Ein Verfechter des christlichen Prinzips: Kardinal József Mindszenty und sein Kampf gegen die Gewalt

14. Jänner 2021 in Chronik


„Selbst als er wieder und wieder halb totgeschlagen wurde, stand er zu Jesus Christus. Er war ein Glaubenszeuge, der durch sein unerschrockenes Einstehen für den Glauben zum Vorbild wurde.“ Gastbeitrag von Lothar Christian Rilinger


Budapest (kath.net) In einer Ausstellung, die unter dem Namen „#Mindszenty Gates of Life – Interaktive Ausstellung für junge Leute“ in Budapest vorbereitet worden und als Wanderausstellung geplant ist, wird an Kardinal József Mindszenty (Archivfoto) erinnert. Wegen der herrschenden Covid-19-Pandemie ist sie jedoch noch nicht eröffnet worden. Sobald sich aber die Lage beruhigt haben wird, wird die Eröffnung erfolgen. Sie kann aber schon jetzt nach Rücksprache mit der Kardinal-Mindszenty-Stiftung besucht werden. Die Ausstellung dient dem Vorhaben, das Denken und Handeln des letzten Fürstprimas von Ungarn und Erzbischof von Esztergom (Gran) vor dem Vergessen zu bewahren und der ungarischen Jugend vor Augen zu führen, mit welcher menschlichen Größe und mit welchem Mut Kardinal Mindszenty sich während der nationalsozialistischen Okkupation und dann während der kommunistischen Herrschaft für die Kirche und für Gott eingesetzt hat.

Kardinal Mindszenty vertrat das Prinzip der Legitimität als Grundlage des Staates und kämpfte infolge dessen zuerst gegen die nationalsozialistische und dann gegen die kommunistische Macht, die sich auf das Prinzip der Gewalt stützten. Bischof Mindszenty erkannte, dass das Prinzip der Gewalt sich nicht aus dem Naturrecht, das dem Menschen die Grund- und Menschenrechte als intrinsische Rechte zuweist, ohne dass es eines menschlichen Aktes bedürfte, herleiten lässt. Das Prinzip der Gewalt hingegen fußt vielmehr auf dem Willen von Menschen, durch den die Grund- und Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden können, wenn im Rahmen der Gewährung die eigenen Vorstellungen beeinträchtigt werden könnten. Um die Zuweisung oder die Aberkennung dieser Rechte zu vollstrecken, sollen danach alle Mittel erlaubt sein, wie falsche Anschuldigungen, Lügen, Folter, Tod. Das, was in der Rechtswissenschaft als bewusst falscher Vortrag bezeichnet und verurteilt wird, wird im Nihilismus des Kommunismus´ als Dialektik verklärt und als notwendiges Mittel angesehen, um das hehre Ziel, das Paradies auf Erden, zu erreichen. Allerdings zeigte sich am Ende des Nationalsozialismus und in den Umwälzungen der Jahre 1989/90 nicht das Paradies auf Erden, was immer verheißen wurde, sondern die Hölle – der Abgrund menschlichen Seins mit Millionen ermordeten und gefallenen Menschen, mit Legionen von vertriebenen und entrechteten Personen, mit hunderttausenden vergewaltigten Frauen.

Schon gleich nach Kriegsende hatte Kardinal Mindszenty erkannt, dass der ungarische Kommunismus mit tatkräftiger Hilfe der sowjetischen Besatzungstruppen, die sich in Lüge und Gewalt zeigte, in Ungarn Fuß fassen konnte. In Abkehr von christlichen Wertvorstellungen sollte nur noch das gelten, was die Partei für richtig hielt. Diese Entscheidungen wurden als „unumstößliche Lehrsätze“ betrachtet, „die keiner Beweise bedürfen“, wie der Kardinal in seinen Erinnerungen festgehalten hat. Da menschliches Leben lediglich aus der Materie erwachsen soll, werden im Kommunismus nur Naturwissenschaften akzeptiert. Metaphysik und damit der Glaube an Gott werden nicht nur verworfen, sondern auch bekämpft. Die Religion wird ins Private abgeschoben, um sie dann liquidieren zu können. Die Konsequenz der Verbannung der Religion aus dem politischen Diskurs zeigt sich für Mindszenty – luzide und schrecklich zugleich – in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten und den Gulags der Kommunisten.

Kardinal Mindszenty führte die Gottlosigkeit der Nationalsozialisten und der Kommunisten in seinen Predigten und öffentlichen Stellungnahmen der Bevölkerung vor Augen. Er machte die Weltöffentlichkeit auf Verfolgungen, Rechtsverletzungen und Verbrechen der jeweiligen Machthaber aufmerksam – unerschrocken, ohne Rücksicht auf seine Gefährdung. In seinen Erinnerungen führt er aus, dass er auch bereit gewesen sei, „mit Gottes Hilfe im Kampf auszuharren, selbst um den Preis meines Lebens.“ Er verfolgte nicht nur als Erzbischof und Fürstprimas Ungarns seine christlichen Prinzipien, er machte seine Mahnungen, Vorwürfe und Anschuldigungen auch als ungarischer Patriot geltend. Noch vor Kriegsende wurde er erstmalig inhaftiert, um ihn mundtot zu machen.

Nach Kriegsende erhob er wieder seine Stimme, dieses Mal gegen die kommunistische Einverleibung Ungarns in das stalinistische System der Sowjetunion. Er ließ sich nicht einschüchtern und folgte dem Auftrag des Christentums. Selbst als er – wortwörtlich – unter Beschuss geriet und wie durch ein Wunder von den Kugeln nicht getroffen wurde, blieb er bei seiner Meinung. Er war nur bereit, vor Gott die Knie zu beugen, nicht aber vor einer weltlichen rechtswidrigen Herrschaft. Immer wieder brandmarkte er die Verbrechen der Kommunisten, immer wieder unterrichtete er die Weltöffentlichkeit über die Bedrängnis, unter der Ungarn und seine Bevölkerung zu leiden hatte. Selbst König Georg VI. von Großbritannien schrieb er an, um ihn darauf hinzuweisen, dass die Großmächte zwar feierlich die Geltung der Menschenrechte als universal und für jeden Menschen geltend verkündet hätten, doch die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen an den Ungarn in der Slowakei verschlössen – vor dem Schicksal der dort seit Jahrhunderten lebenden Personen, die unter Verlust ihres Eigentums vertrieben wurden, wobei viele den Tod gefunden haben.

Auch wenn die drei Siegermächte, USA, Großbritannien und die Sowjetunion, auf der Konferenz von Potsdam die Vertreibung der Sudetendeutschen gutgeheißen hatten, eine Vertreibung der ungarischen Bevölkerung aus der Slowakei wurde nicht vereinbart. Nach Auffassung der kommunistischen Regierung der Tschechoslowakei sollten aber in deren Staat nur Tschechen und Slowaken leben. Alle anderen Volksgruppen sollten das Land verlassen. Die drei Siegermächte hatten zwar nicht gestattet, auch die ungarnstämmige Volksgruppe zu vertreiben, gleichwohl sollte auch diese Volksgruppe, die 650.000 Mitglieder umfasste, aufgelöst werden. 200.000 Personen sollten reslowakisiert werden, 100.000 sollten gegen Slowaken, die in Ungarn lebten, ausgetauscht und die restlichen 350.000 Ungarn sollten unter primitiven Lebensumständen in der gesamten Tschechoslowakei verstreut angesiedelt werden. Um dieses Vorhaben verwirklichen zu können, wurde den Ungarn die Staatsangehörigkeit entzogen, sämtliche Ungarn wurden aus dem Staats- und Gemeindedienst entlassen, Gehälter, Pensionen und Renten wurden nicht mehr ausgezahlt, landwirtschaftliche und industrielle Betriebe, einschließlich der Handwerksbetriebe wurden entschädigungslos enteignet. Personen, die sich zur ungarischen Kultur und Tradition bekannten, durften sogar noch nicht einmal in der Industrie oder im Handel tätig sein. Ungarische Priester wurden ausgewiesen und letztendlich wurde auch die ungarische Sprache verboten. Die ungarische Kultur sollte vollständig ausgelöscht werden. Obwohl die Vertreibung der Ungarn aus der Tschechoslowakei von den Siegermächten nicht gestattet worden war, wurden gleichwohl ungefähr 20.000 Personen verjagt. Die Sowjetunion wollte es, und die beiden westlichen Siegermächte ließen die Kommunisten in der UdSSR und in der Tschechoslowakei gewähren.

Dankbar erinnerte sich Kardinal Mindszenty der Hilfe, die dem ungarischen Volk durch die US-amerikanischen Gläubigen zu teil geworden war. Kardinal Spellman schickte Geld, wovon die ungarischen Kommunisten widerrechtlich einen Teil einbehielten. Später sollten Mindszenty von diesen Kommunisten wegen dieser Zahlungen Devisenvergehen vorgehalten werden – in einem Schauprozess, in dem nach dem Willkürrecht der Partei entschieden wurde.

Im Jahr 1949 wurde Kardinal Mindszenty der Prozess gemacht. Dieser wurde als Schauprozess inszeniert. Unbeirrt vertrat der Angeklagte seine christlichen Prinzipien. Er ließ sich nicht durch die harte Strafe, die ihm drohte, einschüchtern oder in seinen Auffassungen schwankend werden lassen. Wie bei stalinistischen Schauprozessen üblich, stand das Urteil schon vorher fest. Er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Aus dem Gefängnis heraus konnte Mindszenty beobachten, wie die Herrschaft der Kommunisten immer unerträglicher wurde und wie der Unmut der Bevölkerung über die ideologische Fremdherrschaft wuchs. Die Wut über die Herrschenden brach sich 1956 im Ungarischen Aufstand bahn. Durch sowjetische Truppen und Panzer wurde der Aufstand niedergeschlagen. Kardinal Mindszenty erwähnt in seinen Erinnerungen, dass nach unbestätigten Informationen in den acht Tagen des Aufstandes etwa 5.000 Ungarn gefallen und 20.000 verwundet worden und viele Deportationszügen nach Sibirien gefahren seien. Viele der abtransportierten Personen seien Jugendliche zwischen zehn und achtzehn Jahren gewesen.

Kardinal Mindszenty wurde zwar befreit und konnte vier Tage in Freiheit leben, doch drohte ihm nach der blutigen Niederschlagung wiederum die Haft. Er floh deshalb in die US-amerikanische Botschaft in Budapest, wo ihm auch Asyl gewährt wurde. Dort verbrachte er die nächsten Jahre, bis ihm 1971 Papst Paul VI. mitteilen ließ, dass es doch besser wäre, „wenn ich mich – so Kardinal Mindszenty – jetzt zum Verlassen der amerikanischen Botschaft entschließen könnte.“ Er weigerte sich, allerdings empfand er den Hinweis des Papstes als Befehl, dem er zu gehorchen habe. Auch meinte er, aus einer sehr dezenten Bemerkung von Präsident Nixon, dass er – der Kardinal – sich in sein Schicksal fügen möge, herauszulesen, dass die amerikanische Regierung es begrüßen würde, wenn das Asyl beendet werden könnte. Kardinal Mindszenty verließ daraufhin die Botschaft und ging nach Wien in die Verbannung, wie er sein Leben in Österreich und im Westen bezeichnete, obwohl er Quartier im Paznameum nehmen konnte – einem ungarischen Priesterseminar, das von dem Erzbistum Esztergom unterhalten wird. Er ging im Bewusstsein, dass er niemals wieder ungarischen Boden betreten würde, aber auch in der Überzeugung, seinen Prinzipien treu geblieben zu sein. Zwar war ihm seitens des Vatikans zugesichert worden, dass er auch im Ausland den Titel Fürstprimas von Ungarn behalten und Erzbischof von Esztergom bleiben würde, doch wurde ihm der Titel später entzogen, genauso wie er als Erzbischof von Esztergom abgesetzt wurde. Dadurch habe er sich „auf den Weg in die Abgeschiedenheit einer totalen Verbannung“ begeben, wie er resignierend feststellen musste.

Er starb 1975 in Wien, in der Verbannung, und wurde in Mariazell in der Steiermark beigesetzt. Letztwillig hatte er verfügt, dass seine sterblichen Überreste erst dann nach Esztergom überführt werden dürfen, wenn in seinem Heimatland die Freiheit herrsche. Nach dem Untergang der kommunistischen Herrschaft fand er dann seine letzte Ruhe im Dom von Esztergom.

Allen Sirenengesängen des Staates, ihm die Freiheit für den Preis der Gemeinmachung mit dem Kommunismus zu schenken, widerstand er, wohl wissend, dass dann zwar die Folterungen und die Kerkerhaft ein Ende finden würden, doch der Preis wäre immer gewesen, Gott zu verleugnen. Trotz fürchterlicher Qualen hat er Gott den Herrn nie verraten. Selbst als er wieder und wieder halb totgeschlagen wurde, stand er zu Jesus Christus. Er war ein Glaubenszeuge, der durch sein unerschrockenes Einstehen für den Glauben zum Vorbild wurde.

Sein unbedingtes Glaubenszeugnis erweckte bei den ungarischen Gläubigen den Wunsch, Kardinal Mindszenty selig sprechen zu lassen. Es wurde ein Kuratorium gebildet, das sich in Rom für die Seligsprechung einsetzt. Botschafter Imre von Ugron, der zum Mitglied des Kuratoriums der von Botschafter Dr. Eduard Habsburg-Lothringen vertretenen Kardinal-Mindszenty-Stiftung gewählt worden ist, verwies darauf, dass Papst Franziskus im Jahr 2019 die erste wichtige Entscheidung im Seligsprechungsverfahren getroffen hat: Er hat das Dekret unterzeichnet, mit dem Kardinal Mindszenty zum Venerabilis Dei Servus, zum „Ehrwürdigen Diener Gottes“, erklärt worden ist. Papst Franziskus hat Kardinal Mindszenty in einem Gespräch als Märtyrer bezeichnet, doch hat die Kongregation für Seligsprechungen dieses Argument nicht für ausreichend erachtet. Nach Auffassung der Kuratoriumsmitglieder sei darüber hinaus ein Wunder nachweisbar, doch dieses wurde nicht akzeptiert. Über eine Millionen Ungarn und viele Gläubige weltweit beten, dass in Kürze die Seligsprechung erfolgen werde – vielleicht schon zum Eucharistischen Weltkongress, der jetzt 2021 in Budapest stattfinden soll.

Lothar C. Rilinger ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R., Stellvertretendes Mitglied des Niedersächischen Staatsgerichtshofes a.D.. Außerdem ist er Autor des Buches VRBS AETERNA. Bd.3

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