„Brüderlichkeit, Geschwisterlichkeit und die Politik der offenen Grenzen“

21. Dezember 2020 in Kommentar


„Jeder Staat hat das nicht hintergehbare Recht, seine Grenzen zu schützen, wie es Benedikt XVI./Ratzinger vollkommen zu Recht formuliert hat“. Gedanken über die Enzyklika Fratelli tutti. Gastbeitrag von Lothar C. Rilinger


Vatikan (kath.net) In seiner neuesten Enzyklika Fratelli tutti bezieht sich Papst Franziskus auf ein Wort des Gründers des Franzikanerordens, wonach die Liebe alle politischen und räumlichen Grenzen übersteigen soll. Danach soll es möglich sein, „den Graben der Herkunft, der Nationalität, der Hautfarbe und der Religion zu überspringen.“ Mit diesem Hinweis breitet der jetzige Papst vor uns seine Vorstellung von Geschwisterlichkeit aus, wie er modernistisch und deshalb politisch korrekt die biblische Brüderlichkeit bezeichnet. Für ihn sind alle Menschen Geschwister, wobei er keinen Unterschied macht zwischen Christen – nicht zu vergessen „und Christinnen“, schließlich ist nicht jedem die generische Form bekannt – und Personen aus einem anderen Kulturkreis. Alle Menschen sind schließlich Kinder Gottes, die auch am Ende der Zeit Jesus Christus als den Messias anerkennen werden. Dieser Vorstellung hat Franziskus vor aller Welt Ausdruck verliehen, als er nach seinem Besuch des Flüchtlingslagers auf der Insel Lesbos nur muslimische Flüchtlinge auf dem Rückflug mitnahm, um sie aus dem Elend der Flüchtlingsunterkunft zu befreien und um sie in einen für ihn fremden Staat, den italienischen, zu bringen. Allerdings sah er davon ab, auch christliche Flüchtlinge zu befreien. Als Rechtfertigung gab er an, dass keiner der christlichen Flüchtlinge über die notwendigen Papiere verfügt hätte. Da er jedoch als der letzte absolutistische Herrscher in Europa anzusehen ist, hätte er sich selbstverständlich über irgendwelche Formalitäten hinwegsetzen können, um diese Flüchtlinge in seinen eigenen Staat, in den Staat der Vatikanstadt, mitzunehmen.

Auch wenn alle Menschen Brüder sind – der Bruderbegriff wird jedoch erweitert hin zum Bruder in Christus und damit erhält die Brüderlichkeit eine Einschränkung, die eine höhere Stufe der Brüderlichkeit ausweist. Der gemeinsame Glaube an den Dreifaltigen Gott der Christen hebt die Christen aus der Schar sämtlicher Brüder heraus und verleiht ihnen die wahre Qualifikation als Geschwister, als Teil einer besonderen Familie – als Geschwister in Gott.

Der Papst als Bischof von Rom, als Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche und dann als Papst diverser katholischer Kirchen steht den Gläubigen dieser katholischen Kirchen gegenüber in einem besonderen Vertrauensverhältnis, auch in einem besonderen Verantwortungsverhältnis, und diesen Gläubigen ist er der Pater familias, derjenige, der als Hirte der großen Herde bezeichnet wird und der sich folglich in besonderer Weise fürsorglich um seine Familie kümmern muss.

Konsequenterweise beschreibt der Papst in seiner Enzyklika dagegen, dass alle Personen als gleich anzusehen wären, was juristisch korrekt ist, aber die Privilegierung als Geschwister in Christus unberücksichtigt lässt. Danach dürfte es keine – nationalen - Grenzen geben. Damit hat er inzidenter erklärt, dass sich kein Staat das Recht herausnehmen dürfe, Flüchtlinge daran zu hindern, die je eigenen Staatsgrenzen zu überschreiten. Unabhängig davon, dass Pius XII. während der deutschen Okkupation im Zweiten Weltkrieg vierhunderttausend Flüchtlingen im Vatikan und in den exterritorialen Gebieten des Vatikans, aber auch in kirchlichen Gebäuden in Italien Schutz gewährte, konnte man noch nicht lesen, dass der Vatikan muslimische Flüchtlinge in seinem staatlichen Bereich Zuflucht geboten hätte.

Obwohl sich der Papst für eine Öffnung der Grenzen ausgesprochen hat, bedeutet seine Auffassung nicht, dass damit aus rechtlichen oder religiösen Gründen sämtliche Grenzen aufgehoben werden müssten. Zwar steht in der Bibel, dass alle Menschen auch Geschwister im Allgemeinen seien, doch findet die Vorstellung von Geschwisterlichkeit ihre Grenze in den Rechten der Staatsbürger des aufnehmenden Staates. Nicht nur die Flüchtlinge können sich auf ihre Grund- und Menschenrechte beziehen, sondern auch die Staatsbürger des Landes, das als Ziel der Zuwanderung auserkoren worden ist. Dies hat zur Folge, dass im Rahmen der „Praktischen Konkordanz“ (Konrad Hesse) die Rechte der Flüchtlinge und die der einheimischen Bevölkerung abgewogen werden müssen. Die Rechte der Flüchtlinge dürfen nicht über die der einheimischen Bevölkerung triumphieren, genauso dürfen die Rechte der einheimischen Bevölkerung nicht diejenigen der Flüchtlinge obsolet werden lassen. Dieser Ausgleich muss gefunden werden – jenseits jeglicher Ideologie, die vor allen Dingen durch den Internationalismus Marx´scher Prägung gespeist wird. Dieser Internationalismus verurteilt jegliches nationale Denken als Nationalismus, zuweilen auch als Nationalsozialismus, und sieht die Weltbevölkerung als Gemeinschaft sämtlicher Proletarier, ohne wie auch immer geartete Unterschiede. Wer sich diesem Diktat nicht unterordnet, wird a priori als rechtsradikal denunziert.

Jeder Staat hat das nicht hintergehbare Recht, seine Grenzen zu schützen, wie es Benedikt XVI./Ratzinger vollkommen zu Recht formuliert hat, und jeder Staat hat darüber hinaus das Recht, die Zusammensetzung sowohl des Staatsvolkes, als auch der Gesamtbevölkerung zu bestimmen. Diese Rechtsauffassung spiegelt nicht nur geltendes Staats- und Völkerrecht wider, sondern ergibt sich auch aus der Hl. Schrift, die noch die Grundlage des Völkerrechts darstellt. Durch diesen Rekurs des Völkerrechts auf den Teil des Dekalogs, den Kant als „Sittengesetz“ bezeichnet hat, wird die hohe Bedeutung des Christentums für die Welt indiziert. Damit ist das Christentum immer noch die Grundlage für Regelungen, die das Zusammenleben der Weltbevölkerung bestimmen. Es entspricht deshalb nicht den Tatsachen, dass das Christentum seine führende Stellung im weltpolitischen Diskurs verloren habe.

Konsequenz der Öffnung der Grenze aber wäre, dass das ursprüngliche Staatsvolk in der Masse der Zuwanderer aufgehen würde, schließlich drängen Millionen Menschen aus Asien und Afrika nach Europa, um hier an dem Reichtum zu partizipieren, den die ursprüngliche Bevölkerung erwirtschaftet hat. Im 5. Buch Moses ist dieser Prozess drastisch beschrieben worden: „Er [der Zuwanderer] wird zum Kopf, und du [der Einheimische] wirst zum Schwanz.“ Selbst aus religiöser Sicht ist es nicht geboten, die Grenzen zu öffnen, um alle Geschwister im allgemeinen Sinn die Einreise zu gestatten. Schon im Alten Testament wird darauf abgestellt, dass es für einen Staat rechtens sei, wenn er seine Grenzen schützt. Allein dieser Rekurs auf die Schrift zeigt, wie notwendig es ist, die Schrift zu kennen. Auch wenn der mainstream mehr bei der Bevölkerung ankommt – noch bildet die Schrift die Grundlage der Religion und der sich hieraus ergebenden ethischen und rechtlichen Entscheidungen. Den Christen jedenfalls ist aufgegeben worden, sich an der Schrift zu orientieren.

Lothar C. Rilinger ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R., Stellvertretendes Mitglied des Niedersächischen Staatsgerichtshofes a.D.. Außerdem ist er Autor des Buches VRBS AETERNA. Bd.3

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