Karfreitag nach dem Vorbild einer Muslimin

2. April 2021 in Kommentar


Nach Marias Vorbild – wie eine Muslimin es unwissend getan hat – dürfen wir während der Passion und der Stille des Karsamstags ganz bei Jesus sein - BeneDicta am Freitag von Dorothea Schmidt


München (kath.net)

Eine Muslimin wollte in Rom einmal der Karfreitagsliturgie beiwohnen. Sie tat es und erlebte einen doppelten Schock: Als sie die Leidensgeschichte Jesu hörte, rannen ihr Tränen über die Wangen über die maßlose Tortur an einem makellosen, unschuldigen Menschen, der auch noch Gott war. Sie schaute nach links und nach rechts und erlebte den zweiten Schock ihres Lebens: So viele teilnahmslose, gelangweilte, unbewegte und teilweise Kaugummi kauende Gesichter! Wie kann man bei einer solchen Geschichte, einer solchen ungerechten Marter unberührt bleiben?

Antwort: Zu oft gehört? Kennt man schon? Ist zu lang? Unverständlich? Wohl eher nicht. Die wirklich ehrliche Antwort ist doch die: Wir sind mit unserem Herzen nicht immer dabei. Wir können die Passion rauf und runter lesen, uns mit dem Ablauf der Liturgien der Karwoche vertraut machen, brav fasten – aber wenn unser Herz woanders ist und unsere Gedanken spazieren gehen, ist die Liturgie im Grunde Zeitverschwendung, weil sie mehr oder weniger abgesessen ist – von den für manche recht sportlichen Kniebeugen einmal abgesehen.

Vielleicht wäre es wertvoll, die Leidensgeschichte vor dem inneren Auge ablaufen und ins Herz zu lassen, innerlich bei Jesus zu sein, ihn zu trösten, ihn anzubeten, ihn zu loben und ihm zu danken für das, was er für uns, für mich, ertragen hat. Wir können Jesus bewusst Zeit schenken, bei ihm sein, hörend, betrachtend und dann die Auferstehung erwartend. Nur der entblößte und gedemütigte Jesus – und ich. Ganz puristisch und schlicht wie die Karfreitagsliturgie es auch ist: kein Gesang, keine Schnörkel, keine Deko. Nur Jesus und das Kreuz. Und ich.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat uns 2010 ermutigt, „unseren Meister“ zu begleiten, „indem wir sein Leiden in unserem Leben, im Leben der Kirche, für das Leben der Welt teilen, da wir wissen, das gerade im Kreuz des Herrn, in der grenzenlosen Liebe, die sich selbst ganz verschenkt, die Quelle der Gnade, der Freiheit, des Friedens, des Heils ist“.

Das Kreuz wirft viele Fragen auf, vor allem die nach dem Sinn des Leidens. Zumindest im Zusammenhang mit Märtyrern wusste Tertullian (2./3. Jhd.) zu sagen: „Ein Samen ist das Blut der Christen.“ Wie Jesus haben viele Märtyrer aus tiefstem Vertrauen auf den himmlischen Vater gewusst, dass dieser sie letztlich nicht der Schande übergeben würde. Letztlich, denn während der Marter waren sie wie Jesus in Schande, endeten aber nicht in Schande, sondern als himmlische Sieger. Jesus endete als Verherrlichter, als Auferstandener. Die Auferstehung war die Frucht seiner Entschlossenheit, dem Willen Gottes zu gehorchen, alles von ihm zu empfangen und den Menschen weiterzugeben, erklärte einmal die Theologin Nina Heereman. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat Jesus den Tod besiegt und uns den Himmel geöffnet. Und so können wir mit Eusebius von Cäsarea ausrufen: „Der Tag des Leidens ist die Quelle großer Güter und großer Freude.“

Zugegeben: Der Satz fordert heraus. Aber ist es nicht trotzdem ein Satz, der Staunen, Dankbarkeit und Anbetung hervorruft – und zum Nachdenken über das Leiden Jesu einlädt?

Wie groß muss Jesu Angst gewesen sein, dass er sogar Blut geschwitzt hat bis die Kleider an ihn klebten! Vielleicht tropfte sogar Blut zu Boden? Wie sehr muss er vor Angst und Verlassenheit gezittert haben! Wieviel Blut ist bei der Geißelung und Dornenkrönung geflossen? Wie viele Wunden sind ihm zugefügt worden; körperliche, psychische, seelische. Die Geißelhiebe, das Gespött, das Gegröle, Gespucke, die Hammerschläge als die langen Nägel in das lebendige Fleisch geschlagen wurden, Nerven durchtrennten und Knochen zerbrachen. Da will man doch gar nicht hinsehen! Kein Wunder, dass fast alle Jünger geflohen sind. Beherrscht von Angst und Mangel an Mut konnten sie keine „Quelle großer Güter und großer Freude“ ausmachen. Verständlich.

Jedenfalls haben die Apostel ihre Flucht bitter bereut, während wir unser gedanklichen Rückzug zu was auch immer außer dem Leiden Jesu – sagen wir, gewöhnt sind; zumindest darf uns die Beobachtung der Muslimin zu denken geben. Ausgerechnet sie als Nicht-Christin hat am Leiden Jesu wirklich teilgenommen. Wir sind dann doch lieber erst bei der Auferstehung wieder ganz dabei.

Dabei bräuchte uns Jesus auch im Leiden, vor allem, wenn man bedenkt, dass er im Leiden ganz Mensch war. Im Leiden hat Jesus das göttliche Gewand abgelegt und ist ganz in Menschengestalt den Kreuzweg gegangen (vgl. phil 2, 7-8), als Mensch, der menschlich getröstet werden will. Auf seinem Kreuzweg begegnete Jesus Menschen, die mit ihm litten und ihn (dadurch) getröstet haben. Besonders wertvoll muss ihm der Anblick Marias gewesen sein, seiner geliebten Mutter, die ihn nie verlassen hat, immer zu ihm stand, mit ihm gelitten hat wie kein anderer und dann auch noch unter ungeheueren Schmerzen ein zweites Mal Mutter geworden ist; Mutter der ganzen Kirche, aller Glaubenden.

Nach Marias Vorbild – wie die Muslimin es unwissend getan hat – dürfen wir während der Passion und der Stille des Karsamstags ganz bei Jesus sein. Wir dürfen eintauchen in seine Leidensgeschichte, um den Sinn des Kreuzes besser zu verstehen. Und vielleicht ist das echte Mitgehen mit dem Leid Jesu ein Tor, das uns zu Jesus und in einen tieferen Glauben führt und wir eine neue; tiefere, erkenntnisreichere, freudigere Erfahrung der Auferstehung machen können.


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