"Woelkis wirklich wichtige Wahrheiten wecken auf"

7. September 2020 in Kommentar


"Die Kirche habe sich nicht zurückgezogen, sie habe die Menschen nicht allein gelassen, so Bischof Bätzing wie ein trotziger Schuljunge. Ja, wo lebt der Mann denn!" - kath.net-Kommentar von Peter Hahne


Berlin (kath.net)

Woelkis wolkenreiche Flüchtlings-Einlassungen, gepaart mit Huldigungen der „Wir-schaffen-das“-Politik der Heiligen Angela, waren es diesmal nicht. Nein, es schien der Theologe, der Hirte, der Seelsorger durch, nicht der Hobby-Politiker. Und damit wurde der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wieder der „Alte“, der im Namen des Evangeliums seine Stimme erhebt, auch wenn es nicht zeitgemäß und modisch erscheint.

 

Auf einer der Regionalkonferenzen zum „Synodalen Weg“ stellte er vergangenen Freitag die Modethemen Zölibat und Frauenpriestertum ohne Nennung dahin, wo sie hingehören: Irrweg, Holzweg, Umweg. Abweg. Es gibt Wichtigeres! Nicht die Protestantisierung (und damit Marginalisierung) der katholischen Kirche war plötzlich das erwünschte Thema. Nein, die FAZ konnte sogar titeln: „Unverhoffte Grundsatzdebatte.“

 

Und die Süddeutsche sah Woelkis Intervention sogar als Kirche „Unter dem Brennglas“. Dabei sagte er nur, was die Basis denkt und Bischöfe gerne verschweigen oder verharmlosen: „Die Themen Krankheit, Leiden und Tod sind durch die Corona-Pandemie in den Mittelpunkt gerückt worden, aber die Kirche hat keine Antwort darauf gegeben.“ Sie hat also dort geschwiegen, wo ihr eigentlicher Markenkern ist: „Wer, wenn nicht wir, könnte Antworten geben?!“ Deutlicher kann man die Pleite, das eigene Versagen nicht eingestehen.

 

Eine schallende Ohrfeige. Ich selber hatte mich vor gefühlt einem halben Jahrhundert unter Protest der Kirchen dafür eingesetzt: „Öffnet zu Ostern die Kirchen!“ Selbst der explizit linke Ex- Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ), Heribert Prantl, hatte mehrfach beklagt, die Kirche würde „gerade in diesen Zeiten abtauchen“, sie hätte dramatisch „an Autorität verloren.“ Ja, es gab vor Wochen sogar den SZ-Titel (!) vom „Schweigen der Kirchen“.

 

Doch auch jetzt, nach Woelkis Intervention, fast nur Abwehr in der klerikalen Parallelwelt. Die Kirche habe sich nicht zurückgezogen, sie habe die Menschen nicht allein gelassen, so Bischof Bätzing wie ein trotziger Schuljunge. Ja, wo lebt der Mann denn! Die ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, evangelische Pfarrerin, hatte es im Mai auf den Punkt gebracht: „Die Kirchen haben Hunderttausende Alte, Einsame, Sterbende allein gelassen.“ Die tief katholisch geprägte Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ titelte vor ein paar Tagen: „Einsam und verzweifelt — wie eingesperrt“ - und meinte die Senioren, die Kranken, die Alleinstehenden.

 

Und was hat Bischof Bätzing im Angebot, sozusagen als Antwort auf die Nachfrage seines Mitbruders Woelki? Man faßt es kaum: im Blick auf die Corona-Krise ergebe sich in erster Linie, „dass sich die Kirche angesichts wachsender sozialer Ungerechtigkeit verstärkt um das Thema Gerechtigkeit kümmern muß.“ Man lasse sich das bitte auf der Zunge zergehen! Hauptthema ist also die soziale (!) Gerechtigkeit. Ja, wozu in aller Welt brauchen wir dafür Kirchen(-steuern)?! Krankenkasse, Gewerkschaft oder Linkspartei könne das doch auch. Aber Jesus Christus den Einsamen, Kranken und Sterbenden verkünden, das können eben nur Christen. Klar, die Basis hatte viele gute Ideen als Kontrapunkt zum verheerenden Schweigen der Oberhirten.

 

Die forderten übrigens zu Ostern lieber eine Reichensteuer oder „taten sich dicke“ in Solidarität mit der EKD wegen deren Rettungsschiff im Mittelmeer (in Wahrheit eine Unterstützung des Geschäftsmodells „Schlepperbande“). Wo war Jesus in den Schlagzeilen der Medien?! Wo?! Viele engagierte Christen, die nicht auf Macht- und Strukturdebatten fixiert sind, sondern dem Herzschlag des Evangeliums folgen, haben ihr Bestes versucht. Aber ein bisschen Internet, ein bisschen Seelsorge-Telefon, ein bisschen Singen unter den Balkonen der Altenheime — das ist zu wenig für einsame Menschen, die eine segnende, tröstende, ja streichelnde Hand brauchen.

 

Eine Ordensschwester der Benediktinerabtei Sankt Hildegardis (Rüdesheim) hat es vorgemacht: Sie hat sich freiwillig in ein Krankenhaus einsperren lassen: „Ich habe noch nie so viel geistliches Bedürfnis erlebt wie in diesen Tagen.“ Ich selber hatte zu Ostern die Kirchen aufgefordert, zumindest den Status von Notfallseelsorgern zu erkämpfen, die wie Ärzte und Pflegepersonal als erstes getestet werden und dann Zugang zu Altenheimen und Kliniken bekommen. Nein, die Kirchenleitungen haben es sich geradezu hingebungsvoll gefallen lassen, dass Bau- und Getränkemärkte in Merkels und Söders Panikprogramm einen höheren Stellenwert erhielten als Organisationen, deren „Geschäft“ es ist, Trost zu spenden.

 

Es ist Kardinal Woelki zu danken, dieses vom erwünschten „Synodalen Weg“ völlig abweichende Thema letzten Freitag spektakulär zur Sprache gebracht zu haben. Nicht Macht, sondern Möglichkeit zählt. Nicht Abweg, sondern Auftrag. Wie nötig und richtig das war, zeigen die Schlagzeilen der (säkularen!) Medien an diesem Wochenende. Denn es ist wohl wahr: kaum jemand kennt einen echten Corona-Toten, aber jeder hat in seiner Umgebung Menschen, die an gebrochenem Herzen gestorben sind oder einsam eingesperrt dahinsiechen. Die Amtskirchen haben ihre letzte Chance versäumt, die Massenaustritte zu stoppen. Die Jahresbilanz wird es zeigen. Und die Bilanz vor dem Ewigen Richter.

 

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Foto: (c) Peter Hahne / ZDF


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