Berlin: „Antisemitismus-Beauftragter“ will Pacelli-Allee umbenennen

15. September 2020 in Deutschland


Pacelli hat schon früh vor Hitler gewarnt, den er als „nicht vertrauenswürdigen Halunken“ und „abgrundtief bösen Menschen“ bezeichnete. Den Nationalsozialismus nannte er „die gefährlichste Irrlehre unserer Zeit“. Gastkommentar von Michael Hesemann


Berlin (kath.net) Der umstrittene „Antisemitismus-Beauftragte“ der Merkel-Regierung, Felix Klein, fordert die Umbenennung der Pacelliallee im Berliner Stadtteil Dahlem – und erweist sich damit eher als Antikatholizismus-Beauftragter. Denn die Straße ist nach Eugenio Pacelli benannt, dem späteren Papst Pius XII., der von 1925 bis 1929 als Apostolischer Nuntius in Berlin gewirkt und die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Weimarer Republik überhaupt erst begründet hat. Zuvor hatte er als Nuntius in München gewirkt.

 

Pacelli hat schon früh vor Adolf Hitler gewarnt, den er als „nicht vertrauenswürdigen Halunken“ und „abgrundtief bösen Menschen“ bezeichnete und den Nationalsozialismus als „die gefährlichste Irrlehre unserer Zeit“ bezeichnet. Auch als Papst Pius XI. ihn nach Rom zurückholte und zum Kardinalstaatssekretär ernannte, koordinierte Pacelli „den jüngsten päpstlichen Widerstand gegen verderbliche Rassentheorien“, wie die jüdische „Palestine Post“ am 3. März 1939 vermeldete. In Berlin positionierte er den engagierten Hitler-Gegner Konrad Graf von Preysing als neuen Bischof der Reichshauptstadt und Gegenpol zu den brauen Machthabern. Nach Kriegsausbruch kollaborierte Pacelli, zwischenzeitlich zum Papst gewählt, mit der deutschen Militäropposition und unterstützte ihren Plan, Hitler zu stürzen und den Krieg zu beenden durch direkte Kontaktaufnahme mit den Briten. Dabei war er auch über das geplante Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 informiert und billigte es als legitimen „Tyrannenmord“, wie deutsche und amerikanische Geheimdienstberichte sowie das Zeugnis des Vermittlers, des deutschen Rechtsanwalts und CSU-Mitbegründers Josef Müller, bestätigen. Er war gewissermaßen der Pate, „Feldkaplan“ und „Beichtvater“ des deutschen Widerstandes und nach dem Krieg der erste Fürsprecher für ein freies, demokratisches Deutschland in einem Vereinten Europa. Wer also hätte es mehr verdient als Eugenio Pacelli, dass nach ihm in Berlin eine Straße benannt wird?

 

All diese historischen Fakten ignoriert (oder verschweigt) Merkels antikatholischer „Antisemitismusbeauftragter“ und tischt stattdessen handfeste Lügen auf, die er keinen historischen Quellen, sondern allenfalls Rolf Hochhuths propagandistischem Skandaldrama „Der Stellvertreter“ entnommen haben kann. So behauptete Klein in einem Interview mit der „Welt“: “Er (Pacelli) schwieg zum Holocaust und zum Mord an den Sinti und Roma, von denen viele dem katholischen Glauben angehörten, oder protestierte zumindest nicht vernehmlich.“

 

Doch das ist unwahr. Tatsächlich schwieg Pius XII. nicht zum Holocaust, sondern thematisierte ihn in drei öffentlichen Ansprachen am 1.8.1941, am 24.12.1942 und am 2.6.1943. Da er allgemein von "wegen ihrer Rasse oder Herkunft Verfolgten" sprach, schloss er damit auch die Sinti und Roma ein. Selbst die Alliierten, Hitlers Kriegsgegner, beließen es bei einer einzigen Erklärung am 17.12.1942, weil auch sie wussten, dass zu offene Proteste Hitler lediglich zur Raserei bringen und die Situation eskalieren lassen würden, mit katastrophalen Folgen für die Juden, aber auch die Katholiken in deutscher Gewalt.

 

»Weder gab es Proteste, noch hatte er Bischöfe oder Priester dazu aufgefordert, Juden zu helfen«, behauptet Klein weiter – und sagt erneut die Unwahrheit. Denn tatsächlich hat Pacelli bereits am 30. November 1938, also drei Wochen nach der Pogromnacht im Deutschen Reich, die Nuntien (Vatikanbotschafter) in potenziellen Aufnahmeländern aufgefordert, nachzuforschen, welche Einrichtungen jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Italien einstellen könnten. Am 9. Januar 1939, also exakt zwei Monate nach der „Kristallnacht“, schrieb er an die 68 Erzbischöfe potenzieller Aufnahmeländer und bat sie, bei ihren Regierungen um Visa für 200.000 deutsche Juden zu bitten - zu einem Zeitpunkt, als im Deutschen Reich noch rund 234.000 Juden lebten. Das bedeutet, dass er praktisch sämtliche deutschen Juden evakuieren lassen wollte. Was die größte humanitäre Aktion der Geschichte geworden wäre, scheiterte allerdings kläglich an den angefragten Staaten, die in den folgenden Jahren weniger als 20.000 Visa bereitstellten. Für buchstäblich Tausende besorgte der Heilige Stuhl nicht nur Transitvisa zum Überseehafen Lissabon, sondern finanzierte auch die Überfahrt. Anlaufstelle in Berlin war ein eigens eingerichtetes bischöfliches Hilfswerk unter Leitung von Prälat Bernhard Lichtenberg und Margarete Sommer, das 1939 ein Jahresetat von 260.000 Reichsmark (nach heutiger Kaufkraft über 1 Million Euro) hatte, mangels Visa aber nur 147 Juden die Ausreise ermöglichen konnte. Zur Zusammenarbeit mit dem Vatikan erklärte Sommer 1963: „Mit Nachdruck … kann ich Ihnen versichern, dass wir alle damals jüdischen Menschen in der Gewissheit halfen, den Weisungen des Vatikans und des Heiligen Vaters zu folgen… in ausdrücklicher Billigung und nach Weisung Pius XII.“ Auch in den Vasallenstaaten Hitlers, etwa der Slowakei, Vichy-Frankreich, Kroatien und Ungarn, wies Pius XII. die Bischöfe an, den Juden zu helfen und alles zu versuchen, um Deportationen zu stoppen. Zeitzeugen berichten, dass Pius XII. auch nach der Besetzung Italiens durch die Nazis in einem Rundschreiben die Bischöfe aufforderte, den Juden zu helfen. Schon der israelische Diplomat und Historiker Pinchas Lapide errechnete, dass über 800.000 Juden den diversen diplomatischen Aktionen des Heiligen Stuhls ihr Überleben verdanken. Heutzutage hält man diese Zahl eher für untertrieben (siehe: Michael Hesemann, Der Papst und der Holocaust, Stuttgart 2018).

 

Schließlich behauptet Klein, Pius XII. habe die Deportation der römischen Juden ohne einen Protest geschehen lassen. Auch das ist nicht wahr. Tatsächlich hat er nur drei Stunden nach Beginn der SS-„Judenaktion“ in Rom am 16. Oktober 1943 den deutschen Vatikanbotschafter Ernst von Weizsäcker einbestellen lassen. Obwohl Hitler im September 1943 dem SS-Kommandanten für Italien, General Karl Wolff, Befehl erteilt hatte, im Fall eines päpstlichen Protestes den Vatikan zu stürmen und den Papst festzunehmen, drohte Kardinalstaatssekretär Maglione dem deutschen Botschafter einen offenen Protest des Papstes an, sollten die Verhaftungen nicht unverzüglich eingestellt werden. Während von Weizsäcker versprach, sich dafür einzusetzen, traute ihm der Papst nicht und bat über einen österreichischen Bischof in Rom den deutschen Stadtkommandanten General Stahel um eine Intervention. Stahel fürchtete einen Aufstand der Italiener im Fall eines päpstlichen Protestes und der Umsetzung von Hitlers Vergeltungsbefehl und bat Himmler telefonisch um eine Beendigung der Aktion – mit Erfolg. So wurden nicht, wie zuvor angeordnet, alle 8000 römischen Juden ins KZ Mauthausen deportiert, sondern „nur“ 1007 (oder 1023) – diese allerdings, was der Vatikan nicht ahnen konnte, nach Auschwitz. Sofort wies Pius XII. die römischen Klöster an, Juden zu verstecken – 234 Ordenshäuser folgten seinem Aufruf und beherbergten rund 4200 Juden, hunderte weiterer Juden wurden zudem im Vatikan und der Papstresidenz Castelgandolfo untergebracht. Am Ende überlebten 80 % der römischen Juden Dank der päpstlichen Intervention den Holocaust.

 

Wenn Klein dann auch noch fabuliert, Pacellis Familie sei „vom faschistischen Diktator Mussolini in den erblichen Fürstenstand erhoben worden“, demonstriert er bestenfalls Ahnungslosigkeit. Denn kein Diktator hat je geadelt. Tatsächlich wurden die Neffen des Papstes vom italienischen König Vittorio Emanuele III im November 1941 in den Fürstenstand erhoben, als sich dieser bereits von Mussolini abwandte und dabei auf die Unterstützung der Kirche bei der Bewahrung der Monarchie hoffte. In der Diplomatie ist es üblich, Ehrungen anzunehmen, da eine Ablehnung als Affront gelten würde. Der Papst setzte aber auf den König, der als nominelles Staatsoberhaupt allein in der Lage war, auf Mussolini mäßigend zu wirken. So war es dieser diplomatischen Achse Vatikan-Quirinal zu verdanken, dass Mussolini sich standhaft weigerte, die italienischen Juden an die Nazis auszuliefern. Sie waren bis zum Sturz des „Duce“ und der Machtergreifung der Deutschen in Italien sicher.

 

Peinlich wird die von Klein unterstützte Kampagne, wenn sie fordert, die Berliner Pacelliallee in „Golda-Meir-Allee“ umzubenennen. Während es außer Frage steht, dass die große israelische Premierministerin jede Ehrung unbedingt verdient hätte, ist es geradezu absurd, sie gegen Pacelli ausspielen zu wollen. Denn tatsächlich würdigte die große Jüdin den Papst als großen Freund der Juden, wenn sie anlässlich seines Todes am 9. Oktober 1958 erklärte: „Als unser Volk im Jahrzehnt des Naziterrors ein fürchterliches Martyrium erlitt, hat sich die Stimme des Papstes erhoben, um die Henker zu verurteilen und um Mitgefühl für die Opfer zum Ausdruck zu bringen. Unsere Epoche ist durch diese Stimme bereichert worden, die sich im Namen der großen sittlichen Werte über dem Tumult und den täglichen Konflikten erhob.“

 

Der Urheber dieser vom politischen Antikatholizismus lancierten Kampagne sollte sich vielleicht besser über historische Tatbestände informieren, bevor er das ehrenwerte und wichtige Amt des „Antisemitismusbeauftragten“ durch Dummheiten, Peinlichkeiten und faustdicke Lügen eines offensichtlichen Dilettanten nachhaltig beschädigt.

 

kath.net-Buchtipp:

Der Papst und der Holocaust
Pius XII und die geheimen Akten im Vatikan. Erstmalige Veröffentlichung der brisanten Dokumente

Von Michael Hesemann
Hardcover, 320 Seiten; 30 SW-Fotos
2018 Langen/Müller
ISBN 978-3-7844-3449-0

Preis: 28.80 EUR

 

Video: Pius XII. und die Juden - Mit Zeitzeugenberichten von italienisch-jüdischen Holocaustüberlebenden!


© 2020 www.kath.net