrer, längst im Pensionsalter, ist formell für 100.000 Katholiken der Großraumpfarrei zuständig. Die ehemaligen Pfarrkirchen wurden abgerissen, umgewidmet, verkauft. Der ältere Herr predigt zu einigen "gesegneten Paaren". Eheleute, Kinder, Jugendliche sind in den Sakralräumen kaum mehr willkommen. Der Organist, ein "enger Freund" des Pfarrers, spielt irgendeinen Katzenjammer, zur Besinnung. "Das Grab ist leer" wird nicht mehr gesungen. Es war ja nicht leer, wie die Wissenschaft beweist. Die Schriftlesung wird aus Bert Brecht genommen, "die heilige Johanna der Schlachthöfe". Die Predigt kreist um das Thema, dass religiöse Organisationen ja doch nur den Reichen und Mächtigen dienten, menschenfeindlich, wie sie nunmal sind. Da der Prediger gern den Faden verliert, werden einige romantische Erinnerungen aus seiner Zeit im Priesterseminar eingeflochten. Nebenbei merkt er an, sein geliebter Professor für Homiletik habe damals schon die Meinung vertreten, dass Judas "rehabilitiert" werden müsse. Er habe als engster Freund Jesu dessen beispielhaftes Eintreten für die Leidenden und Unterdrückten ermöglichen wollen. Denn das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein ... Folgerichtig tritt an die Stelle der Opfermesse dann ein Liebesmahl im Pfarrheim.

Kurz vor Ostern 2021 ließ Bischof Kohlgraf von Mainz durchblicken, die Kirche in ihrer bisher geläufigen Gestalt werde sterben. Ich bin nicht überrascht, denn die Atmosphäre an der Bonner Fakultät, an der er seine "Theologie" (Anthropologie) lernte, ist mir noch präsent. Auch ich hatte kurz am vergifteten Becher genippt, der in den Achtzigern dort verabreicht wurde. Andere Fakultäten verbreiteten vielleicht noch härtere Drogen: Bonn hatte damals immerhin noch einige seriöse Professoren. Aber mancheiner zog eine gerade Linie vom "Tod Gottes" (Nietzsche) zum Tod der Kirche. Um ihren baldigen Tod abzuwenden, müsse die Kirche den Mut sozusagen zum Selbstmord aufbringen. Man nannte das "notwendige Reformen", zum Teil dieselben, die auch heute wieder gefordert werden. Ihre Notwendigkeit wird aber seit jeher nur behauptet und kaum je schlüssig begründet. Denn Reform in der Kirche muss näher zu Christus hinführen, nicht weit von ihm weg.

Ein ehemals konservativer Priester, inzwischen sehr schmal und kränklich, brachte neulich seine Theologie der Homosexualität vor ein größeres Publikum. Er ließ sich von einem smarten jungen Mann (22) befragen, der anscheinend noch nicht ahnt, wie schwer seine Vorlieben mit 44 oder 66 oder 88 zu verfolgen sein werden. Die scheinwissenschaftlichen "Argumente" sind bekannt. Es fällt allerdings auf, dass der Befragte es nicht mehr für nötig hielt, überhaupt noch die Theologie von Ehe und Familie zu erwähnen. Man sollte wenigstens zugeben, dass die Kirche eigentlich gar keine Sexualmoral lehrt, sondern eine Ehemoral, durchaus im Wissen, wie schwer diese heutzutage zu vermitteln ist.

Es gibt für die wahre Kirche Christi keinen Anlass, schon gar nicht seit 1968, vor der (post-) modernen Zivilreligion zu kapitulieren. Deren Dogmatik variiert. Einigkeit besteht vor allem darin, dass sich die "Papstkirche" im Irrtum befinde. Papst Franziskus steckt heute in der "Montini-Falle". Weil der hl. Papst Paul VI. eine echte Erneuerung der Kirche wollte, auf der Linie "seines Konzils", berief sich die antirömische Partei auf das Schlagwort vom "aggiornamento" (der Verheutigung). Allerdings geschah das in der Absicht, den Abbruch als Aufbruch und die Abenddämmerung als Morgenröte zu vermarkten. Manche waren dabei Überzeugungstäter. Aber ein Blick auf die faulen Früchte der Agitation hätte sie zur Selbstkorrektur motivieren können. Diese unterblieb vermutlich nicht zuletzt wegen des tugendarmen Doppellebens, das gewiss nicht nur die vielzitierten "Brüder im Nebel" im Erzbistum Köln führten. Der postmoderne Begriff von Wissenschaft liefert inzwischen für beinahe jede Abirrung eine schlaue Rechtfertigung. Die Psychologie befreit inzwischen wohl auch vom VIII. Gebot. Da braucht man den "gnädigen Gott" des Luthertums schon gar nicht mehr zu bemühen.

Meine erste Kollision mit Verantwortungsträgern im Schatten des Kölner Doms, vor bald 35 Jahren, ließ mich zunächst einen Schritt "nach links" vollziehen. Ich engagierte mich an meinem Heimatort Kevelaer für "Pax Christi". Der Präsident der deutschen Sektion ist jetzt Peter Kohlgraf: Wir lernten einander nicht mehr kennen. Denn für die nicht unsympathischen Vorkämpfer der früher katholischen Friedensbewegung dachte und fühlte ich damals schon zu papstnah und marienfromm. Auch heute sehe ich den "Weltauftrag" der Kirche als dringend an, aber allenfalls im Sinne der klassischen Soziallehre, wie sie Kardinal Höffner vertrat. Die deutsche Kirche hat sich, außerhalb ihres Beschäftigungssektors, jedoch vom Weltauftrag schon fast ganz abgeschnitten, weil ihr auf weite Strecken der Glaube, die Hoffnung und die Liebe abhanden kommen. Eine kommerzielle Caritas vermag die wirklich gelebte Nächstenliebe der Christen, aus gläubiger Hoffnung, nicht zu ersetzen. Die Finanzierung einiger Stellen im konfessionellen Stellenplan ist auch noch keine effektive Friedensarbeit.

Die "geläufige Gestalt" der Kirche, die Kohlgraf sterben sieht, wird wohl die um die Sakramente, die Liturgie und das Glaubensbekenntnis strukturierte Katholizität der Kirche sein. Eine andere Kirche muss her? Das ist hoffentlich nur charakterschwache Geschwätzigkeit. Auch ich habe das wahre Gesicht der "deutschen Kirche" erst spät erkannt, als man sich 2009 anlässlich der "Williamson-Affäre" dazu aufgerufen sah, Papst Benedikt zu ohrfeigen. Seither ist antirömische Parteilichkeit in den diözesanen Verwaltungen und nachgeordneten Stellen anscheinend erste und strikteste Pflicht. Doch die Hoffnungen, die deutsche Bischöfe an den Papstrücktritt von 2013 knüpften, haben sich insgesamt nicht erfüllt. Wie könnte es anders sein? Sämtlicher Zweckoptimismus war seit der "Würzburger Synode" (1971-75) auf Sand gebaut. Die Bischöfe hatten seither schon nicht mehr den Mut, ihre Religion unverkürzt zu lehren und auf eigenem Gebiet konsequent gemäß ihrer Moral zu handeln, von manchen Ausnahmen abgesehen. Aber "gehorsam" sind sie, wenn auch nicht dem Papst, so doch umso lieber ihrem eigenen Personal, in dessen Gunst und Sonne sie stehen wollen. Ausgeteilt wird fast ausschließlich "nach rechts", von wo die lästigen Briefe, E-Mails und manche Proteste mittels unabhängiger Medien kommen. Es irrt, wer meint, die Veranstaltung namens "katholisch.de" habe vor allem die Aufgabe, Katholiken zu informieren. Es geht dem bischöflichen Werkzeug revolutionären Kircheseins vielmehr darum, in der Öffentlichkeit einen "guten Ruf" zu begründen: Dass die brave Kirche, in Treue fest, an der Seite der heutigen Zivilreligion stehe und tapfer und mutig in dieselbe Richtung marschiere.

Die Botschaft Jesu war allerdings nie: "Tut, was alle tun..." "Jede Zeit hat ihre Farbe..." "Moral ist, wenn man trotzdem lacht." Die Katastrophe der Nicht-Evangelisierung beginnt mit der scheinbar harmlosen Nuance, ob es nur eine "Botschaft Jesu" gibt, oder ob Jesus selber die Botschaft ist. Selbstverständlich gibt es eine Botschaft Jesu, diese aber ist unauflöslich mit seiner Person verbunden. "Ich bin es." (Weg, Wahrheit, Leben.) Der Absolutheitsanspruch der Kirche bleibt unaufgebbar, weil Christus selber in ihrer Mitte diesen Anspruch erhebt. Am Ursprung des christlichen Anspruchs begegnen wir einer Person, die unsere Seelen mit Gott versöhnt, weil er selbst Gott-für-uns ist. Sobald man Jesus zum Vertreter einer Lehre macht, ihn einen Prediger oder Propheten unter vielen nennt, einen vielleicht maßgeblichen Menschen, ist der Spalt geöffnet, durch den "der Rauch Satans" in die Kirche eindringen kann. Wohl oder Wehe der Kirche entscheidet sich an der Christologie, nicht entlang der affektierten antirömischen "Reform"-Agenda. Hier werden wir einfachen Gläubigen noch genauer hinhören müssen, ob unsere Bischöfe, Theologen, Prediger noch "plausibel" das Evangelium verkündigen oder nicht. Zustimmungsfähig ist nämlich nur der Glaube, wie er als Geschenk Gottes in der Taufe bereits zu uns gekommen ist, wenn wir ihm Entfaltung und Blüte eröffnen. Man sollte also wieder öfter singen: "Fest soll mein Taufbund immer stehen; ich will die Kirche hören." Auch in der Priesterausbildung.

 


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