'Jede Art von Tötung ist böse' (Hl. Mutter Teresa)

29. September 2020 in Kommentar


Kommt Sterbehilfe in Österreich? - Eine Analyse von Leni Kesselstatt / für das Team der Familienallianz


Wien (kath.net)

Die bisherige Gesetzeslage in Österreich zur Sterbehilfe und dem assistierten Suizid (§ 77 und § 78 StGB) verbietet klar jede Form der sogenannten „Sterbehilfe“. Gesetzliche Entwicklungen in westlichen Staaten, jetzt ganz besonders auch Deutschland, wo vor wenigen Monaten durch ein Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts die gewerbliche Sterbehilfe erlaubt wurde, die zunehmende öffentliche Thematisierung und Lobbyarbeit, ein zunehmend liberaleres politisches Klima, die Politisierung der Gerichtshöfe und nicht zuletzt der „Wertewandel“ innerhalb der Bevölkerung führen auch in Österreich zu regelmäßigen neuen Diskussionen um die Sterbehilfe.

 

Auch wenn trotz verschiedener Versuche um Einflussnahme bis heute keine politische Mehrheit für eine Abschaffung der beiden Paragraphen zu finden war, so sprach sich bereits im Jahr 2015 hierzulande die Mehrheit der Bioethikkommission des Bundeskanzleramts für eine Reform des § 78 aus, um in besonderen Fällen zumindest Angehörigen und nahestehenden Personen bei assistiertem Suizid („Mitwirkung am Selbstmord“) Straflosigkeit zu gewähren.

 

Ein wichtiger Einschnitt brachte die Gründung der „Österreichische Gesellschaft für ein Humanes Lebensende“ (ÖGHL) 2019, die seither alle Kräfte der Sterbehilfe-Lobby zusammenbrachte und seither hinter jeder nennenswerten Initiative in diesem Bereich steckt.

 

Die zwei wichtigsten: 2019 brachte der Anwalt Wolfram Proksch vier Personen für einen gemeinsamen Antrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) zusammen, um das Verbot der Sterbehilfe zu kippen. Nach ersten Beratungen in der ersten Jahreshälfte 2020 führt der Verfassungsgerichtshof am 24. September eine öffentliche Verhandlung durch, um danach die Beratungen fortzusetzen. Zusätzlich bemüht sich die Sterbehilfe-Lobby gesellschaftlichen und politischen Druck zu erzeugen, dies in Form einer Petition. Initiiert wurde sie 2012 vom „Sterbehilfe-Aktivisten“ Wolfgang Obermüller. Sie kam seither auf mittlerweile fast 100 000 Unterzeichner, zu bedenken ist aber, dass sich die Petition auch an den deutschen Bundestag richtet. Daran gekoppelt brachte der NR-Abg. der NEOS Michael Bernhard gemeinsam mit der ÖGHL am 17. Juni 2020 die Petition „Selbstbestimmtes Sterben in Würde“ im Nationalrat ein, um den Druck auf Regierung und den VfGH zu erhöhen.

 

Aussicht

 

In welche Richtung der VFGH bei der Entscheidungsfindung tendiert, ist nicht bekannt. Man kann jedoch davon ausgehen, dass früher oder später das Argument auf ein selbstbestimmtes Sterben in Würde, wenn nicht diese Zusammensetzung des VFGH, dann die nächste, überzeugen wird. Die Petition im Nationalrat und die ÖGHL werden dafür sorgen, dass auch bei Beibehalten des Verbots durch den VfGH zunehmend öffentlicher Druck aufgebaut werden wird. Politisch ist von den Regierungsparteien kein aktives Dagegenhalten zu erwarten. Im Gegenteil, man darf bei den Grünen eher Sympathie annehmen und bei der ÖVP dürfte wie in anderen gesellschaftspolitischen Fragen „abwarten und hinnehmen“ als Maxime gelten. Dazu die ÖGHL selbst:

 

„Ausschussvorsitzender Michael Bernhard (NEOS) wies darauf hin, dass sich die EinbringerInnen schon mehrfach in dieser Frage an das Parlament gewandt haben und sich aufgrund aktueller Ereignisse - kürzlich ergangener Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Deutschen Bundesverfassungsgerichts - bestärkt sehen. Obwohl er eine Reihe von Anträgen auf Stellungnahmen einbrachte, schloss sich die Mehrheit dem Vertagungsantrag der ÖVP-Abgeordneten Corinna Schwarzenberger an. Sie gab ebenso wie ihr Fraktionskollege Nikolaus Prinz zu bedenken, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof im September eine Entscheidung darüber fällen werde und man dieses Urteil abwarten wolle. Wenig Verständnis für dieses Argument hatten die Abgeordneten Andreas Kollross (SPÖ), Wolfgang Zanger und Christian Ries (beide FPÖ), die von einer Verzögerungstaktik sprachen."

 

Das Recht auf Selbstbestimmung

 

Von diesem Argument hängt sehr vieles ab: Nicht nur die Diskussion um Euthanasie, sondern jede gesellschaftspolitische Frage, wie etwa Abtreibung oder Gender, aber auch die Definition der Würde.

 

Hat nämlich der Mensch ein „absolutes“ Recht auf Selbstbestimmung, dann hat er selbstverständlich das Recht zu entscheiden, was für ihn ein würdevolles Sterben bedeutet und, noch wichtiger, grundsätzlich das Recht sich selbst zu töten und dafür Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn die helfende Person wiederum in ihrer Selbstbestimmtheit sich freiwillig dazu entscheidet.

 

Solange man als Gesellschaft diese Prämisse auch nur im kleinsten Ansatz akzeptiert, gibt es letztlich kein Argument gegen Euthanasie, und dies ist der eigentliche Grund, warum in einem westlichen Land nach dem anderen, das Verbot gegen Sterbehilfe fällt.

 

Jeder Hinweis darauf, dass viele Menschen sich in solcher Entscheidung gedrängt fühlen, aufgrund von physischen oder psychischen Erkrankungen gar nicht selbstbestimmt entscheiden können, mit Euthanasie Geschäft gemacht werde, man mehr in die Palliativversorgung investieren müsse und man, im Hinblick auf andere Länder, die Türe zu viel schlimmeren Entwicklungen öffne (das Argument der schiefen Ebene) greift nicht das eigentliche Argument an. All diese Dinge stimmen und es ist wichtig, auf sie aufmerksam zu machen, allerdings sind sie keine Argumente gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Denn immer wird es, zumindest in der Theorie, den Fall geben, wo ein Mensch tatsächlich völlig frei, ohne äußerlichen Druck bei vollem Verstande sich für die Sterbehilfe entscheiden würde. Gesteht man ihm das Recht auf Selbstbestimmung zu, hat man kein Recht, ihm zu verwehren, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Selbst eher konservative Meinungsbildner gestehen dies ein.

 

Ein Umdenken ist erforderlich und es muss festgehalten werden, dass der Mensch kein Recht auf absolute Selbstbestimmung hat, nicht Eigentümer seines Lebens oder das eines anderen ist und über keines frei verfügen darf:

 

„Es muß erneut mit Nachdruck erklärt werden, daß nichts und niemand je das Recht verleihen kann, ein menschliches Lebewesen unschuldig zu töten, mag es sich um einen Fötus oder einen Embryo, ein Kind, einen Erwachsenen oder Greis, einen unheilbar Kranken oder Sterbenden handeln. Es ist auch niemandem erlaubt, diese todbringende Handlung für sich oder einen anderen zu erbitten, für den er Verantwortung trägt, ja man darf nicht einmal einer solchen Handlung zustimmen, weder explizit noch implizit. Es kann ferner keine Autorität sie rechtmäßig anordnen oder zulassen. Denn es geht dabei um die Verletzung eines göttlichen Gesetzes, um eine Beleidigung der Würde der menschlichen Person, um ein Verbrechen gegen das Leben, um einen Anschlag gegen das Menschengeschlecht.“

 

(Franjo Kardinal Seper, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre – Erklärung zur Euthanasie, unterzeichnet am 5. Mai 1980)

 

Wir haben uns das Leben nicht selbst gegeben, es gehört nicht uns. Daher dürfen wir es auch nicht selbst beenden, genauso wenig wie wir jemandem das Leben nehmen dürfen. Es bleibt immer ein Töten, und das Töten unschuldigen Lebens ist immer falsch, immer moralisch verwerflich. Wenn eine Gesellschaft Sterbehilfe, egal welcher Form, erlaubt, öffnet sie eine weitere Tür zu einer "Kultur des Todes". Was früher als Verbrechen galt, gilt dann als traurige, aber erlaubte und akzeptierte Normalität.

 

Nur das Beharren auf dieser Wahrheit und der Mut, gängige Vorstellungen von Recht zu hinterfragen, können unsere Gesellschaft vor fatalen Entwicklungen im Bereich der Menschenwürde schützen. Solange auch Konservative sich nicht noch mehr darum bemühen, ein Verbot gegen Sterbehilfe zu wahren und nicht das Recht auf Selbstbestimmung anzugreifen, gibt es keine Möglichkeit die Freigabe von Sterbehilfe zu verhindern. Wir haben als Christen keine andere Wahl als darauf zu beharren, dass der Mensch nicht Eigentümer seines Lebens ist, kein absolutes Recht auf Selbstbestimmung hat und das Töten von unschuldigem menschlichem Leben immer falsch ist, sei es das eigene oder das fremde. Sonst haben wir diesen und auch die nächsten Kämpfe bereits jetzt verloren.


© 2020 www.kath.net