Wie ein süchtiges Partygirl aus Wien an Heiligabend im Sterbehaus von Mutter Teresa sein Glück fand

28. Dezember 2020 in Spirituelles


„Ich knie zum ersten Mal vor dir nieder. Bitte gib mir ein Zeichen, dass es der richtige Schritt ist… Zwinkere mir vom Kreuz herunter zu, winke mir zu. Ich will dir alles geben, wenn du mich liebst und glücklich machst“ Gastbeitrag Günther Klempnauer


Wien (kath.net) Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab“, so beginnt das Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen. Es war mitten im Winter im verschneiten Wienerwald bei den 96 Zisterziensermönchen im uralten Stift Heiligenkreuz. Hier erwartete ich die 27-jährige Marie Mauritz, die auch sehr schön ist, wenn auch nicht – wie Schneewittchen – die „Schönste im ganzen Land“. Wie die Märchenprinzessin, so musste auch Marie vor ihrem Happy End schwere Zeiten durchleben. Beide verliebten sich in einen „Königssohn“. Während Schneewittchen in ein Schloss einzog, entschied sich Marie für das Sterbehaus von Mutter Teresa in Kalkutta. Ich traf das ehemalige Partygirl im Kreuzgang des ehrwürdigen Klosters, wo wir zunächst bei klirrender Kälte einige Runden drehten, sozusagen unsere ersten gemeinsamen Gehversuche machten. Die charmante Wienerin hatte strahlende Augen und trug ihre blonde Haarpracht zu einem kunstvollen Zopf geflochten. Die bewegenden Worte ihrer Botschaft sprudelten nur so aus ihr heraus. Ihre Leidenschaft zog mich in ihren Bann und machte mich neugierig, ihrem Lebens- und Glaubensgeheimnis auf die Spur zu kommen. Draußen schneite es und es war ungemütlich kalt, deshalb setzten wir unser anregendes Gespräch im geheizten Klostergewölbe fort. Hier kam es zu einer überraschenden Begegnung mit Pater Johannes Paul, der im Stift Heiligenkreuz zu Hause ist. Der Mönch und die angehende Ordensfrau (siehe Foto) feierten ein unerwartetes Wiedersehen, denn beide hatten dieselbe Schulklasse in Wien besucht und sich nach all den Jahren viel zu erzählen. Aber das ist wieder ein anderes Märchen.

(Über ihr ausschweifendes Leben, das für Marie zum „Weltuntergang“ führte, kann ich in diesem begrenzten Rahmen nicht berichten. Hier kann ich nur einen kleinen Ausschnitt aus meinem 18 Seiten langen Bericht bringen. Was Marie Heiligabend in Kalkutta erlebte, schilderte sie mir sehr anschaulich).

 „An jedem Heiligabend nach der Mitternachtsmesse sind Helfer und Ordensschwestern unterwegs zu den Sterbenden auf Kalkuttas Straßen und in den Slums, um tausend warme Decken zu verschenken. Ich war diesmal auch dabei. Die Hilfsaktion muss sehr schnell und leise durchgeführt werden, weil die Decken bei Weitem nicht ausreichen für die Massen von Armen, Kranken und Sterbenden, die unbeachtet irgendwo am Straßenrand schlafend herumliegen. Wenn sie dabei aufwachen, sagen wir: ,Dies ist ein Geschenk von Jesus.‘ Im Vorbeigehen legte ich eine Decke über einen halbnackten Mann. Er rief mir hinterher und ich ging zurück, kniete mich vor ihm hin und nahm seinen Kopf in den Arm. Ich schaute in die Augen eines Sterbenden. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel durchfuhr es mich: Das ist Christus im Ärmsten der Armen. Gott war mir unmittelbar begegnet!“ Monate vorher habe sie viele Menschen sterben sehen, deshalb konnte sie auch einschätzen, wie krank dieser Mann war. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet lag er in einer Pfütze, denn es regnete. Seine Hände waren aufgeweicht. Er wog vielleicht noch 35 Kilo, ein typischer Tuberkulosefall. Ein Skelett, das hilflos am Boden lag. Sie war schockiert über sich selbst, dass sie diesem Menschen nur eine Decke übergeworfen hatte, auch noch in dem Glauben, etwas Gutes getan zu haben. In ihrem Kopf lief der Film ihres bisherigen Lebens ab und sie erinnerte sich: „Wenn in mir etwas Hässliches passiert war, habe ich einfach eine Decke darübergeworfen, habe alles zugedeckt und bin weitergegangen, ohne viel nachzudenken. Mit unserem Krankenwagen haben wir den todkranken Mann ins Sterbehaus gebracht. Im Auto schaute mir der Sterbende so durchdringend in die Augen, wie mich noch niemand angeschaut hatte. Das war ein Blick in die tiefsten Tiefen meiner Seele. Und urplötzlich war mir klar, dass mich da ein anderer anschaute.“

Sei empfänglich für Zeichen von Gott

 Drei Stunden vorher hatte sie in der Mitternachtsmette zum allerersten Mal seit ihrer Firmung gebetet. Dabei habe sie Jesus gebeten, in ihr Leben einzutreten. Sie wollte auch so glücklich werden wie die Ordensschwestern, die ihr Leben Jesus geweiht hatten. Wörtlich betete sie: „Ich knie zum ersten Mal vor dir nieder. Bitte gib mir ein Zeichen, dass es der richtige Schritt ist. Ich weiß nicht, wie und was ich dazu tun muss. Zwinkere mir vom Kreuz herunter zu, winke mir zu. Ich will dir alles geben, wenn du mich liebst und glücklich machst.“ Dieses ersehnte Zeichen seiner Liebe habe sie im Bruchteil einer Sekunde bekommen, als sie die Hand des sterbenden Mannes ergriff und er sie anschaute. In dieser Nacht sei Jesus in ihrem Herzen geboren worden. Freudestrahlend bekannte sie: „Weihnachten bin ich ein komplett neuer Mensch geworden, habe neue Augen und ein neues Herz geschenkt bekommen. Und ich war nicht mehr nur eine Krankenschwester für Patienten, sondern die Marie für meine Brüder und Schwestern. Ein unglaubliches Erlebnis. Ich schwebte im siebten Himmel, weil ich auf einmal eine Liebe empfand, die ich vorher nie gekannt hatte.“

Die Freude und der Friede mit Gott bestimmten ihr Leben. Das Sinnlosigkeitsgefühl und die depressiven Phasen wichen für immer einem Geborgenheitsgefühl, das alle Ängste verschwinden ließ. Marie wurde eine eifrige Bibelleserin und tauschte sich mit dem Priester und den Schwestern über ihren gemeinsamen Glauben aus. Gern erinnerte sie sich an diese intensive Lebensphase: „Ich war wie ein Schwamm, ich wollte alles aufsaugen, was mir der christliche Glaube zu bieten hat, und konnte nicht genug bekommen.“

Ob die dramatische Lebensgeschichte der Ordensschwester Mia Noel so märchenhaft ist wie die Geschichte von Schneewittchen, die sich in einen Königssohn verliebte und mit ihm im Schloss seines Vaters in Freuden lebte, mag dahingestellt bleiben. Sicher ist: Auch Marie Mauritz verliebte sich in den Sohn des größten „Königs“, der sie ein Stück Himmel auf Erden mitten unter den Ärmsten der Armen schauen ließ. Neugeboren als Mia Noel bekennt sie: „Gott nahe zu sein, ist mein Glück.“

Dies war nur eine kleine Leseprobe aus meinem Buch „Mach das Beste aus Deinem Leben“.

Fotos (c) Günther Klempnauer

kath.net-Buchtipp

Mach das Beste aus deinem Leben
Mutmach-Geschichten über Krisen, Glaube und Erfolg
Von Günther Klempnauer
Hardcover, 192 Seiten; durchgehend farbig gestaltet, mit zahlreichen Farbfotos
2020 St. Benno
ISBN 978-3-7462-5748-8
Preis Österreich: 14.95 EUR


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