Puer natus est nobis - Der Messias, der Herr

23. Dezember 2020 in Spirituelles


Eine Weihnachtsbetrachtung von Stefan Fleischer


Grenchen (kath.net/sf) Missmutig saß Pater Lukas vor seinem Computer. Ihm war es zugefallen dieses Jahr in der Mitternachtsmesse die Predigt zu halten. Und nun hatte er soeben auch den dritten Entwurf wieder gelöscht. Ja, das Thema Weihnachten machte ihm von Jahr zu Jahr mehr Bauchschmerzen. Und seinen Mitbrüdern schien es nicht besser zu gehen. Auf alle Fälle hatte sich keiner gemeldet als er anerbot, diese «Ehre» einem anderen zu überlassen. Früher, da konnte man noch vom Kindlein in der Krippe predigen, von den Hirten auf dem Feld und den Engeln mit ihrem Gesang. Solche Sentimentalitäten interessierten heute niemand mehr. Das war die eine Seite. Und andererseits schienen ihm die modernen Schlagworte wie Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfer auch nicht so recht zu diesem Fest zu passen. Diese wurden schon unter dem Jahr immer mehr zu abgedroschenem Stroh. Und angesichts dieser Krippe war, ehrlich betrachtet, doch nicht viel von alledem zu spüren. Im Gegenteil.

Ja, die Krippe. Daran ließ sich vielleicht anknüpfen. Da hatte diese arme Familie doch noch einen barmherzigen Gastwirt gefunden, welcher ihr diese Bruchbude von einem Stall als Dach über dem Kopf überlassen hatte. Aber halt. Wie war das mit dieser armen Familie? Josef war doch ein selbständiger Handwerker und erst noch aus dem Hause David, der sich auch jedes Jahr die Wallfahrt nach Jerusalem leisten konnte. Aber wie dem auch sei. Ganz Bethlehem war offensichtlich damit beschäftigt all den vielen, ach so wichtigen, echten und falschen Fürsten zu hofieren, welche sich untertänigst vom Kaiser in Rom zur Volkszählung hierher hatten kommandieren lassen.

Doch heute, ist die Welt inzwischen wirklich besser geworden? Die herrschende Klasse ist, das war wenigstens seine Erfahrung, auch nicht viel besser als die Führer des Volkes von damals, die Geistlichkeit von heute nicht besser als die Priester und Schriftgelehrten vor zweitausend Jahren, und das einfache Volk genauso missgünstig und unzufrieden wie eh und je. Und doch sangen die Engel damals auf dem Feld bei den Hirten: «Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.» (Lk 2,11)

«Der Messias, der Herr» bei diesen Worten blieb er stecken. War das der Schlüssel? In dieser Nacht würde man dann wieder singen: «Puer natus est nobis», zu Deutsch: «Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Auf seinen Schultern ruht die Weltherrschaft». Thema Weltherrschaft. Ja, das ist heute vielleicht aktueller denn je. Und nicht nur die Weltherrschaft, nein, auch Macht und Herrschaft in allen Bereich des Lebens, bis hinein in die kleinsten Gruppen und Familien, gehören zu den meist angestrebten Zielen des Menschen. In Bezug auf die Mittel und Wege dazu ist unsere Zeit vielleicht raffinierter geworden, aber sicher nicht wählerischer. Dies darzulegen gäbe eine herrliche Jeremiade. Nur eben keine Weihnachtspredigt.

Und doch, wie wäre es, wen er in seiner Predigt fordern würde, dass nun endlich die Weltherrschaft auf die Schultern dieses Kindes in der Krippe gelegt werde? Vermutlich wäre er damit alle weiteren Angebote für eine Weihnachtspredigt los. Wäre auch nicht so schlecht. Aber das Thema begann ihn zu faszinieren. Wir bekennen doch im apostolischen Glaubensbekenntnis: «und an Jesus Christus, seinen (Gottes) eingeborenen Sohn, unsern Herrn». Wir nennen dieses Kind unseren Herrn. Ist es das für uns? Ist es dies vielleicht nur am Sonntag im Gottesdienst, in den liturgischen Texten? Wie steht es damit im Alltag? Ist es dann für uns nicht eher nur so etwas wie ein konstitutioneller Monarch, eine Repräsentationsfigur?

Doch wenn er so etwas sagen würde, würden ihn dann seine Mitbrüder aus der konservativen Ecke nicht sofort fragen, weshalb er dann den vorgeschriebenen liturgischen Text: «der mit Dir lebt und herrscht» ständig eigenwillig abändere in «der mit dir lebt und liebt»? Ja, das wäre ein anderes Thema, Liebe und Herrschaft. Was hat Liebe mit Herrschaft zu tun und Herrschaft mit Liebe? «Gott ist Liebe», wie oft hat er nicht schon darüber gesprochen. Aber Gott ist auch der Herr. Könnte es sein, dass Gottes Herrschaft Liebe ist und Gottes Liebe Herrschaft? Herrscht vielleicht Gott deswegen, weil er uns liebt? Warum ist herrschen eigentlich heute so negativ belegt? Man stelle sich einmal eine Welt vor, in welcher niemand herrscht. Wäre das nicht das Chaos?

Vielleicht könnte man hier noch die andere Aussage des Credos ins Spiel bringen: «Ich glaube an Gott, den Vater.» Zur Zeit Jesu war der Vaterbegriff noch viel stärker als heute mit herrschen verbunden. Er leitete seine Familie oder Sippe oft mit starker Hand, gerade weil er sie liebte und sich um sie sorgte, weil er genau wusste, dass ohne Ordnung kein Friede möglich ist, weil er sich bewusst war, dass nur die Einheit innerhalb der Familie das Überleben sichern konnte. Nur, eine Predigt über Gott den Vater war an Weihnachten auch irgendwie offtopic.

Die Glocke der Klosterkirche rief zur Vesper. Pater Lukas fuhr seinen Computer herunter und begab er sich auf seinen Platz im Chor. Aber irgendwie war er nicht ganz bei der Sache. Ob er nicht doch einen Mitbruder bitten sollte, ihm diese Predigt zu abzunehmen?

*****


Die dunkle Nacht von Bethlehem - Eine Weihnachtsbetrachtung

Am Adventskranz brennt ruhig die dritte Kerze und verbreitet einen matten Schimmer in der wohlig warmen Stube, während draußen eine kalte Brise ums Haus pfeift. Eigentlich könnte es jetzt so weihnachtlich friedlich sein. Aber irgendwie liegt eine knisternde Spannung in Raum. Ich bin allein zu Hause. Die Nachrichten bestanden aus lauter Unglücksfällen und Verbrechen, Krieg, Terror und Gegenterror. Und dann plätscherte wieder seichte Unterhaltung aus dem Lautsprecher, vermischt mit Weihnachtssentimentalität. Doch mir ist gar nicht weihnachtlich zu Mute. Es scheint, als ob all meine Sorgen und Probleme nur auf diesen Moment gewartet hätten, um noch brutaler, noch auswegloser hereinbrechen zu können. Ich drehe das Radio aus. Um selber abzuschalten nehme ich den Rosenkranz zur Hand. „Den du, oh Jungfrau, zu Bethlehem geboren hast.“ Diese Nacht zu Bethlehem, war sie wirklich so „oh du fröhliche, oh du selige“ wie wir so gerne singen? Könnte es nicht auch ganz anders gewesen sein? Die Bibel schweigt sich darüber aus. Ich beginne mir auszumalen:

Josef war mit seiner Braut Maria endlich in Bethlehem angekommen. Doch in welch eine Stadt! Alles war voll von Nachkommen des großen Königs David, einer wichtiger als der andere. Alles war voll von Fürstensöhnen und ihrem Gefolge, voll von Leuten, von denen sich jeder einbildete, aus seinem Haus werde derjenige hervorgehen, der Israel aus dem Joch der Römer befreien werde, und zwar schon bald. Alle Privatquartiere waren längst an irgendwelche VIP's vergeben, und die einzige Herberge war hoffnungslos überfüllt. Natürlich hatte er damit gerechnet, war er frühzeitig aufgebrochen. Aber mit Maria, in ihrem Zustand, war er nicht zügig vorangekommen, immer wieder musste er Pausen einlegen, die Etappen verkürzen. So war man wieder einmal zu spät gekommen, so wie kleine, gutmütige Leute eben immer zu spät kommen.

Lange sah es aus, als ob man im Freien werde übernachten müssen. Ihm hätte das zwar nicht viel ausgemacht. Aber für Maria, nein. Da hatte er eben gebettelt, bis ein Grundbesitzer ihm endlich erlaubte, in diesen Stall zu gehen, gebettelt, er, ein Davidssohn, der auch seinen Stolz hatte. Die Herde war irgendwo draußen auf der Weide. Jetzt heulte nur der Wind in den Ritzen dieser Bretterbude, ein unfreundlich nasskalter Wind, der nächsten Regen versprach. Wenigstens hatte man ein Dach über dem Kopf. Draußen war es schon dunkel, und hier drinnen noch dunkler. Die kleine Reiselaterne erleuchtet kaum den Platz auf dem sie stand. Josef fror, und auch Maria drückte sich in eine windgeschützte Ecke.

Dann setzten auch noch die Wehen ein, viel zu früh, aber nicht verwunderlich nach den Strapazen der Reise. Eine Hebamme aufzutreiben war unmöglich. Er kannte sich ja nicht aus in dieser Stadt, und jeder, den er fragte, war entweder selber ein Fremder, oder hatte so viel zu tun, dass er für diesen „dreckigen Bettler“ bestenfalls ein scnhautziges „Weiß nicht!“ übrig hatte. Zum Glück hatte die Hebamme in Nazareth noch ein paar Tipps mitgegeben, für den Notfall. „Sauberkeit ist alles!“ hatte sie gesagt. Das sollte wohl ein Witz sein. Ein Besen war weit und breit nicht zu finden, und selbst dann, jetzt diesen jahrealten Staub aufzuwirbeln wäre nur noch gefährlicher. Also schob Josef das Stroh vorsichtig an einem geschützten Ort zusammen und breitete darauf die Reisedecke aus. Für den kommenden Erdenbürger lag zufällig bereits etwas Heu in der Krippe. Dann musste man heißes Wasser bereitstellen. Vielleicht gab es eine Quelle in der Nähe, aber er sah und hörte nichts. Also nichts wie los in die Stadt zum großen Brunnen, eine Viertelstunde zu Fuß.

Warum hatte er sich überhaupt auf diese Frau eingelassen? Warum hatte er ihr, als sie, weiß Gott wie, schwanger geworden war, nicht einfach den Laufpass gegeben? Sicher, er liebte sie sehr. Sie war ja wirklich sehr hübsch und lieber als alle die anderen. Aber diese Schwangerschaft, dieses komische Gerede von einem Engel und so? Klar, selber hatte er ja auch einen Traum gehabt. „Fürchte dich nicht!“ hatte es da geheißen. Nur, ein einfacher Handwerker fürchtet sich nicht. Doch er sollte vorsichtig sein, und sich nicht auf Dinge einlassen, die zu hoch für ihn waren. Das konnte gefährlich werden. Er war es nicht gewesen, zu rücksichtsvoll, zu verliebt. Und nun saß er da und versuchte, ein Kind zur Welt zu bringen, das nicht einmal das Eigene war, was man den Kollegen wohlweislich nicht unter die Nase reiben durfte. Komisch, irgendwo in der Nähe des Stalles sollte es doch eine Feuerstelle der Hirten geben. Ach ja, da war sie. Und sogar etwas Holz lag dabei. Die werden hoffentlich nichts dagegen habe. Und wenn schon. Die Feuerstelle war wenigsten einigermaßen geschützt. Trotzdem wollte das Feuer nicht recht brennen. Der wechselnde Wind trieb ihm immer wieder beißenden Rauch in die Nase. Na endlich! Jetzt konnte er den Kessel für einige Zeit alleine lassen.

Josef ging in den Stall, um nach Maria zu sehen. Sie lag jetzt auf der Decke und war sehr bleich. Ob sie Schmerzen hatte? Er hatte davon gehört, das Wehen sehr schmerzhaft sein können. Arme kleine Maria. Oder war es etwas anderes? Musste denn nicht auch sie sich fragen, was das bedeutete, dieser Spruch des Engels von dem Sohn, der sich auf den Thron seines Vaters David setzen wird, und nun diese Geburt in einem dreckigen Stall, ganz allein, ohne irgendwelche Gewähr, dass das Kind, und vielleicht auch sie, nicht daran sterben würden. War diese Erscheinung vielleicht nur eine Vorspiegelung ihrer blühenden Fantasie gewesen? Oben im Gebälk, direkt über ihr, begann eine Spinne ihr Netz zu bauen – ein Zufall oder ein Zeichen? Nein, so offensichtlich Gottes Handschrift war die ganze Angelegenheit nun wirklich nicht. Aber was denn sonst?

Einsetzende Wehen verdrängten die quälenden Fragen. Jetzt musste er aufpassen, nichts falsch zu machen. Schlussendlich war er ja noch nie bei einer Geburt dabei gewesen, außer bei der eigenen, schon gar nicht als Hebamme. Und die Anweisungen aus Nazareth, hatte er sie richtig verstanden? Hatte er nichts vergessen? Plötzlich erschienen sie ihm als sehr mager, so gar nicht auf die Situation zugeschnitten. Doch dann trat das Köpfchen des Kindes aus dem Mutterschoß, und schlussendlich der ganze, zerbrechlich kleine Körper. Der erste leise Schrei. Alles schien gut gegangen. Ein Knabe! Die Augen der Mutter glänzten, während Josef immer noch bemüht war, auch den Rest noch richtig zu machen, abnabeln, waschen, wickeln. Oh, es war alles viel schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte. Aber er hatte es geschafft.

Es war schon weit nach Mitternacht, als das Kind in seiner Krippe endlich eingeschlafen war. Auch Maria schlief ermattet, in die Reisedeckel gehüllt. Josef lag immer noch wacht. Es war kalt auf dem Stroh. Und wieder stellten sich die quälenden Fragen ein. „Warum?“ „Wie soll das nur weiter gehen?“ Was ist, wenn ...?“ Von weither hörte er laute Stimmen. Sie kamen näher. Betrunkene? Oder hatten die Hirten die Fremdlinge im Stall bemerkt? Er nahm seine Laterne und trat unter die Türe. Einige Männer kamen geradewegs auf ihn zu. Hirten ganz offensichtlich. Und - sie gratulierten ihm zu seinem Sohn! Wie konnten sie das nur wissen? „Engel sind uns erschienen und haben uns die Geburt des Messias verkündet!“ Also doch? Auch die blühendste Fantasie konnte so etwas nicht erfinden. Und Hirten sind normalerweise keine Träumer.

„Siehst du?“ sagte Maria, als die Hirten wieder zu den Herden zurückgekehrt waren. Sie lächelte und ihre Wangen hatten jetzt wieder diese so bezaubernde Röte. Josef wurde es ganz warm ums Herz. „Ja, selig bist du, weil du geglaubt hast!“ draußen war es zwar immer noch Nacht. Und immer noch wusste man nicht, was das alles bedeuten, wie es weiter gehen sollte. Aber die Hirten hatten die Botschaft des Engels bestätigt. „Danket dem Herrn, den Er ist gut, und ewig währet seine Huld!“ Der Rest ist Glaube und Vertrauen.

 


© 2020 www.kath.net