Johannes von Damaskus – eine besonders aktuelle Gestalt

4. Dezember 2020 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: wider den Ikonoklasmus. Zwischen Anbetung – ‚latreia’ und Verehrung – ‚proskynesis’. Die Materie aufgrund der Fleischwerdung gleichsam vergöttlicht, als Wohnstatt Gottes. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) 4. Dezember, Gedenktag des heiligen Kirchenlehrers und Kirchenvaters Johannes von Damaskus. Am 6. Mai 2009 setzte sich Papst Benedikt XVI. mit dieser großen Gestalt des Ostens im Rahmen seiner Katechesenreihe bei den Generalaudienzen zu den Kirchenvätern auseinander.

Benedikt XVI. weist auf Johannes als bedeutenden geistlichen Autor des Orients hin, der auch Augenzeuge der Umwandlung des christlichen Kulturkreises seiner Heimat durch den Islam wurde.

Johannes stammte aus einer vornehmen christlichen Familie. Wie sein Vater war er zunächst im Dienst des Kalifen tätig. Um das Jahr 700 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück und trat in das Kloster Mar Saba bei Jerusalem ein. Hier widmete er sich ganz der Askese und der Abfassung geistlicher Werke. Die zahlreichen erhaltenen Predigten weisen darauf hin, dass er auch seelsorglich tätig war.

In der theologischen Kontroverse seiner Zeit, ob man sich von Gott ein Bild machen dürfe, verteidigte Johannes die Verehrung der Ikonen. Zur Begründung sagte er, „dass der Gläubige ja nicht die Materie verehrt, sondern den Schöpfer aller Dinge, der für uns Mensch geworden ist und das Heil durch die Materie wirken will“. In der Inkarnation „erhält die Materie einen hohen Wert und wird sogar Zeichen und Sakrament der Begegnung des Menschen mit Gott. In ähnlicher Weise erklärte Johannes die Verehrung der Reliquien“.

Da die Heiligen an der Auferstehung Christi teilhaben, können sie nicht einfach als Tote betrachtet werden. Ähnlich wie das glühende Eisen, das nicht das Feuer selbst ist, aber doch zum Teil seine Eigenschaften übernommen hat, sind die Heiligen vom göttlichen Leben durchdrungen. Johannes, der sich auch als Dichter von geistlichen Liedern einen Namen machte, starb hochbetagt vor dem Jahr 754.

Benedikt XVI., Generalaudienz vom 6. Mai 2009: der heilige Johannes von Damaskus |

Heute möchte ich über Johannes von Damaskus sprechen, eine Persönlichkeit ersten Ranges in der Geschichte der byzantinischen Theologie, ein großer Kirchenlehrer in der Geschichte der Universalkirche. Er ist vor allem ein Augenzeuge des Übergangs von der im östlichen Teil des Byzantinischen Kaiserreiches verbreiteten griechisch-syrischen christlichen Kultur zur Kultur des Islams, der sich mit seinen militärischen Eroberungen in dem Gebiet ausbreitet, das gewöhnlich als Mittlerer oder Naher Osten bekannt ist. Johannes, der aus einer reichen christlichen Familie stammte, übernahm noch als junger Mann das vielleicht schon von seinem Vater bekleidete Amt eines Verantwortlichen für den Wirtschaftsbereich des Kalifats.

Nachdem er jedoch schon bald des Lebens am Hofe überdrüssig geworden war, reifte in ihm die Entscheidung für das monastische Leben, und er trat in das Kloster von Mar Saba bei Jerusalem ein. Das war um das Jahr 700. Er verließ nie das Kloster und widmete sich mit all seinen Kräften der Askese und der literarischen Tätigkeit, war aber auch einer gewissen Seelsorgetätigkeit nicht abgeneigt, wovon vor allem seine zahlreichen Predigten Zeugnis geben. Sein liturgischer Gedenktag wird am 4. Dezember gefeiert. Papst Leo XIII. rief ihn 1890 zum Lehrer der Gesamtkirche aus.

In Erinnerung geblieben sind von ihm im Orient vor allem die drei »Reden gegen die Verleumder der heiligen Bilder«, die nach seinem Tod auf dem ikonoklastischen Konzil von Hiereia verurteilt wurden (754). Gerade diese Reden waren aber auch der Hauptgrund für seine Rehabilitierung und Heiligsprechung durch die zum Zweiten Konzil von Nizäa (787), dem siebten Ökumenischen Konzil, versammelten orthodoxen Konzilsväter. In diesen Texten lassen sich die ersten bedeutenden theologischen Versuche zur Rechtfertigung der Verehrung der heiligen Bilder ausmachen, indem diese mit dem Geheimnis der Fleischwerdung des Sohnes Gottes im Schoß der Jungfrau Maria in Verbindung gebracht wird.

Johannes von Damaskus war zudem einer der ersten, die im öffentlichen und privaten Kult der Christen zwischen Anbetung (»latreia«) und Verehrung (»proskynesis«) unterschieden: erstere darf allein an Gott gerichtet sein und ist in höchstem Sinne geistlich, die zweite hingegen kann ein Bild verwenden, um sich an den zu wenden, der im Bild selbst dargestellt ist. Natürlich darf der Heilige keinesfalls mit der Materie identifiziert werden, aus der die Ikone besteht. Diese Unterscheidung erwies sich sogleich als sehr wichtig für eine christliche Antwort an diejenigen, die die Einhaltung des strengen Verbots des Alten Testaments in bezug auf den kultischen Gebrauch der Bilder als universal und immerwährend forderten.

Das war auch die große Diskussion in der islamischen Welt, die diese jüdische Tradition des völligen Ausschlusses von Bildern im Kult akzeptiert. Die Christen hingegen haben in diesem Umfeld das Problem erörtert und die Rechtfertigung für die Bilderverehrung gefunden. Der Damascener schreibt: »In alter Zeit wurde Gott, der Körper- und Gestaltlose, auf keinerlei Art bildlich gestaltet, jetzt aber, nachdem Gott im Fleische erschienen und mit den Menschen umgegangen ist, bilde ich an Gott das Sichtbare ab.

»Ich verehre nicht die Materie, ich verehre vielmehr den Schöpfer der Materie, denjenigen, der meinetwillen Materie geworden ist, der es auf sich genommen hat, in Materie zu wohnen, und der durch die Materie mein Heil gewirkt hat, und ich werde nicht aufhören, die Materie zu verehren, durch die mein Heil gewirkt ist. Ich verehre sie aber nicht als Gott – das sei ferne; denn wie könnte das, was aus Nicht-Seiendem sein Werden erhalten hat, Gott sein?… Die übrige Materie, durch die mein Heil zustande gekommen ist, verehre und achte ich als voll von göttlichem Wirken und göttlicher Gnade.

Ist nicht Materie das Holz des Kreuzes, dreimal glücklich und dreimal selig?… Ist nicht Materie die Tinte und das hochheilige Evangelienbuch? Ist nicht Materie der lebensspendende Tisch, der uns das Brot des Lebens darbietet? … Sind nicht Materie vor all diesen Dingen der Leib und das Blut meines Herrn? Nimm all diesen Dingen ihre Würde und Verehrung weg, oder gestehe der kirchlichen Tradition auch die Verehrung der Bilder Gottes und der seiner Freunde zu, die durch den Namen Gottes geheiligt und deshalb von der Gnade des göttlichen Geistes geschmückt werden! Mache die Materie nicht schlecht; denn sie ist nicht wertlos! Nichts nämlich ist wertlos, was von Gott stammt« (Erste Verteidigungsschrift gegen diejenigen, welche die heiligen Bilder verwerfen, 16, dt. Ausgabe, Leipzig 1994, S. 39–40).

Wir sehen, daß die Materie aufgrund der Fleischwerdung gleichsam vergöttlicht erscheint, als Wohnstatt Gottes gesehen wird. Es handelt sich um eine neue Sicht der Welt und der materiellen Wirklichkeiten. Gott ist Fleisch geworden, und das Fleisch ist wirklich zur Wohnstatt Gottes geworden, dessen Herrlichkeit im menschlichen Antlitz Christi erstrahlt. Daher sind die Anmahnungen des östlichen Kirchenlehrers noch heute von äußerster Aktualität angesichts der großen Würde, die die Materie in der Fleischwerdung erhalten hat, so daß sie im Glauben zum Zeichen und wirksamen Sakrament der Begegnung des Menschen mit Gott werden kann.

Johannes von Damaskus bleibt also ein Hauptzeuge der Ikonenverehrung, die bis heute einer der hervorstechendsten Aspekte der östlichen Theologie und Spiritualität ist. Es ist jedoch eine Form des Kultes, die schlicht und einfach zum christlichen Glauben gehört, zum Glauben an jenen Gott, der Fleisch geworden ist und sich sichtbar gemacht hat. Die Lehre des hl. Johannes von Damaskus fügt sich somit in die Überlieferung der Gesamtkirche ein, deren Sakramentenlehre vorsieht, daß aus der Natur entnommene materielle Elemente kraft der Anrufung (»epiklesis«) des Heiligen Geistes, die vom Bekenntnis des wahren Glaubens begleitet ist, zum Vermittler von Gnade werden können.

Im Rahmen dieser grundsätzlichen Gedanken stellt Johannes von Damaskus auch die Verehrung der Reliquien von Heiligen auf die Grundlage der Überzeugung, daß die christlichen Heiligen, da sie der Auferstehung Christi teilhaftig geworden sind, nicht einfach als »Tote« betrachtet werden können. Indem er zum Beispiel jene Heiligen aufzählt, deren Reliquien oder Bilder verehrungswürdig sind, stellt er in seiner Dritten Rede zur Verteidigung der Bilder klar: »Zuerst (verehren wir) diejenigen, in denen Gott ruht, der einzige Heilige und unter Heiligen Ruhende (vgl. Jes 57,15), ebenso die heilige Gottesgebärerin und alle Heiligen. Es sind diejenigen, die ihren Kräften entsprechend auf Grund ihrer Erwählung, Gottes Einwohnen in ihnen und ihrer Mitarbeit Gott ähnlich geworden sind, die man in Wahrheit auch Götter nennt (vgl. Ps 82,6), nicht von Natur aus, sondern nach Übereinkunft, so wie man das glühende Eisen Feuer nennt, nicht von Natur aus, sondern nach Übereinkunft und Teilhabe am Feuer.

Denn Gott spricht: ›Seid heilig, denn ich bin heilig‹ (nach Lev 19,2)« (Dritte Verteidigungsschrift gegen diejenigen, welche die heiligen Bilder verwerfen, 33, dt. a.a.O., S. 118). Nach einer Reihe von Hinweisen dieser Art konnte der Damaszener daher ruhig den Schluß ziehen: »Der gute, übergute Gott hat sich nicht mit der Betrachtung seiner selbst begnügt, nein, im Übermaße seiner Güte hat er gewollt, daß von ihm wohlgelittene Wesen seien, die an seiner Güte Anteil haben könnten: Daher schuf er aus dem Nichts alle Dinge, die sichtbaren und die unsichtbaren, einschließlich den Menschen, sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit. Und er schuf ihn, indem er ihn als ein zum Denken fähiges Wesen (›ennoema ergon‹) dachte und ihn als solches verwirklichte, das mit dem Wort angereichert (›logo[i] sympleroumenon‹) und auf den Geist ausgerichtet (›pneumati teleioumenon‹) ist« (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, II, 2, PG 94, col. 865A).

Und um den Gedanken weiter zu erläutern, fügt er hinzu: »Man muß sich von Staunen (›thaumazein‹) über alle Werke der Vorsehung (›tes pronoias erga‹) erfüllen lassen, alle muß man loben und annehmen, wobei die Versuchung zu überwinden ist, in ihnen Seiten auszumachen, die vielen unrecht oder ungerecht (›adika‹) erscheinen, und dagegen zugegeben wird, daß der Plan Gottes (›pronoia‹) über die Fähigkeit des Erkennens und Begreifens (›agnoston kai akatalepton‹) des Menschen hinausgeht, während im Gegenteil hierzu allein er unsere Gedanken, unsere Handlungen und sogar unsere Zukunft kennt« (ebd., II, 29, PG 94, col. 964C). Im übrigen sagte schon Platon, die ganze Philosophie beginne mit dem Staunen: Auch unser Glaube beginnt mit dem Staunen über die Schöpfung, über die Schönheit Gottes, die sichtbar wird.

Der Optimismus angesichts der Naturbetrachtung (»physikè theorie«), angesichts dieses Sehens des Guten, des Schönen und des Wahren in der sichtbaren Schöpfung, dieser christliche Optimismus ist kein naiver Optimismus: Er trägt der Wunde Rechnung, die der menschlichen Natur durch eine Wahlfreiheit zugefügt wurde, die von Gott gewollt ist, von der aber der Mensch unangemessen Gebrauch gemacht hat, mit allen daraus erwachsenen Folgen einer verbreiteten Unstimmigkeit. Daraus folgt die vom Theologen aus Damaskus klar wahrgenommene Forderung, daß die Natur, in der sich die Güte und Schönheit Gottes widerspiegelt, die durch unsere Schuld verletzt worden ist, durch die Fleischwerdung des Sohnes Gottes »gestärkt und erneuert wird«, nachdem Gott selbst auf vielerlei Weise bei verschiedenen Gelegenheiten versucht hatte zu zeigen, daß er den Menschen geschaffen habe, damit er nicht nur im »Sein«, sondern im »Gut-Sein« wäre (vgl. ebd., II, 1, PG 94, col. 981o). Voller Leidenschaft erklärt Johannes: »Zudem galt es, die Natur zu stärken und zu erneuern und den Weg der Tugend, der vom Verderben wegund zum ewigen Leben hinführt, durch die Tat zu weisen und zu lehren (›didachthenai aretes hodòn‹).

Da endlich zeigt er das große Meer der Liebe, die er zu ihm [= dem Menschen] hat (›philanthropias pelagos‹) …«. Das ist ein schöner Ausdruck. Einerseits sehen wir die Schönheit der Schöpfung und andererseits die durch die menschliche Schuld angerichtete Zerstörung. Aber wir sehen im Sohn Gottes, der herabsteigt, um die Natur zu erneuern, das Meer der Liebe Gottes für den Menschen. Johannes von Damaskus fährt fort: »Denn der Schöpfer und Herr selbst übernimmt für sein Gebilde den Kampf und wird Lehrer durch die Tat… Denn ›der eingeborene Sohn‹…, der ›in göttlicher Gestalt existierte‹, der neigt nach dem Wohlgefallen Gottes des Vaters die Himmel und steigt … zu seinen Knechten herab … und vollbringt das Neueste von allem Neuen, das allein Neue unter der Sonne, wodurch sich die unendliche Macht Gottes offenbart« (ebd., II, 1. PG 94, coll. 981C–984 B).

Wir können uns den Trost und die Freude vorstellen, die diese Worte – reich an faszinierenden Bildern – im Herzen der Gläubigen verbreiteten. Auch wir hören sie heute und teilen dieselben Gefühle der damaligen Christen: Gott will in uns ruhen, er will die Natur auch durch unsere Umkehr erneuern, er will uns an seiner Gottheit teilhaben lassen. Der Herr helfe uns, aus diesen Worten den Wesenskern unseres Lebens zu machen.

 


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