Die Päpste und die Leute

1. September 2020 in Aktuelles


Audienzen und Messen: wie man beim Papst ist, wie das entstanden ist. Der lähmende Schmerz der Abwesenheit. Von Armin Schwibach


Rom(kath.net/as) Am Mittwoch, den 2. September, nimmt Papst Franziskus seine Generalaudienzen wieder in Anwesenheit von Pilgern und Besuchern auf. Die Zeit der virtuellen und etwas gespenstischen Audienzen, die aus der Bibliothek der ehemaligen Papstwohnung gestreamt wurden, ist vorbei. Er tut dies nach einhundertneunundachtzig Tagen, in denen der Papst von „seinem“ Volk getrennt war, das ihn zum letzten Mal am 26. Februar 2020, vor dem Inkrafttreten der sogenannten Corona-Maßnahmen in Italien, sehen, erleben und spüren konnte. Die Begegnungen werden wegen der andauernden Krise im „kleinen Rahmen“ im Damasus-Hof des Apostolischen Palastes stattfinden, sozusagen im Mittelpunkt des einstigen päpstlichen Lebens.

 

Die Generalaudienzen waren der besondere Ort, an dem der Papst – neben dem inhaltlichen Teil der jeweiligen Katechesenreihen – den Menschen begegnete. Seit nunmehr vielen Jahrzehnten „füllte“ der Papst den Petersplatz oder die Audienzaula „Paolo VI“. Besonders Franziskus suchte bei seinen nunmehr (die kommende eingeschlossen) dreihundertdreiundzwanzig Audienzen die Nähe zum Volk. Diese Begegnung stand und steht im Mittelpunkt, jenseits irgendwelcher zu vermittelnden Lehren in den kurzen Katechesen, die gern durch spontane Einschübe oder improvisierte Situationen des Dialogs mit den Anwesenden unterbrochen werden.

 

Die in einer einfachen und oft auch spontanen Sprache vorgetragenen Katechesen umfassten in den letzten fast acht Jahren weit gefasste Themenbereiche. Sie gingen von den Sakramenten hin zum besonderen Anliegen des Papstes: der Barmherzigkeit, der sogar ein eigenes Jubiläumsjahr gewidmet wurde. Von der Eucharistie hin zu den Zehn Geboten hin zum rechten Beten. Die Familie, der Friede, die Notwendigkeit eines Umdenkens in der Wirtschaft, das immer gegenwärtige Problem der Migrationen, die Bewahrung der Schöpfung: Themen, über die sich der Papst mit Situationen des konkreten und alltäglichen Lebens auseinandersetzte. Der letzt große Zyklus begann nach der Sommerpause 2020. Natürlich beschäftigt sich Franziskus in der Zeit der Corona-Krise mit der sich eingestellt habenden besonderen Situation. „Die Welt heilen“: hierzu stellt der Papst strukturierende Elemente dar, die sich im Besonderen auf die katholische Soziallehre beziehen.

 

Auch die täglichen Morgenmessen in Santa Marta sind eine Art der Präsenz, die Franziskus in verschiedenster Weise nutzt, so dass die „Kathedra von Santa Marta“ einen besonderen Platz in der Weise einnimmt, wie Franziskus die Gestaltung seines Amtes versteht. In nunmehr rund 1500 frei gesprochenen Predigten, die in der Regel von den Lesungen vom Tag ausgehen, gab der Papst einen Einblick in seinen Umgang mit der Heiligen Schrift und der Lehre. Ziel war wohl, zu einer neuen „Alphabetisierung der Christen im Wesentlichen“ beizutragen. Gleichzeitig bildet Santa Marta den Ort, der für bestimmte Kommunikationen genutzt werden kann, für die anderswo schwer Platz zu finden wäre.

 

Santa Marta – eine zentrale Präsenz, die sich dann besonders auch in der Zeit der Corona-Krise in den fünfundsechzig „Corona-Messen“ zeigte, die bis zum 18. Mai gefeiert wurden. War es unmöglich, physisch mit den Menschen zusammenzutreffen, wurde der Papst auf diesem Weg dann jeden Morgen um 7 Uhr in die Wohnung eingeladen, um diese virtuellen Messen mit ihren jeden Tag neu formulierten Anliegen zu sehen.

 

Der Papst und die Leute – eine relativ junge Geschichte. Mit Paul VI. begann, wozu dann die Generalaudienzen wurden. Man ging in den Vatikan und traf auf den Papst in der Basilika oder dann in der eigens im Sechzigerjahre-Stil gebauten Audienzhalle, der „Aula Nervi“. Im Jahr 1964 hatte Paul VI. den italienischen Ingenieur, Unternehmer und Akademiker Pier Luigi Nervi mit dem Bau beauftragt, der im Jahr 1966 aufgenommen wurde. Die feierliche Einweihung fand am 30. Juni 1971 statt. In der Aula können 12.000 Menschen Platz finden. So unterlagen unter Paul VI. die Audienzen keinem strengen Regime. „Gehen wir heute zum Papst?“, konnte man sich sagen, denn Eintrittskarten und Sicherheitsmaßnahmen waren einst unbekannt.

 

Auch die erste „Audienz mit Publikum“ nach der Corona-Krise findet in einer Weise statt, die an frühere Zeiten erinnert: keine Eintrittskarten für die Pilger und Besucher, die sich am Eingangstor des Apostolischen Palastes einfinden müssen, um dann die Treppen hinauf zum Damasus-Hof zu steigen, hin zum Mittelpunkt der ehemaligen Wohnstätte der Päpste.

 

Die eigentliche Geschichte aber „des Papstes mit den Leuten“ begann so richtig mit Pius XII., dem ersten Papst im Zeitalter der Medien und Massenmedien, dem ersten Papst der Massen und dem, was sich dann langsam immer mehr zu „Großveranstaltungen“ wandeln sollte. Waren der selige Pius IX. und der heilige Pius X. besonders geliebte und verehrte Päpste gewesen, kam mit Pius XII. die reale und konkrete Präsenz hinzu, durch Film, Radio und Fernsehen und die persönliche Begegnung mit dem heiligmäßigen Papst, der die Kirche durch die finstere Zeit des Weltkrieges geführt hatte.

 

Das heilige Jahr 1950 und die Verkündigung des Dogmas der Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele, die neue „anthropologische Wende“, die der Papst nach der Zeit der Herrschaft der Finsternis mit diesem Dogma klar gemacht hatte, bildeten einen neuen Anfang für das Bewusstsein des Katholischen und seiner Beziehung zum Römischen Pontifex. Sie bildeten den Anfang dessen, wie dann in der Zeit unter Johannes Paul II. und besonders auch unter Benedikt XVI. der Papst „gelebt“ wurde.

 

Diese Geschichte des „Lebens mit dem Papst“, wie man sie heute zu kennen vermeint, ist also relativ jung und zeichnet sich durch Päpste aus, die heilig sind oder im Ruf der Heiligkeit stehen. Die Gefahr dieser historischen Neuheit besteht daher in eine fast ausschließlichen Konzentration auf den Papst, was in kritischen Momenten zur Verwirrung führen kann.

 

„Die Leute und der Papst“ – es ist nicht zu leugnen, dass die lange Abwesenheit des Papstes in der Zeit der Corona-Krise lähmend war und das Katastrophale dieser besonderen Zeit anschaulich, ja gleichsam physisch unter der Haut spürbar gemacht hatte. Es bleibt zu hoffen, dass mit den Damasus-Audienzen eine neue Epoche anhebt.

 


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