Pandemie des Egoismus

2. März 2021 in Kommentar


Die übereifrige, angsterfüllte Pandemiebekämpfung gedeiht auf dem Boden eines Egoismus, der Kollateralschäden ausblendet und die Autonomie des Einzelnen mit Füßen tritt. Ein Kommentar von Michael Koder.


Wien (kath.net/mk) Kritiker der Corona-Maßnahmen werden von Politikern und Massenmedien gerne als Egoisten bezeichnet: so stellte etwa die bekennende Katholikin und Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler in der Parlamentssitzung vom 21.12.2020 einen egoistischen und einen solidarischen Freiheitsbegriff einander gegenüber und nannte als Beispiel für ersteren: „Ich will meine Freiheit, und alle anderen sind mir egal!“ Und tatsächlich ist es egoistisch, auf seinen Freiheiten wie auf einem Besitztum zu bestehen ohne jede Rücksicht auf die Mitmenschen. Etwa indem die Gefahr der Pandemie gänzlich geleugnet und jede Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen verworfen wird.

Doch das Pendel des Egoismus kann auch in die andere Richtung ausschlagen, und das wird vor allem in der veröffentlichten Meinung großteils übersehen: es ist auch egoistisch, um jeden Preis so lange wie möglich gesund leben zu wollen, und die Mitmenschen zwangszuverpflichten, einem das zu ermöglichen. Es grassiert eine von Regierung und Medien befeuerte Mentalität des „Sicher ist sicher!“, die findig ist in punkto unerfreuliche Zahlen, letztlich die Realität des (irdischen) Todes für uns alle nicht wahrhaben will und zu einer falschen Solidarität in Gestalt einer Zwangsjacke verführt.

Eine Welle der Angst, ja der Todespanik hat unsere Gesellschaft erfasst. Diejenigen, die dieser Angst mühevoll Widerstand leisten, indem sie sich immer wieder neu auf das Wesentliche besinnen, werden in Geiselhaft gehalten von einem Teil der Bevölkerung, der in selbstsüchtiger Verblendung das eigene Leben und die eigene Gesundheit über alles andere stellt und so weit geht, andersdenkende Mitmenschen durch sozialen Druck und die Staatsgewalt dazu zu verpflichten, ihnen bei ihrem Himmelfahrtskommando zu helfen.

„Du MUSST Maske tragen, du MUSST dich testen lassen, du MUSST Abstand halten, um mein und meiner Angehörigen Leben vielleicht um eine gewisse Zeitspanne zu verlängern.“ So ein Denken kann in menschenverachtende Abgründe führen: Im rechtswissenschaftlichen Studium wurde zu meiner Zeit ein Übungsbeispiel gelehrt, in dem eine Person A sterben wird, wenn sie nicht sofort Blut einer seltenen Blutgruppe übertragen erhält. Darf eine andere Person B zu einer  Blutabnahme, also einer nur leichten Körperverletzung GEZWUNGEN werden, um das Leben von A zu retten? Die klare Antwort lautete und lautet Nein. Obwohl das Leben zwar grundsätzlich das höhere Gut gegenüber der körperlichen Unversehrtheit ist, würde eine solche Rechtfertigung obersten Grundhaltungen unserer Rechtsordnung widersprechen, nämlich dem Prinzip der Selbstbestimmung des Einzelnen. Weitergedacht würde eine solche Erlaubnis letztlich bedeuten, dass Menschen zu lebenden Blut- oder Organdepots degradiert würden. Die faktische Auslöschung einer diesen Namen verdienenden Selbstbestimmung des Einzelnen in den totalitären Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts, oder die derzeitige Entwicklung in China hin zu ständiger Bürgerüberwachung und Kontrolle auch der Gesinnung ist uns Mahnung.

Selbstverständlich handeln nicht alle Menschen, die in diesen Tagen Angst haben und sich schützen wollen, aus Egoismus. Aber ein starker damit verseuchter Nährboden ist in der Gesellschaft vorhanden, aus dem die allgemeine Stoßrichtung von Politik und Massenmedien sprießt. Das Recht des Stärkeren lässt immer wieder grüßen, sei es dass Lebensbereiche mit starken Lobbys sich gegenüber der Regierung eher durchsetzen und Sonderregeln für sich reklamieren können, sei es beim „Drängeln“ um eine Impfung, die – nach derzeitigem Stand der Wissenschaft – nur (wenn überhaupt) MICH SELBST schützt, und keinen anderen. Kollateralschäden wie die Austrocknung ganzer Wirtschaftszweige und die psychische Destabilisierung eines Großteils der Bevölkerung werden in dieser Logik überwiegend ausgeblendet und ignoriert. Sie werden schlicht nicht erwähnt, denn die „Pandemiebekämpfung“, letztlich aber die Rettung MEINES Lebens ist vordringliches Ziel. Herausgegriffen werden soll eine Studie der Donau-Universität Krems, wonach mittlerweile die Hälfte (!) der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren an psychischen Auffälligkeiten wie depressiven Symptomen, Angstsymptomen oder Schlafstörungen leiden. Zynisch und unmenschlich klingt dabei die kürzliche Äußerung von Prof. Peter Schallenberg, dem Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach, wonach uns das Virus „allemal bis 2040 in heilsamer Beunruhigung“ (!) begleiten werde.

Ein Staat, der nicht mehr durch Hinweise und Empfehlungen auf die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung seiner Bürger setzt, sondern in dem Zwangsmaßnahmen dominieren, wird letzten Endes seine eigene Autorität als Rechtsstaat einbüßen. Die Pandemie und ihr bisheriges „Management“ haben vor allem eines gezeigt: eine radikale Herzensumkehr, von uns allen, ist vonnöten, damit unsere Gesellschaft wirklich solidarisch wird, und menschlich bleibt.


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