Suizidassistenz - ein neues Kapitel der kirchlichen Schuldgeschichte

18. Jänner 2021 in Prolife


Drei evangelische Theologen „beklagen die ‚Schuldgeschichte‘ der Kirche im Umgang mit Suizidenten, fügen dieser aber gleichzeitig mit ihren Forderungen ein neues Kapitel hinzu.“ Gastbeitrag von Manfred Spieker


Osnabrück (kath.net) Drei evangelische Theologen halten es für eine Aufgabe kirchlich-diakonischer Einrichtungen, „Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten“. Dies gebiete der Respekt vor der Selbstbestimmung. Dies suggeriert eine Autarkie des Individuums, die nicht der conditio humana entspricht. Der Mensch ist von der Zeugung bis zum Tod eingebunden in vielfältige soziale Beziehungen. Selbstbestimmung ist ein Resultat von Kommunikationsprozessen. Eine zentrale Rolle in diesen Kommunikationsprozessen kommt, wenn es um Krankheit und Sterben geht, dem Arzt zu. Ihm schreiben die Autoren zwar eine „hervorgehobene Rolle“ zu, aber nicht, wenn es um die eigentlichen ärztlichen Tätigkeiten – Therapie, palliative Versorgung und Suizidprävention – geht, sondern „bei der Beurteilung der Freiverantwortlichkeit“ des Suizidwunsches. Darin liegt ein erster Widerspruch des Manifestes. Wenn „letztlich“ dem Arzt die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches zukommt und wenn der Suizident sich vor dem Suizid, wie die Autoren fordern, auch noch „von einer anerkannten Stelle beraten“ lassen muss, wird aus der Selbstbestimmung schnell Fremdbestimmung. Der Arzt soll auch für die Qualitätssicherung der Beihilfe zum Suizid die Letztverantwortung übernehmen. Er soll dafür sorgen, dass der Suizid auf „professionelle – und das meint: auf sichere und nicht qualvolle Weise“ vollzogen wird. Die Rolle des Arztes wird auf die eines Suizidassistenten reduziert, der den Suizid nicht verhindern, sondern kultivieren soll. Die Tötung auf Verlangen liegt damit in der Logik der Suizidbeihilfe.

Bei all dem sollen nach Meinung der Autoren kirchlich-diakonische Einrichtungen mitmachen. Sie sollen „Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern“ zulassen. Die Autoren wollen die geschäftsmäßige, das heißt auf Wiederholung angelegte, Suizidbeihilfe in kirchlichen Einrichtungen anbieten, die sie Sterbehilfevereinen verbieten wollen – ein weiterer Widerspruch des Manifests, auf den Christian Geyer in der FAZ vom 12.1. mit Recht aufmerksam gemacht hat. Die Autoren beklagen die „Schuldgeschichte“ der Kirche im Umgang mit Suizidenten, fügen dieser aber gleichzeitig mit ihren Forderungen ein neues Kapitel hinzu.

Die katholische Kirche kann auf diesem Weg nicht mitgehen. Das zeigen vor allem zwei Dokumente des römischen Lehramtes: die Enzyklika „Evangelium Vitae“ von Papst Johannes Paul II. (1995) und das Schreiben der vatikanischen Glaubenskongregation über die „Sorge an Personen in kritischen Phasen und in der Endphase ihres Lebens“ mit dem Titel „Samaritanus Bonus“ (2020). In „Evangelium Vitae“ wird der Suizid als Verstoß gegen das fünfte Gebot und gegen die Eigen- und Nächstenliebe ebenso abgelehnt wie der Mord: „Obwohl bestimmte psychologische, kulturelle und soziale Gegebenheiten einen Menschen dazu bringen können, eine Tat zu begehen, die der natürlichen Neigung eines jeden zum Leben so radikal widerspricht, und dadurch die subjektive Verantwortlichkeit vermindert oder aufgehoben sein mag, ist der Selbstmord aus objektiver Sicht eine schwere unsittliche Tat, weil er verbunden ist mit der Absage an die Eigenliebe und mit der Ausschlagung der Verpflichtungen zu Gerechtigkeit und Liebe gegenüber dem Nächsten… und gegenüber der Gesellschaft als ganzer“.

In „Samaritanus Bonus“ wird erklärt, weshalb „angesichts von Gesetzen, die – unter irgendeiner Form von medizinischer Hilfe – Euthanasie oder assistierten Suizid legitimieren, jede direkte formelle oder materielle Mitwirkung daran immer verweigert werden muss“: Die Kirche hat Menschen in der Endphase ihres Lebens mit Empathie, Mitleid, Liebe und Trost zu begleiten, ihnen die Sakramente der Buße und Versöhnung, der Krankensalbung und der Eucharistie anzubieten und das Evangelium des Lebens zu bezeugen. Die Begleitung von Menschen, die ausdrücklich um Euthanasie oder assistierten Suizid gebeten haben und darin verharren, macht jedoch die Spendung des Bußsakramentes unmöglich, da dieses Sakrament immer Reue und Umkehr voraussetzt. Das Evangelium des Lebens ist ein Evangelium des Mitleids und der Barmherzigkeit, aber auch ein Evangelium der Hoffnung, das den Sterbenden für seine Begegnung mit Gott öffnet.

Prof. Dr. Manfred Spieker ist emeritierter Professor für Christliche Sozialwissenschaften am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück.

 


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