„Foul is fair, fair is foul“

23. Februar 2021 in Kommentar


„Nach der ‚schmerzlich vermissten Eucharistie‘ des ersten Lockdowns trendet im zweiten Lockdown die „ersehnte Normalität“. Aber nicht um jeden Preis.“ Anmerkungen zu einer fairen Impfstrategie. Gastkommentar von Ernst Bertoldo


Bonn (kath.net) Wurde in der Bibel zur Bestimmung der Reihenfolge noch von Priestern und dem Volk das Los geworfen (Neh 10, 35), hat der Ratsvorsitzende des Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Heinrich Bedford-Strohm am Mittwoch im Handelsblatt „eine faire Impfstrategie“ gefordert. Nun sei nämlich Solidarität gefragt – „mit den gefährdeten Menschen im eigenen Land und im globalen Süden“. Wobei Bischof Bedford-Strohm meist Nächstenliebe meint, wenn er Solidarität sagt, denn Solidarität ist utilitaristisch, Solidarität rechnet mit Solidarität, Nächstenliebe rechnet nicht.

Solidarität beginne zunächst damit, denen den Vortritt beim Impfen zu lassen, die besonders verletzlich seien. Zur Solidarität gehöre zweitens die unbedingte Impfbereitschaft, „wenn die notwendigen Impfmengen zur Verfügung stehen“. Nächstenliebe sei drittens „aber zuallererst auch“, die Armen und Schwachen weltweit nicht aus dem Blick zu verlieren, „sie fest einzuschließen in all unsere Überlegungen zu Impfstrategien“.

Die „Debatte über die Rückgabe der Grundrechte“ trage hingegen zur „Entsolidarisierung“ bei. Diesen verfassungsvergessenen Generaltenor kennen wir bereits aus den Zeiten des Gottesdienstverbotes in Bezug auf das Grundrecht auf freie Religionsausübung.

Wer rechnen kann, rechne nicht mit Bischöfen

Nachdem die Regeln aufgestellt sind, versucht sich Bischof Bedford-Strohm im Rechnen. Weil sich die entwickelten Länder „80 Prozent der verfügbaren Impfstoffe gesichert“ hätten, werde es für zwei Drittel der Weltbevölkerung bis zu drei Jahre dauern, ehe sie mit einer Impfung rechnen könnten. „Humanitäre Katastrophe absehbar“.

Lieber Bischof Bedford-Strohm, wir sind überfordert, wenn drittens zugleich „zuallererst“ sein soll. Nehmen wir einfach an, wir folgten Ihrer Anregung und legten mit Hilfe der WHO für alle weltweit benötigten Impfungen das Geld zusammen. Und wir würden Kühlketten für den BioNTech-Impfstoff – statt Minus 60 Grad scheinen inzwischen Minus 15 Grad auszureichen – bis in den letzten Winkel des afrikanischen Busches aufbauen.  Wie sieht dann Ihre „faire Impfstrategie“ in der Praxis aus? Da wir die Zahl der Impfdosen nicht beliebig vermehrt bekommen, erbitten wir Ihren Vorschlag, wie viele der knappen Dosen in welches Land auf dem Erdball gehen sollen, verbunden mit einer präzisen Liste, um allerorten nach den Prinzipien der Nächstenliebe „zu priorisieren“.

Nur der Pate macht Angebote, die man nicht ausschlagen kann

An geistiger Durchdringung des komplexen Themas steht auf katholischer Seite der Bischof von Augsburg, Bertram Meier, seinem evangelischen Amtsbruder Bischof Bedford-Strohm nicht nach. Er wird der „Impfdrängelei“ bezichtigt, betrachtet die aufgeworfenen Fragen also im Gegensatz zu Bischof Bedford-Strohm nicht vorausschauend, sondern rückblickend. Damit kommt in der Debatte in seiner Person auch der für jede echte Problemlösung unvermeidliche Betroffene zu Wort.

Bischof Meier hatte bereits Mitte Januar ein „Impfangebot(s) ohne eingehende persönliche Prüfung“ angenommen. Bischof Meier entschuldigte sich nach Bekanntwerden umgehend bei den „Menschen, die sehnsüchtig auf eine Impfung warteten, sich durch sein Verhalten verletzt fühlten“. Er habe gedacht, mit seiner Impfung und der seines 53jährigen Generalvikars „das Beste für die Menschen zu tun, mit denen er zusammenarbeite“. Ein durchaus zutreffender Gedanke. Aber „meine Impfung erscheint als Bevorzugung, die ich so nicht wollte.“ Sondern?

Schon Gesundheitsminister Jens Spahn hatte gewahrsagt, wir würden uns „viel zu vergeben haben“. Bischof Bedford-Strohm bekräftigt: „Und er hatte recht.“ Noch besser sei es allerdings, ermahnt es uns, „rechtzeitig zu sehen, wo wir uns schuldig zu machen drohen“ und gleich richtig zu handeln. Hier wäre als zeitgemäßer Nachfolger für die früher üblichen Beichtspiegel ein Leitfaden von Bischof Meier für die „eingehende persönliche Prüfung“ vor unserer eigenen Impfung zu wünschen.

Die Strategie von Bischof Bedford-Strohm wird zugleich auch dem „Impfverweigerer“ den Garaus machen. Denn angesichts der weltweit knappen Impfdosen steht jede verweigerte Impfung auf viele Jahre zahllosen Impfwilligen zur Verfügung. Nennt es einfach nur „Nächstenliebe“.

Wäre Bischof Meier nicht nur Diözesan-, sondern Kurienbischof, also im Vatikan tätig, hätte er vorbildlich gehandelt. Der Vatikan hat sich nämlich für alle auf seinem Territorium Tätigen ausreichende Mengen des BioNTech-Impfstoffs gesichert. Man darf erwarten, dass der Vatikan damit in wenigen Tagen Israel als die führende Impfnation überholt haben wird. Zumal der Vatikan in einem Dekret vom 8. Februar 2021 nach nahezu einhelliger Lesart als erster Staat eine Impfpflicht angeordnet hatte. Da dies mit einer Entlassung aus den Diensten des Vatikans im Falle einer Weigerung verbunden schien, schob der Vatikan am 18. Februar eine besänftigende Note nach. Danach ziele der Verweis auf die Kündigungsmöglichkeit in dem Dekret darauf ab, „eine flexible und verhältnismäßige Antwort“ im Sinne einer Balance zwischen dem Schutz des Einzelnen und dem Schutz der Allgemeinheit zu finden, „ohne irgendeine repressive Form gegenüber dem Mitarbeiter“ zu setzen. Eine Arbeitsplatzgarantie liest sich anders.

Reden wie Bischof Bedford-Strohm, handeln wie Bischof Meier

Jetzt sind nur noch die Exegeten gefordert, die das eigene Vorgehen des Vatikans mit dem Ende letzten Jahres veröffentlichten Plan des Vatikans für eine weltweite Impfstrategie „Impfstoff für alle. 20 Punkte für eine gerechtere und gesündere Welt“ harmonisieren.

Dort heißt es unter Ziffer 8: „Es ist daher wichtig, die Logik des ‚Impfstoff-Nationalismus‘ zu überwinden, verstanden als Versuch verschiedener Staaten, […] die notwendige Menge für seine Bewohner zu beschaffen.“ Ziffer 15 hebt hervor: „Wie der Heilige Vater sagt: Wir müssen ‚Impfstoffe für alle bereitstellen […] (vor) allen anderen die Schwächsten und Bedürftigsten!‘“

Den Satz „Fair is foul, foul is fair“ hat Shakespeare zu Beginn des ersten Aktes seinem Drama Macbeth vorangestellt. Während dort Hexen ein Symbol für foul sind, aber faire Ratschläge geben, scheint es sich bei den Bischöfen umgekehrt zu verhalten.


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