Beten im Dialekt?

13. Mai 2020 in Spirituelles


Schwiizerdütsche Lobpreismusik führte mich zu der Frage: Gibt es eine „Sprache des Herzens“, in der ich bete? Von Petra Lorleberg


Stuttgart (kath.net/pl) In welcher Sprache bete ich eigentlich? Auf diese Frage stieß ich, als ich den schwiizerdütschen christlichen Lobpreis kennenlernte. Bis dahin war jene Musik, die in mein Beten einfloss, vorwiegend in deutscher und englischer Sprache gesungen, einige der Taizélieder auch in anderen romanischen Sprachen bis hin zu Latein. Dann hörte ich erstmals moderne christliche Lobpreislieder im Schweizer Dialekt. Das faszinierte mich. Ich muss das sogar noch stärker ausdrücken: Aus dieser Begegnung kam ich nicht folgenlos heraus.

 

Bis zur Begegnung mit schweizerdeutschem Lobpreis (nicht zufällig ausgerechnet aus dem von mir „nur“ zwei Autostunden entfernten Basel) war mir nicht aufgefallen, dass ich, sprachlich gesehen, verschiedene Ebenen im persönlichen Gebet habe. Das Vaterunser bete ich völlig selbstverständlich auf Hochdeutsch. Auch der Einstieg in eher privat formulierte Gebete ist oft noch hochdeutsch. Wenn mir etwas aber wirklich auf dem Herzen liegt, dann wechsle ich in den Dialekt. Wird mein Gebet nochmals intensiver – etwa in einer eucharistischen Anbetung – verstummen langsam die Worte, übrigens auch die Musik (sowohl jene, die ich um mich herum wahrnehme, wie auch jene, die „in mir selbst singt“), und ein begegnungsgefülltes Schweigen breitet sich in mir aus. So ergibt es sich, dass sehr häufig der Dialekt meine eigentliche Gebetssprache ist, während die Sprache meines Redens und Denkens ein nur regional eingefärbtes Hochdeutsch ist.

 

Der bekannte Lobpreismusiker Albert Frey – einer der ganz Großen in der hiesigen Lobpreismusikszene – stammt und lebt zwar aus der Region des schwäbischen Ravensburg, doch Dialektlieder hat er bisher meines Wissens nicht veröffentlicht. Interessanterweise ist er aber bereits auf das Thema der Dialektgebete gestoßen. So schreibt er in seinem 2019 erschienenen Buch „Anbetung in Wahrheit und im Geist“: „Ich habe oft beobachtet, dass Menschen mit Wurzeln im Dialekt, die aufgrund ihres Studiums oder einer Berufstätigkeit in anderen Regionen mühelos Hochdeutsch sprechen, beim freien Beten ihren Dialekt verwenden. Das finde ich überhaupt nicht unangemessen oder gar peinlich, sondern es berührt mich und ich bin sicher: Es berührt Gott. Es hat so etwas Zärtliches, Familiäres. Jetzt rede ich von Herzen, nicht in einer Rolle, nicht antrainiert, sondern wie zu Hause. Muss nicht Gebet genau das sein? Ihr lieben Leute, betet im Dialekt oder wie immer euch der Schnabel gewachsen ist.“ Was hier auch anklingt, ist die Scheu gerade der süddeutschen Alemannen, beim Dialektsprechen „ertappt“ zu werden. Man schämt sich für seinen Dialekt und unterdrückt ihn – besonders dann, wenn man beruflich weiter nach oben kommen will. Dieses Verhalten trägt zum Niedergang der Dialekte bei. In Österreich, Bayern und der Schweiz ist dieses Schamverhalten der Dialektmuttersprache gegenüber erkennbar weniger ausgeprägt.

 

Süddeutsche Lobpreismusik existiert nicht. Es gibt vereinzelt säkulare süddeutsche Mundartkünstler (darunter häufen sich Comdians, die es sogar in lokale Radiosender schaffen). In der regionalen Werbung kommen manchmal ein paar Dialektbrocken zu Ohren. Zu den bekannteren „Dialektprodukten“ zählen ausgerechnet noch einige Mundartbände von „Asterix“. Auch in der Schweiz führt der Lobpreis in Mundart keineswegs die innerchristlichen Charts an – aber es gibt ihn in evangelischen Freikirchen und man findet sogar Einspielungen in guter Qualität.

 

Als Süddeutsche spreche ich natürlich kein Schweizerdeutsch. Doch mein badischer Kindheitsdialekt gehört wie der schweizerdeutsche, der schwäbische und der elsässische Dialekt der alemannischen Sprachgruppe an. Naturgemäß fällt mir deshalb der Zugang zum Schwiizerdütsch leichter als etwa zum Plattdeutschen (mit dem ich mich allerdings auch gern beschäftige).

 

Schwiizerdütsche Lobpreismusik erreicht in meinem Gemüt emotionale Schichten, die der hochsprachlichen Musik nur schwer zugänglich sind. Ich kann mir schwiizerdütsche Texte innerlich oft merklich leichter aneignen, obwohl ich gleichzeitig mit den äußerlichen Modalitäten des nicht völlig vertrauten Dialektes (ungewohnte Aussprache, wenn ich mitsingen möchte, bis hin zu unbekannten Vokabeln) zu kämpfen habe.

 

Ein eigenartiges Phänomen: es gibt bei mir eine Sprache des Herzens, in der ich bete. Ist das auch bei Ihnen so?

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