Ode an die Freiheit

7. Jänner 2021 in Aktuelles


Ettore Gotti Tedeschi: ein freier Mensch ist nicht gefährlich, wenn er respektiert wird, es ist der der Freiheit beraubte Mensch, der gefährlich werden kann, wenn es ihm gelingt, ‚die Ketten zu sprengen’. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/egt) Schillers’ Ode an die Freude – wer kennt sie nicht, wem klingen die Worte des Dichters vereint mit den Noten Ludwig van Beethovens nicht in den Ohren? „Seid umschlungen Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt“, und das Herz bebt. Denn: „Brüder – überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“. Das Genie des Dichters und jenes des Komponisten: es lehrt und drängt, zum Wesentlichen vorzudringen, den Menschen nicht alleine zu lassen, ihn seiner transzendenten Dimension gewahr werden zu lassen.

All dies scheint nach dem „annus horribilis“ 2020 noch einen anderen Sinn anzunehmen. Dies vor allem im Ausblick auf eine Zukunft, die, wie die ersten Tage des Jahres 2021 zeigen, mehr als unsicher, ja sogar gefährlich zu sein scheint. Also: weg von einer banalen Hoffnungsrhetorik hin zur Besinnung auf das Wesentliche. Denn: das Christentum ist der einzige Ort der Wahrheit und es gestattet kein süßliches Gerede von einer nicht näher differenzierten „Hoffnung“, die vielleicht noch ihren Ausdruck in netten Bildchen sucht.

Diese muss Grund haben, sie muss gegründet sein und begründet werden (vgl. 1 Petr 3,15), und dies nicht in einer spirituell-gefühlsmäßig bestimmten süßlich duftenden Luft (vgl. 1 Petr 5,8: „Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann“). Das Christsein verlangt immer die Vernunft, es verlangt Disziplin und lehnt infantile und abgedroschene Platitüden ab.

„Freiheit, schöner Götterfunken, wir betreten feuertrunken Himmlische, dein Heiligtum“, ein weiterer wesentlicher christlicher Punkt. Das Christentum ist der Ort der göttlichen Freiheit (höchster Ausdruck der göttlichen Freiheit: die Krippe und das Kreuz), die den Menschen beruft, sich in seine Freiheit zu versenken, sie als wahre, für die Wahrheit des Menschseins notwenige anthropologische Größe zu erfassen. Freiheit konstituiert Menschsein.

Ettore Gotti Tedeschi, Ökonom, Bankier, Finanzethiker, emeritierter Präsident des IOR (Institut für religiöse Werke) von 2009 bis 2012: er verdeutlicht von je her, dass die wahren Wurzeln der Unordnung in allen Bereichen (Welt, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Finanzsystem) moralischer Natur sind und letztendlich die Beziehung des Menschen zu Gott beeinflussen. Gotti Tedeschi setzte sich zu Beginn des Jahres gerade mit der „Freiheit“ auseinander, mit jener Freiheit, von der staatliche Mächte meinen, sie „Maßnahmen“ unterstellen zu können. Gotti Tedeschi unterbreitet einen Ansatz sui generis in Anbetracht eines Mainstream-Denkens, insbesondere für diejenigen, die sich mit wirtschaftlichen Fragen befassen. Er gehört zu den namhaften katholischen Intellektuellen Italiens (dies in einer Zeit, da Bischöfe und Priester zum Rückzug geblasen haben) und wird weltweit gehört.

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Eine Ode an die Freiheit, von Ettore Gotti Tedeschi

Ich möchte im Sinne der Prävention eine Ode an die Freiheit anstimmen, derer wir uns im Jahr 2020 etwas beraubt gefühlt haben. Meiner Meinung nach wird das Jahr 2020 in die Geschichte eingehen, weil es bestätigt hat, dass die „Werkzeuge“, die Instrumente (wissenschaftliche, wirtschaftliche, politische...) dem Menschen „aus der Hand geglitten“ sind, wie der heilige Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Sollecitudo rei socialis“ (30. Dezember 1987) zwanzig Jahre nach der Enzyklika Pauls VI. „Populorum progressio“ prophezeit hatte. Der heilige Papst erklärte, dass der Mensch dieses Jahrhunderts viel in Wissenschaft und Technik, aber wenig in Weisheit investiert hat, so dass er zu unreif geblieben ist, um die ausgeklügelten Instrumente, die er selbst geschaffen hat, zu beherrschen, und dass sie deshalb außer Kontrolle geraten werden. So war es, was eine Reihe von Fehlern erzeugte. Fehler sind oft korrigierbar, aber zu denken, sie zu korrigieren, indem man die Freiheit des Menschen unverhältnismäßig einschränkt oder nicht erklärt und versteht, wäre ein unverbesserlicher Fehler. Was im Jahr 2021 passieren wird, ist nicht vorhersehbar, da es zu viele voneinander unabhängige Variablen gibt.

Neben den Anti-Covid-Maßnahmen werden auch wirtschaftspolitische Szenarien (in Verbindung mit verschiedenen „Resets“) angedeutet, die eine weitere Beschränkung unserer Freiheit in Aussicht stellen. Aber wenn dies geschehen sollte, würde die gesamte Zivilisation leiden. Die Folgen, auch wirtschaftliche, einer Menschheit mit eingeschränkter Freiheit wären dramatisch und unvorhersehbar. Seltsamerweise haben wir nicht gehört, dass diese Freiheit vom moralischen Standpunkt aus als ein wesentlicher Wert für die Erreichung der humanitären Ziele der Brüderlichkeit und Solidarität verteidigt wird. Ich schlage daher vor, dass wir darüber nachdenken, was Freiheit bedeutet, was es bedeutet, den Menschen dieser Freiheit zu berauben und was für ein Fehler es sein kann, dies zu tun.

Die große deutsche Theologin Jutta Burggraf (* 1952 in Hildesheim; † 5. November 2010 in Pamplona) schrieb (in „Gelebte Freiheit“, „Freiheit aus der Kraft des Glaubens“), dass die Freiheit das größte Geschenk der Natur für den Menschen ist. Frei zu sein bedeutet, der Protagonist des eigenen Lebens zu sein. Sicherlich hängt der Wert der Freiheit davon ab, wie sie genutzt wird oder genutzt werden darf, da dies die Selbstverwirklichung oder Selbstzerstörung des Menschen impliziert. Der Mensch hat die Pflicht, nicht nur das Recht, seine Freiheit auszuüben, weil er dadurch zur menschlichen Entwicklung der ganzen Gemeinschaft beitragen kann. Frei zu sein bedeutet, Träume verwirklichen zu können, die in Projekte umgewandelt werden und damit die Möglichkeit, die Realität zu verändern, die der Welt um uns herum zugute kommt. Die begrenzte Freiheit, die ein Mensch bereit sein könnte, vorübergehend zu opfern, muss transparent erklärt und verstanden werden, das zu erreichende Ziel muss verstanden werden. Die Freiheit oder ihre Einschränkung ist an einen Zweck gebunden, das heißt an welches übergeordnete Gut wir uns entscheiden, die Freiheit zu adressieren und zu weihen, oder uns ihrer zu berauben. Und das ist heute, wo wir unter einer beunruhigenden wirtschaftlich-sanitären, noch unverstandenen „Bedrohung“ leben, nicht so offensichtlich.

Ohne Freiheit ist der Mensch nicht Herr über sich selbst, über seinen Willen, über sein Handeln. Ohne Freiheit fühlt der Mensch nicht die Verantwortung dafür, etwas Gutes zu tun, seine Talente zu entwickeln, neue Gedanken, neue Vorschläge und originelle Lösungen, neue Handlungen hervorzubringen.

Ohne Freiheit ist es unmöglich, verantwortungsvolle und sogar „gehorsame“ Bürger zu haben. Ohne Freiheit wird die Persönlichkeit auch des Stärksten ausgelöscht, und wir werden des größten „Mehrwerts“ beraubt, den ein Individuum der Gesellschaft geben kann.

Wer daran denkt, den Menschen seiner Freiheit zu berauben, will ihn seiner Nützlichkeit für die Gesellschaft berauben, will ihn zu einem Automaten machen, der nur zum Gehorchen, zum Tun und nicht zum Denken nützlich ist, er will ihm sogar sein Innenleben nehmen. Wie in totalitären Systemen, in denen die Freiheit ein Hindernis ist, weil der Mensch als eine Masse ohne Würde betrachtet wird.

Das Verlangen, andere der Freiheit zu berauben, um sie zu beherrschen, entsteht nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche. Und auch das ist beunruhigend. Den Menschen mit Hilfe von Ängsten und emotionalen Spannungen der Freiheit zu berauben, mag kurzfristig eine erfolgreiche Entscheidung sein, aber nur kurzfristig. Denn ein freier Mensch ist nicht gefährlich, wenn er respektiert wird, es ist der der Freiheit beraubte Mensch, der gefährlich werden kann, wenn es ihm gelingt, „die Ketten zu sprengen“. Und er hat immer Erfolg, doch mit welchen Konsequenzen?

Wer denkt, dem Menschen seine Freiheit nehmen zu können, widersetzt sich offenkundig Gott und vergisst auch, dass es eine innere Freiheit im Menschen gibt, die diejenigen überraschen könnte, die sie zu leugnen meinen.

Das italienische Original des Beitrags Gotti Tedeschis kann auf dem Blog des Vatikanisten Marco Tosatti Stilum Curiae eingesehen werden. Ich danke Marco für die Zusammenarbeit. as

 

 


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