Subsidiarität und die Tugend der Hoffnung

23. September 2020 in Aktuelles


Franziskus: das Subsidiaritätsprinzip muss respektiert und in seinem Wesen ausgeschöpft werden. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Auch der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern. [...] Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht. Der Kopf wiederum kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht. Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich, [...] Gott aber hat den Leib so zusammengefügt, dass er dem benachteiligten Glied umso mehr Ehre zukommen ließ, damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen“ (1 Kor 12,14.21-22.24-25).

 

Generalaudienz im Hof des Apostolischen Palastes „San Damaso“ statt. Die Teilnahme steht allen offen, die dies wünschen, ohne dass Eintrittskarten benötigt werden. Der Eintritt erfolgt ab 7.30 Uhr vom Bronzetor (Kolonnade rechts vom Petersplatz). Die achte Katechese der Reihe „Die Welt heilen“ stand unter dem Thema: „Subsidiarität und die Tugend der Hoffnung“.

 

Um aus einer Krise wie der gegenwärtigen, die sowohl eine Gesundheitskrise als auch eine soziale, politische und wirtschaftliche Krise sei, besser hervorzugehen, sei jeder von uns aufgerufen, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Wir müssten nicht nur als Einzelne reagieren, sondern auch aus unserer eigenen Gruppe, aus unserer Rolle in der Gesellschaft, aus unseren Prinzipien und, wenn wir gläubig sind, aus unserem Glauben an Gott. Oft könnten sich jedoch viele Menschen nicht am Wiederaufbau des Gemeinwohls beteiligen, weil sie an den Rand gedrängt, ausgeschlossen oder ignoriert würden.

 

Bestimmte soziale Gruppen könnten keinen Beitrag leisten, weil sie wirtschaftlich oder politisch unterdrückt würden. In einigen Gesellschaften seine viele Menschen nicht frei, ihren Glauben und ihre Werte zum Ausdruck zu bringen. Anderswo, vor allem in der westlichen Welt, „unterdrücken viele ihre ethischen oder religiösen Überzeugungen selbst. Aber das ist kein Ausweg aus der Krise, oder jedenfalls kein besserer Ausweg“. Es bedürfe der Subsidiarität.

 

Jeder müsse die Möglichkeit haben, seinen Beitrag zu leisten und sich zum Wohl der Gesellschaft einzubringen. Keine soziale Gruppe dürfe daran gehindert werden, was leider allzu oft wegen wirtschaftlicher oder geopolitscher Interessen geschehe. Um eine Krise besser zu bewältigen, müsse also die Subsidiarität zur Anwendung kommen, d.h. die Autonomie und die Fähigkeit zur Eigeninitiative sind zu respektieren, besonders gegenüber den schwächeren Teilen der Gesellschaft. Dies gelte "von oben nach unten" und "von unten nach oben".

 

Gerade sie seien wichtig, wie uns das paulinische Bild vom Leib und den Gliedern (vgl. 1 Kor 12,22) sage. Die Beteiligung der mittleren und niedrigeren Ebenen helfe, gewissen negativen Aspekten der Globalisierung und des Handelns der Staaten vorzubeugen.

 

Jeder müsse die Möglichkeit haben, Verantwortung für die Heilungsprozesse der Gesellschaft zu übernehmen, deren Teil er oder sie sei. Wenn ein Projekt aktiviert werde, das direkt oder indirekt bestimmte soziale Gruppen betreffe, könnten diese nicht von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Ihre Weisheit „kann nicht beiseite geschoben werden“.

 

Heute habe sich diese Missachtung des Subsidiaritätsprinzips wie ein Virus verbreitet: „Denken wir an die großen finanziellen Hilfsmaßnahmen, die von den Staaten durchgeführt werden. Wir hören mehr auf die großen Finanzunternehmen als auf die Menschen oder diejenigen, die die Realwirtschaft bewegen. Wir hören mehr auf multinationale Unternehmen als auf soziale Bewegungen“. Es müsse auch über den Weg zur Heilung des Virus nachgedacht werden: „Wir hören mehr auf die großen Pharmakonzerne als auf die Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die in Krankenhäusern oder Flüchtlingslagern an vorderster Front stehen. Dies ist nicht der richtige Weg“.

 

Wenn die Subsidiarität gelebt werde, schenke sie Hoffnung auf eine heile und gerechte Zukunft: „so wollen wir auf eine Zukunft hinarbeiten, wo lokale und globale Dimension sich gegenseitig bereichern“.

 

Während des Lockdown sei es spontan zur Geste des Applauses für die Ärzte und Krankenschwestern und Pfleger als Zeichen der Ermutigung und Hoffnung gekommen: „wir applaudieren jedem Mitglied der Gesellschaft für seinen wertvollen Beitrag, und sei er noch so gering. Wir applaudieren den Weggeworfenen, das heißt den alten Menschen, den Kindern, den Menschen mit Behinderungen, den Arbeitnehmern, all jenen, die sich in den Dienst gestellt haben“. Dies aber dürfe nicht allein auf den Applaus beschränkt bleiben.

 

Hoffnung „ist mutig, also ermutigen wir uns selbst, große Träume zu haben und nach den Idealen der Gerechtigkeit und sozialen Liebe zu suchen, die aus der Hoffnung entstehen. Versuchen wir nicht, die Vergangenheit zu rekonstruieren, vor allem nicht die Vergangenheit, die ungerecht und bereits krank war. Lasst uns eine Zukunft aufbauen, in der sich die lokale und die globale Dimension gegenseitig bereichern, in der die Schönheit und der Reichtum kleinerer Gruppen gedeihen können und in der diejenigen, die mehr haben, sich verpflichten, zu dienen und denen, die weniger haben, mehr zu geben.

 

 

Die Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum begrüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:

 

Herzlich heiße ich die Brüder und Schwestern deutscher Sprache willkommen. Der Herr lädt uns ein, mit den Gaben, die er uns geschenkt hat, zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Im Vertrauen auf seine Hilfe wollen wir gemeinsam eine Zukunft voller Hoffnung, Gerechtigkeit und Frieden aufbauen. Der Heilige Geist begleite uns alle mit seiner Kraft.

 


© 2020 www.kath.net