Sacerdos – Munus regendi!

26. Mai 2020 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: das Wesen des Priesterseins. Gemeinschaft und Hierarchie stehen nicht zueinander im Gegensatz, sondern bedingen einander. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) 26. Mai 2010 – zehn Jahre sind nunmehr seit jenem „annus horribilis“ der Missbrauchskandale in Irland und Deutschland vergangen, und: genau für jenes Jahr hatte Papst Benedikt XVI. das besondere Priester-Jahr ausgerufen, das sich an jenen Tagen dem Ende zuneigte. Ein bewegendes Jahr, in dem der Papst alle Anstrengungen darauf verwandte, das Wesen des katholischen Priestertums und Priesterseins erkennen zu lassen. Besonders die traditionellen Generalaudienzen dienten Benedikt XVI. als der geeignete Ort, an dem für alle verständlich Kernpunkte unterstrichen wurden. So widmete er die letzte Katechese dem „munus regend“, der besonderen Aufgabe in der Leitung der Kirche. Umkehr, Sendung, Geschenk des Heiligen Geistes sowie die Beziehung zu Maria sollten im Mittelpunkt stehen.

 

„Wer in die heilige Ordnung des Sakraments, in die »Hierarchie«, eintritt, ist also kein Selbstherrscher, sondern tritt in ein neues Band des Gehorsams gegenüber Christus ein: Er ist an ihn in Gemeinschaft mit allen anderen Gliedern der heiligen Ordnung, des Priestertums, gebunden. Und auch der Papst – Bezugspunkt für alle anderen Hirten und für die Gemeinschaft der Kirche – kann nicht tun, was er will; im Gegenteil, der Papst ist der Wahrer des Gehorsams gegenüber Christus, gegenüber seinem Wort, das in der »regula fidei«, im Glaubensbekenntnis der Kirche zusammengefasst ist, und muss im Gehorsam gegenüber Christus und seiner Kirche vorangehen. Hierarchie bringt daher ein dreifaches Band mit sich: zunächst das Band mit Christus und der Ordnung, die der Herr seiner Kirche gegeben hat; dann das Band mit den anderen Hirten in der einen Gemeinschaft der Kirche; und schließlich das Band mit den Gläubigen, die dem einzelnen in der Ordnung der Kirche anvertraut sind“.

 

Benedikt XVI., Generalaudienz vom 26. Mai 2010: Munus regendi

 

Liebe Brüder und Schwestern! 

 

Das Priester-Jahr neigt sich dem Ende zu; daher habe ich in den letzten Katechesen begonnen, über die wesentlichen Aufgaben des Priesters zu sprechen: lehren, heiligen und leiten. Ich habe bereits zwei Katechesen gehalten, eine über den Dienst der Heiligung, die Sakramente vor allem, und eine über den Dienst des Lehrens. Somit bleibt für heute, über die Sendung des Priesters sprechen, mit der Vollmacht Christi – nicht mit der eigenen – den Teil des Volkes, den Gott ihm anvertraut hat, zu führen und zu leiten. 

 

Wie ist in der gegenwärtigen Kultur diese Dimension zu verstehen, die den Begriff der Vollmacht einschließt und ihren Ursprung im Auftrag des Herrn hat, seine Herde zu weiden? Was ist eigentlich für uns Christen die Autorität? Die kulturellen, politischen und geschichtlichen Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit, vor allem die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Ost- und Westeuropa, haben den Menschen von heute gegenüber diesem Begriff argwöhnisch gemacht. Dieser Argwohn führt nicht selten zu der Behauptung, daß jede Autorität, die nicht aus - schließlich von den Menschen kommt und ihnen untergeordnet ist, von ihnen kontrolliert wird, abgeschafft werden muß. Aber gerade mit Blick auf die Regime, die im vergangenen Jahrhundert Schrecken und Tod gesät haben, wird man mit Nachdruck daran erinnert, daß sich die Autorität, wenn sie ohne Bezug zur Transzendenz ausgeübt wird, wenn sie die höchste Autorität – Gott – außer Acht läßt, am Ende in jedem Bereich unweigerlich gegen den Menschen richtet.

 

Es ist daher wichtig zu erkennen, daß die menschliche Autorität niemals ein Ziel, sondern immer nur ein Mittel ist, und daß das Ziel notwendig und in allen Zeiten immer die Person ist, die von Gott mit der ihr eigenen unantastbaren Würde geschaffen wurde und berufen ist, zu ihrem Schöpfer in Beziehung zu treten, auf dem Weg des Lebens hier auf Erden und im ewigen Leben – eine Vollmacht, die in der Verantwortung vor Gott, vor dem Schöpfer ausgeübt wird. Eine so verstandene Vollmacht, deren einziger Zweck es ist, dem wahren Wohl der Menschen zu dienen und ein Durchscheinen des einen höchsten Gutes zu sein, das Gott ist, ist dem Menschen nicht nur nicht fremd, sondern bildet im Gegenteil eine wertvolle Hilfe auf dem Weg zur vollen Verwirklichung in Christus, zum Heil. 

 

Die Kirche ist berufen und bemüht sich, diese Art von Autorität auszuüben, die Dienst ist, und sie übt sie nicht aus eigener Vollmacht aus, sondern im Namen Jesu Christi, der vom Vater alle Macht im Himmel und auf der Erde empfangen hat (vgl. Mt 28,18). Durch die Hirten der Kirche nämlich weidet Christus seine Herde: Er ist es, der sie leitet, schützt und zurechtweist, da er sie zutiefst liebt. Doch Jesus, der Herr, der oberste Hirt unserer Seelen, hat gewollt, daß das Apostelkollegium, heute die Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, und die Priester als deren wertvollste Mitarbeiter an dieser seiner Sendung teilhaben sollten, für das Gottesvolk zu sorgen, Erzieher im Glauben zu sein und der christlichen Gemeinschaft Orientierung zu geben, sie zu beseelen und zu stützen oder, wie das Konzil sagt, »dafür zu sorgen, daß jeder Gläubige im Heiligen Geist angeleitet wird zur Entfaltung seiner persönlichen Berufung nach den Grundsätzen des Evangeliums, zu aufrichtiger und tätiger Liebe und zur Freiheit, zu der Christus uns befreit hat« (Presbyterorum Ordinis, 6).

 

Jeder Hirt also ist das Mittel, durch das Christus selbst die Menschen liebt: Dank unseres Dienstes, liebe Priester, durch uns erreicht der Herr die Seelen, durch uns lehrt, bewahrt und leitet er sie. Der hl. Augustinus sagt in seinem Kommentar zum Johannesevangelium: »Es sei ein Erweis der Liebe, die Herde des Herrn zu weiden« (123,5); dies ist die oberste Norm für das Verhalten der Diener Gottes, eine bedingungslose Liebe, wie jene des Guten Hirten, voll Freude, allen Menschen gegenüber offen, achtsam auf den Nahestehenden und fürsorglich gegenüber den Fernen (vgl. Augustinus, Reden 340,1; Reden 46,15), einfühlsam gegenüber den Schwächsten, den Geringen, den Einfachen, den Sündern, um die unendliche Barmherzigkeit Gottes mit den ermutigenden Worten der Hoffnung zu offenbaren (vgl. ders., Brief 95,1). 

 

Wenngleich diese seelsorgliche Aufgabe im Sakrament gründet, so ist dennoch ihre Wirkkraft nicht vom persönlichen Leben des Priesters unabhängig. Um ein Hirt nach dem Herzen Gottes zu sein (vgl. Jer 3,15), bedarf es einer tiefen Verwurzelung in der wahren Freundschaft mit Christus, nicht allein der Intelligenz, sondern auch der Freiheit und des Willens, eines klaren Bewußtseins der in der Priesterweihe empfangenen Identität, einer bedingungslosen Bereitschaft, die anvertraute Herde dorthin zu führen, wohin der Herr will, und nicht in die Richtung, die günstiger oder einfacher zu sein scheint. Das erfordert vor allem die ständige und kontinuierliche Bereitschaft, das priesterliche Leben der Priester von Christus selbst leiten zu lassen. Niemand ist wirklich in der Lage, die Herde Christi zu weiden, wenn er nicht im tiefen und wahren Gehorsam gegenüber Christus und seiner Kirche lebt, und auch die Fügsamkeit des Volkes gegenüber seinen Priestern hängt von der Fügsamkeit der Priester gegenüber Christus ab. Daher liegt dem Dienst der Seelsorge stets die persönliche und ständige Begegnung mit dem Herrn zugrunde, die tiefe Erkenntnis des Herrn, die Gleichgestaltung des eigenen Willens mit dem Willen Christi. 

 

In den letzten Jahrzehnten wurde das Adjektiv »pastoral« oft gleichsam als Gegensatz zum Begriff »hierarchisch« gebraucht. Auch die Interpretation der Vorstellung von »Gemeinschaft« fand innerhalb desselben Gegensatzes statt. Vielleicht ist an diesem Punkt eine kurze Bemerkung zum Wort »Hierarchie« angebracht. Sie bezeichnet traditionell die Struktur der sakramentalen Autorität in der Kirche, die gemäß den drei Stufen des Weihesakraments geordnet ist: Bischofs - amt, Priesteramt, Diakonat. Der öffentlichen Meinung zufolge herrschen in dieser Wirklichkeit »Hierarchie« das Element der Unterordnung und das juridische Element vor; die Idee der Hierarchie scheint für viele daher im Gegensatz zur Flexibilität und Lebenskraft des pastoralen Bewußtseins zu stehen und auch der Demut des Evangeliums zu widersprechen. Dies ist jedoch ein schlechtes Verständnis vom Sinn der Hierarchie, das in der Geschichte auch durch den Mißbrauch von Autorität und durch Karrierestreben verursacht wurde. 

 

Es handelt sich dabei jedoch um einen Mißbrauch, der nicht dem Wesen der Wirklichkeit »Hierarchie« entspringt. Nach allgemeiner Auffassung ist »Hierarchie« immer mit Herrschaft verbunden und entspricht daher nicht dem wahren Sinn der Kirche, der Einheit in der Liebe Christi. Wie ich aber gesagt habe, ist dies eine falsche Interpretation, deren Ursprung in Mißbrauch zu suchen ist, zu dem es in der Geschichte gekommen ist, die jedoch nicht der wahren Bedeutung dessen entspricht, was die Hierarchie ist. Beginnen wir mit dem Wort. 

 

Im allgemeinen sagt man, das Wort Hierarchie bedeute »heilige Herrschaft«, aber dies ist nicht seine wahre Bedeutung; sie lautet: »heiliger Ursprung «, das heißt: diese Vollmacht stammt nicht vom Menschen, sondern hat ihren Ursprung im Heiligen, im Sakrament; sie unterwirft also die Person der Berufung, dem Geheimnis Christi; sie macht den einzelnen zum Diener Christi, und nur als Diener Christi kann er für Christus und mit Christus führen und leiten.

 

Wer in die heilige Ordnung des Sakraments, in die »Hierarchie«, eintritt, ist also kein Selbstherrscher, sondern tritt in ein neues Band des Gehorsams gegenüber Christus ein: Er ist an ihn in Gemeinschaft mit allen anderen Gliedern der heiligen Ordnung, des Priestertums, gebunden. Und auch der Papst – Bezugspunkt für alle anderen Hirten und für die Gemeinschaft der Kirche – kann nicht tun, was er will; im Gegenteil, der Papst ist der Wahrer des Gehorsams gegenüber Christus, gegenüber seinem Wort, das in der »regula fidei«, im Glaubensbekenntnis der Kirche zusammengefaßt ist, und muß im Gehorsam gegenüber Christus und seiner Kirche vorangehen. Hierarchie bringt daher ein dreifaches Band mit sich: zunächst das Band mit Christus und der Ordnung, die der Herr seiner Kirche gegeben hat; dann das Band mit den anderen Hirten in der einen Gemeinschaft der Kirche; und schließlich das Band mit den Gläubigen, die dem einzelnen in der Ordnung der Kirche anvertraut sind.

 

So wird deutlich, daß Gemeinschaft und Hierarchie nicht zueinander im Gegensatz stehen, sondern einander bedingen. Sie sind zusammen eins (hierarchische Gemeinschaft). Der Hirt ist also gerade dadurch Hirt, daß er die Herde leitet und über sie wacht und manchmal verhindert, daß sie sich zerstreut. Außerhalb einer Sichtweise, die ganz klar und ausdrücklich übernatürlich ist, läßt sich die dem Priester eigene Aufgabe des Leitens nicht verstehen. Gestützt durch die wahre Liebe für das Heil eines jeden Gläubigen ist es jedoch auch in unserer Zeit besonders wertvoll und notwendig. Wenn das Ziel darin besteht, Christus zu verkündigen und die Menschen zur heilbringenden Begegnung mit ihm zu führen, damit sie das Leben haben, dann erweist sich das Leitungsamt als ein Dienst, der in völliger Hingabe an die Erbauung der Herde in der Wahrheit und in der Heiligkeit gelebt wird. Oft muß man dafür gegen den Strom schwimmen und daran denken, daß der Größte werden soll wie der Kleinste und der Führende wie der Diener (vgl. Lumen gentium, 27). 

 

Woraus kann heute ein Priester die Kraft für diese Ausübung seines Dienstes in völliger Treue zu Christus und zur Kirche und in vollkommener Hingabe an die Herde schöpfen? Es gibt nur eine Antwort: aus Christus, dem Herrn. Jesu Art des Leitens ist nicht die der Herrschaft, sondern der demütige und liebevolle Dienst der Fußwaschung, und das Königtum Christi über das All ist kein irdischer Triumph, sondern findet seinen Höhepunkt am Holz des Kreuzes, das Gericht für die Welt und Bezugspunkt für die Ausübung der Vollmacht als wahrer Ausdruck der Hirtenliebe ist. Die Heiligen, darunter der hl. Johannes Maria Vianney, sind mit Liebe und Hingabe der Aufgabe nachgegangen, für den ihnen anvertrauten Teil des Gottesvolkes Sorge zu tragen. So haben sie sich auch als starke und entschlossene Männer erwiesen, mit dem einzigen Ziel, das wahre Wohl der Seelen zu fördern, und mit der Fähigkeit, für die Treue zur Wahrheit und zur Gerechtigkeit des Evangeliums persönlich zu bezahlen, bis hin zum Martyrium. 

 

Liebe Priester, »sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig;… seid… Vorbilder für die Herde!« (1 Petr 5,2–3). Fürchtet euch also nicht, einen jeden der Brüder und Schwestern, die Christus euch anvertraut hat, zu ihm zu führen, in der Gewißheit, daß jedes Wort und jede Haltung, wenn sie dem Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes entspringen, Frucht tragen werden.

 

Lebt so, daß ihr die guten Seiten der Kultur, in die wir eingebunden sind, schätzt und ihre Grenzen erkennt, in der festen Gewißheit, daß die Verkündigung des Evangeliums der größte Dienst ist, den man dem Menschen leisten kann. In diesem Leben auf Erden nämlich gibt es kein größeres Gut als das, die Menschen zu Gott zu führen, den Glauben zu wecken, den Menschen aus Trägheit und Verzweiflung aufzurichten und die Hoffnung zu schenken, daß Gott nahe ist und die persönliche Geschichte und die der Welt lenkt: Das ist letztendlich der tiefe und endgültige Sinn der Aufgabe der Leitung, die der Herr uns anvertraut hat. Es geht darum, Christus in den Gläubigen durch jenen Prozeß der Heiligung Gestalt annehmen zu lassen, der in der Bekehrung der Maßstäbe, der Werteskala, der Einstellungen besteht, um Christus in jedem Gläubigen leben zu lassen. In Zusammenfassung seines seelsorglichen Wirkens spricht der hl. Paulus von »meinen Kindern, für die ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt« (Gal 4,19). 

 


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