Die schiefe Ebene des jetzigen Pontifikats

26. November 2019 in Kommentar


Warum man den Protestbrief an Papst Franziskus unterschreiben kann - Ein Gastkommentar von Hubert Windisch


Regensburg (kath.net)
* Eigentlich möchte man es nicht glauben, wenn es nicht belegt wäre: Es war ein Heidenspektakel, das vor und während der Amazonassynode in Rom mit den Pachamamafiguren veranstaltet wurde. Am 4. Oktober in den Vatikanischen Gärten und am 7. Oktober im Petersdom wurden diese Abbilder heidnischer Gottheiten im Beisein von Priestern, Bischöfen, Kardinälen und vom Papst selbst gezeigt und verehrt, bevor sie in der Kirche Santa Maria in Traspontina aufgestellt wurden und von dort durch das mutige Eingreifen eines jungen katholischen Laien den Weg in den Tiber fanden.

* Die Rechtfertigungsversuche für dieses Treiben können nicht überzeugen. Zu sehr sind die heidnischen Konnotationen dieser Figuren bekannt. Es handelt sich im Endeffekt um einen Greuel, der im Heiligtum der Kirche aufgestellt wurde (vgl. 1 Makk 1,54). Es wiegt schwer, daß im Beisein eines Papstes derartiges passieren konnte. Wie sollen die einfachen Gläubigen, zu denen ich mich zähle, sich dagegen wehren können? Wie sollen Gläubige ihren Schmerz über solche Vorgänge zum Ausdruck bringen können, hinter denen die schiefe Ebene des Dokuments von Abu Dhabi aufscheint, auf der letztlich über kurz oder lang die Abwicklung der Einzigkeit und Einzigartigkeit unseres göttlichen Erlösers Jesus Christus vollzogen wird? Man läßt Christus wieder hängen, und die ideologischen Balken dazu werden fleißig gezimmert. Wie können die Gläubigen, die Christus und die Kirche lieben, ihre Stimme erheben, wenn die Hirten bis auf wenige Ausnahmen schweigen?

* Gott sei Dank gibt es im Schifflein Petri, das in schwere Seenot geraten ist, Laien, wie z. B. Maike Hickson oder Alexander Tschugguel, die in Wort und Tat für die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche eintreten und damit für die Wahrheit und Schönheit des mystischen Leibes Christi kämpfen. Wir sind im Status confessionis, und deshalb haben viele den Protestbrief unterschrieben, unter ihnen z. B. Nuntius em. Viganò, Weihbischof Mutsaerts, de Mattei, Henry Sire und viele andere bekannte Katholiken.

* Aber ist ein solcher Brief, der vom Papst eine Korrektur und Umkehr in bezug auf diese Vorgänge fordert, nicht ein Affront gegenüber einem Papst? Dazu muß man sagen, dieser Brief ist nicht leichtfertig, sondern aus großer Sorge um die Einheit und Identität der Kirche heraus verfaßt. Die um sich greifende Beliebigkeit bezüglich katholischer Lehre und Moral erzeugen Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeit unter den Gläubigen. Sie haben ein Recht, von Hirten geführt zu werden, die bei ihrer Weihe versprochen haben, „ das von den Aposteln überlieferte Glaubensgut, das immer und überall in der Kirche bewahrt wurde, rein und unverkürzt weiterzugeben“. Die Gläubigen haben ein Recht, in ihren Hirten Stellvertretern der Apostel zu begegnen, die „Lehrer des Glaubens, Priester des heiligen Gottesdienstes und Diener in der Leitung“ sein sollen (vgl. CIC c. 375 § 1).

* Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, zwischen Amt und Person einerseits und zwischen einem formalen und einem materialen, d. h. inhaltlichen Gehorsam andererseits zu unterscheiden. Gerade aufgrund der Wertschätzung des kirchlichen Amtes eines Priesters, Bischofs oder Papstes darf und muß man bisweilen die Taten oder Äußerungen der jeweiligen Amtsperson kritisieren. Denn die zweite, mit der ersten zusammenhängende Unterscheidung gibt den Gläubigen die nötige Freiheit im Gehorsam gegenüber ihren Hirten. Formaler Gehorsam muß sich nämlich immer auch materialiter (d. h. bezüglich der Lehre der Kirche in fide et moribus) begründen lassen. Ansonsten entsteht blinder Gehorsam, der Ausdruck von Willkür und Knechtung ist. Verbinden sich hingegen formaler und inhalticher Gehorsam stimmig miteinander, entsteht Freiheit. Ignatius von Loyola sagt einmal sinngemäß: Gehorsam ist ein Kind der Freiheit. Und unsere Freiheit ist Christus (vgl. Gal 5,1), nicht Pachamama. Wenn der Glaube der Kirche – festgelegt u. a. im Großen Glaubensbekenntnis – durch Worte oder Taten der Hierarchie, und sei es auch eines Papstes, verdunkelt wird, müssen und dürfen daher nicht nur Hirten und Theologen, sondern auch die Laien der Kirche deutlich Widerstand leisten.

Hubert Windisch ist Theologe und emeretierter Professor für Pastoraltheologie der Uni Freiburg


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