Johannes erzählt: Das Lamm Gottes

9. April 2020 in Spirituelles


Ein Blick auf die Leiden unseres Herrn - Leseprobe aus dem Buch "Gehalten im Netz der Liebe Gottes" von Andrea Christ


Linz (kath.net) Mit dem Rücken gegen die kalte Kerkermauer gelehnt, sah Johannes sein Gegenüber an. Seitdem man ihn auf die Insel Patmos verbannt hatte, landete er regelmäßig für einige Tage in dem dunklen Gemäuer. Diesmal wollte er dem jungen Mann, den man wegen irgendeiner Kleinigkeit schlug, helfen. Deshalb sperrte man Marcus gleich mit ihm in den Kerker. Der Blick des alten Mannes war eine Mischung aus Überraschung und Milde während er über die Frage des Jungen nachzudenken schien. Warum er Jesus so oft als das Lamm Gottes bezeichnete, war die Frage seines Mithäftlings gewesen.

„Weißt du“, begann Johannes bedächtig seine Erklärung, „das Lamm hatte im Judentum schon immer eine große Bedeutung. In jener Nacht als Gott die Israeliten aus der Gefangenschaft der Ägypter befreite, gebot er ihnen, dass jede Familie ein Lamm schlachten sollte. Es musste ein junges, unversehrtes Lamm sein. Sie sollten es hastig essen, mit bitteren Kräutern gekocht. Sein Blut aber durften sie nicht essen. Dieses sollten sie stattdessen mit einem Ysop Zweig an ihre Haustüren streichen. Jede Türe, die so gekennzeichnet war, würde der Todesengel verschonen. Und so war es auch. Während in dieser Nacht jede Erstgeburt der Ägypter den Tod fand, wurden die Kinder der Israeliten vom Tod verschont. Seitdem steht das Blut des Lammes bei den Israeliten als Zeichen für die Befreiung und als Zeichen für die Bewahrung vor dem Tod.“

„Ich verstehe nicht“, meinte Michael zögernd „Was hat das denn mit Jesus zu tun?“

„Als ich Jesus zum ersten Mal traf, war ich ein junger Mann wie du. Ich war ein Jünger des Johannes des Täufers. An jenem Tag taufte Johannes in der Wüste als Jesus vorüber ging. „Seht, das Lamm Gottes!“, sagte Johannes zu Andreas und zu mir, die wir neben ihm standen. Für jeden Israeliten war damals sofort klar, was das bedeutete. Johannes, der Täufer hielt Jesus für den Messias. Andreas und ich gingen zu Jesus und fragten ihn, ob wir den Tag mit ihm verbringen durften und Jesus erlaubte es uns. „Kommt und seht!“, waren seine Worte gewesen und am Ende des Tages lief Andreas zu Petrus und erklärte ihm: „Wir haben den Messias gefunden!“.“

Während Johannes das erzählte, hatte er die Augen geschlossen. Ein sanftes Lächeln erhellte sein Gesicht bei dieser Erinnerung. Doch als er fortfuhr wurde seine Miene ernst. „Wir ahnten damals noch nicht, wie sehr Johannes, der Täufer, Recht haben würde. Als man Jesus wenige Jahre später vor Pontius Pilatus führte, wehrte er sich nicht. Wie schon der Prophet Jesaja sagte, führte man Jesus wie ein Lamm vor den Richter. Und Jesus tat seinen Mund nicht auf. Ich habe das damals gesehen, weil ich bei der Verhandlung anwesend war. Später kam auch noch Petrus dazu. Sie verurteilten Jesus zum Tode, obwohl er völlig unschuldig war.“ Johannes stockte. Er öffnete für einen Moment die Augen. Nur zu real wurde das Geschehen von damals vor ihm lebendig während er davon erzählte.

Nachdem er sich wieder gefasst hatte, fuhr er fort: „Nachdem man Jesus an das Kreuz geschlagen hatte, reichte ihm jemand mit einem Ysop Zweig Essig. Jesus starb am gleichen Tag, an dem im Tempelvorhof die Paschalämmer geschlachtet wurden. Weil man die Gefangenen nicht über dem Festtag am Kreuz hängen lassen wollte, brach man ihnen die Beine, damit sie schneller starben. Jesus jedoch war schon gestorben. Ihm brach man die Beine nicht. Man ließ ihn unversehrt. So wie es bei den Paschalämmern üblich war. Einer der Soldaten stieß mit seiner Lanze in Jesu Seite und ich sah, wie daraus Blut und Wasser flossen.“ Aus Johannes Augen rannen jetzt Tränen. Trotzdem erklärte er weiter: „In dem Moment, in dem Jesus starb, riss im Tempel der Vorhang, der das Allerheiligste vom Volk trennte, entzwei. Jesus ist das einzig wahre Paschalamm. Sein Tod hat die Opferlämmer der Juden abgelöst. Durch das Blut, das Jesus vergossen hat, hat er die ganze Welt erlöst und von ihrer Schuld und Sünde befreit.“

„Ich glaube, jetzt verstehe ich das“, murmelte Marcus verwirrt und betroffen.

Johannes lächelte den jungen Mann gütig an. Er verstand, dass er ihm viel zum Nachdenken gegeben hatte. Trotzdem erklärte er weiter: „Wenn wir Eucharistie feiern und das gebrochene Brot sehen, ist das so als würden wir alle zusammen auf Golgota bei Jesus unter dem Kreuz stehen. Dann wäscht uns Jesu heiliges Blut rein von aller Schuld und Sünde. Wir erfahren Anteil an seiner Erlösung. Deshalb ist diese Feier für uns so wichtig. Sie verbindet uns jedes Mal ein wenig tiefer mit Jesus Christus und bereitet uns auf die endgültige Begegnung mit ihm vor.“

Marcus nickte. Darüber musste er erst mal nachdenken.

„Lass uns ein wenig ausruhen“, schlug Johannes vor, der vom vielen Erzählen und von den Erinnerungen müde geworden war. Selbst nach dieser langen Zeit, machte es ihn immer noch unendlich traurig an die letzten Tage Jesu in dieser Welt zurück zu denken.

„Ja“, stimmte Marcus zu. „Gute Nacht“, murmelte er und wusste doch, dass er noch lange nicht würde einschlafen können.

„Gute Nacht“, gab Johannes müde zurück und fragte sich dabei, wie lange sein alter Körper diesen Zustand in Gefangenschaft noch würde aushalten können.

kath.net-Buchtipp
Gehalten im Netz der Liebe Gottes
Ein Begleiter durch das Jahr
Von Andrea Christ
Taschenbuch, 152 Seiten
2018 Epubli
ISBN 978-3-7467-5656-1
Preis Österreich: 12.99 EUR

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