Aus Sakramentalität zur Seelsorge!

10. August 2020 in Deutschland


Die 51. Jahrestagung des Internationalen Priesterkreises des Opus Dei fragte in Köln nach geistlichen Herausforderungen in Zeiten des Umbruchs - Ein Bericht von Max Mattner


Köln (kath.net)

Nicht mehr nur Strukturprozesse, die dem Mangel an Priestern und gläubigen Laien folgen, fordern die Kirche in Deutschland heraus: Sie steht heute vor großen Umbrüchen, denn es gilt nicht nur den Synodalen Weg, sondern nunmehr auch die Corona-Pandemie zu überstehen. Die jährliche Tagung des Internationalen Priesterkreises, die auf eine Initiative von Opus-Dei-Priestern zurückgeht und vom 04. bis 06. August in Köln stattfand, bot gute Orientierungspunkte: Im Mittelpunkt standen das geistliche Leben aus Jesus dem Herrn in Gebet, Messfeier und Betrachtung, der mitbrüderliche Austausch und eine Reihe theologischer Vorträge und Diskussionen um einen guten Weg, die Kirche zukunftsfest zu machen.

 

Den Auftakt der Veranstaltung bot Prof. Dr. Karl-Heinz Menke. Der emeritierte Bonner Dogmatiker sprach über das besondere Priestertum in Anbetracht der Bedeutung des sakramentalen Denkens für das Leben der Kirche: Ausgehend davon, dass die Schöpfung einen Sinn aus sich hat, der nicht erst in nominalistischer Manier von den Menschen gemacht werden müsse, bedeutet das sakramentale Leben gerade dies, diesen Sinn – der in Jesus Christus unüberbietbar inkarniert ist – zu erkennen und im eigenen Leben sichtbar werden zu lassen. Menke stellte dabei die Kontinuität der Sakramentalität seit dem Alten Bund dar: „Wie es im Judentum keine Gemeinschaft mit JHWH ohne die Inkarnierung der Tora in das eigene Leben gibt, so im Christentum keine Gemeinschaft mit Christus ohne Eingestaltung in seine herabsteigende, fußwaschende, eucharistische Proexistenz.“ Schon Bonhoeffer habe von „billiger Gnade“ gesprochen, wo diese nicht im eigenen Leben sichtbar werde – man könne die Gnade nicht empfangen, ohne sie zu tun.

 

Dieser Gedanke leite, so Menke, auch eine sakramentale Ekklesiologie, die die Kirche als Volk Gottes vom Leib des Herrn her versteht: Ein zentraler Gedanke dazu sei, dass der in der Taufe begründete, hergestellte Leib Christi in der Eucharistie dargestellt wird: „Mit Joseph Ratzinger gesprochen gibt es eine eucharistische Ekklesiologie nur dort, wo die Kirche Christus nicht nur empfängt, sondern auch darstellt!“ – Seit der Neuprotestantismus die Trennung der eigentlichen von der uneigentlichen Kirche vorgenommen habe, der unsichtbaren, mystischen Kirche von der sichtbaren, weltlich verfassten Brudergemeinschaft und sich so gegen den Gedanken des Christus prolongatus – des im Leben der Kirche fortwirkenden und präsenten Jesus – gerichtet habe,  besteht ein kaum überbrückbares Defizit zwischen katholischem und protestantischem Abendmahls- bzw. Eucharistieverständnis. Es ginge im evangelischen Abendmahl nicht um die Darstellung Christi – schon gar nicht um das Bekenntnis des Glaubens, wie er von der katholischen Kirche in Gemeinschaft mit Papst Franziskus gelehrt wird. „Von welchem Geist Vermittlungsgespräche zwischen protestantischen und katholischen Theologen getragen werden, lässt sich doch auch daran erkennen, dass niemand um den Zugang zum Bußsakrament bittet: Dieses wird als eine Zumutung verstanden“, so Menke.

 

Es könne aber keine communio geben, wenn diese nicht auf den Mitvollzug des Kreuzesopfers Christi, die Vermittlung des in Jesus inkarnierten logos gerichtet sei. Die Aufgabe des eucharistisch lebenden Christen und insbesondere des Priesters ist es, das Erlösungswirken Christi im eigenen Leben sichtbar werden zu lassen. Als ein „Kriterium der gelebten Sakramentalität des besonderen Priestertums“ nennt Menke etwa den Zölibat. „Als mich zu meiner Kaplanszeit ein Mann auf dem Sterbebett fragte, ob ich wirklich an das ewige Leben glauben würde, sagte ich ihm nur kurz: Sonst würde ich ja wohl kaum den Zölibat halten!“ Dem Priester dürfe es nicht um eine funktionalistisch verstandene Bewirkung von Heil in neuen Formen gehen, da Christus ja bereits die Erlösung der Schöpfung bewirkt habe. „Dieser Gedanke ist jedem Priester Entlastung und Anforderung zugleich: Wir müssen nicht nach Wegen suchen, die Schöpfung zu erlösen, denn sie ist schon erlöst – aber wir müssen dieses Erlöstsein und das Heilsangebot Gottes an den Menschen sichtbar machen, es vermitteln!“

 

Dr. Hanns-Gregor Nissing sprach nach Menke über den „Menschen als pastorale Herausforderung nach dem Hl. Papst Johannes Paul II.“ und hob darin den engen Konnex zwischen Christologie und Anthropologie hervor. Er beobachte gegenwärtig die Tendenz, dass Sachdiskurse immer häufiger zu Machtdiskursen geraten und sieht Bischöfe und Verantwortungsträger häufiger in der Rolle der „Getriebenen“, deren innere Freiheit durch den Hang zu unpersönlichen Diskursstilen verengt wird. „Wer nicht Mensch sein will, der wird Funktionär“, so Nissing. Johannes Paul II. habe dagegen immer den Begriff der Person in den Mittelpunkt gestellt, sowohl in seinem Denken als auch in seinem pastoralen Wirken: Der Mensch dürfe sich nicht funktionalisiert werden auf einen höchsten Zweck hin, sondern muss in seinem Person-Sein ernstgenommen werden.“

 

Eine Begrenzung auf funktionalistische Machtfragen sieht auch Prof. Dr. P. Stephan Haering OSB, der aus Sicht des Kirchenrechtlers zu Partizipation in der Pfarrei referierte: „Partizipation finden fast alle gut, verstehen darunter aber stets verschiedenes. Im Rahmen des Synodalen Weges geht es vor allem um Partizipation an kirchlicher Macht. Mich treibt vielmehr um, dass nur noch 9% der Katholiken in unserem Land an der sonntäglichen Messfeier partizipieren – dabei meint Laienpartizipation kirchenrechtlich zunächst die Anteilnahme an den geistlichen Gütern der Kirche: dem Wort Gottes und den Sakramenten.“ Auch Haering, der in München lehrt, hob hervor, dass Laienverantwortung nicht ohne Rückbindung an das eucharistische Leben der Kirche möglich sei. Kirchenrechtliche Strukturen droht sonst eine geistliche Entleerung. Prof. Dr. Johannes Grohe, römischer Kirchenhistoriker an der Universität Santa Croce, sprach über die Bedeutung von Synodalität, Kollegialität und Partizipation und gab einen Einblick in die Geschichte der über 6.000 Konzilien und Synoden, auf welche die Kirchengeschichte zurückschauen kann. Besonders hob er hervor, dass Synodalität stets nur in synchroner und diachroner Einheit mit der Gesamtkirche praktiziert werden könne: universitas und antiquitas galten stets als leitende Prinzipien der Synodalität und fanden bereits im Wort des Lériners Ausdruck, dass die Kirche gebunden ist an jene Dogmen, die „überall, immer und von allen“ geglaubt worden seien. Etwa habe Cusanus das Konzil von Basel verlassen, als er bemerkte, dass die Konzilsteilnehmer nicht der Einheit der Kirche dienen wollten. Davon ausgehend kritisierte er dogmatisches Kompromiss- und Mehrheitsdenken: „Wahrheit kann nicht per Kompromiss oder durch Abstimmungsmehrheiten erzeugt werden, sondern nur im Konsens entstehen, durch einmütige Erkenntnis.“ Die Teilnehmer durfte dies auch mit Blick auf manch deutschen Prozess, zu dem Grohe sich ausdrücklich nicht äußern wollte, nachdenklich machen: Der Synodale Weg, der Einmütigkeit ausdrücklich für unrealistisch hält, stellt in dieser Hinsicht eher einen Synodalen Abweg dar, der sich die Frage stellen muss, ob es ihm noch um die Einheit der Kirche und die Suche nach Wahrheit und nicht vielmehr die Durchsetzung eigener Interessen mit fragwürdigen Mehrheiten geht.

 

In einem zweiten Teil, der sich der praktischen Dimension seelsorglichen Handelns widmete, folgte zunächst ein Gespräch mit dem Kölner Generalvikar Dr. Markus Hofmann, der in einem einleitenden Impuls auf die jüngste Instruktion der Kleruskongregation zur pastoralen Umkehr der Pfarreien einging und sich für eine geistliche Wende in der Seelsorge stark machte: Es brauche die Orientierung am Evangelium und am ganzen depositum fidei – ferner müsse das Gebet am Anfang aller kirchlichen Prozesse stehen. Hofmann ermutigte zu Gebetspatenschaften, der wöchentlichen Zeit zum Beichte-Hören und einem Leben aus der sakramentalen Gegenwart Jesu. „Mich hat das Bild der Instruktion sehr überrascht und beeindruckt, unsere Pfarreien sollten zu Wallfahrtsorten werden – das ist ein ungewöhnliches Bild, das uns auf das Wesentliche unseres Dienstes stoßen will: Es geht darum, dass wir Christus inmitten unserer Kirche erfahrbar machen“, so Hofmann. Positive Impulse sah er dabei auch im Laufe der Corona-Zeit durch die (Wieder-)Entdeckung der Anbetung, die Erschließung pastoraler Potentiale im Internet, Ideen wie der Drive-in-Beichte oder auch durch Priester, die in Anbetracht ausbleibender Sitzungen in ihren Kirchen auf Menschen warteten, um sie in Wort und Sakrament zu stärken. Der Eichstätter Alttestamentler Prof. Dr. Burkard Zapff sprach über einige Anregungen aus dem Buch Jesus Sirach, in dem der Prophet bereits inmitten der Auseinandersetzung um liberale und konservative Tora-Auslegung herausgefordert wird – moderne Denkkategorien also einen Anknüpfungspunkt finden.

 

Den Abschluss bildete ein Vortrag des Oberhausener Stadtdechanten Dr. Peter Fabritz, der über Seelsorge in der Großpfarrei sprach. Er führte aus, dass die Pfarreien zu ihren eigentlichen Funktionen zurückkehren müssen, um wieder missionarische Strahlkraft entwickeln zu können: Gerade Großpfarreien drohten, zum Synonym für Entfremdung und mangelnde seelsorgliche Begleitung zu werden: Gerade deshalb ist es wichtig, dass Priester persönlich erlebbar werden und so Zeugnis geben können von ihrem Leben aus dem Glauben. „Der Auftrag der Kirche ist es nicht nur, eine Wertordnung zu vermitteln oder im Stile Hans Küngs den Weltethos zu predigen. Es geht um eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus!“ In diesem Sinne verdeutlichte sich am Ende der Tagung das konkret, was bereits am Anfang gestanden hatte: Dass christkatholisches Leben darstellen muss, was es empfängt: Gnade über Gnade.


© 2020 www.kath.net