Kirchenaustritte: Was jetzt zu tun ist

20. August 2019 in Kommentar


„Die aktuelle Kirchenstatistik fordert eine Umkehr auf dem Synodalen Weg.“ Von Susanne Wenzel/Neue katholische Frauenbewegung


Bonn (kath.net/Neue katholische Frauenbewegung (NkF)) Im Juli wurde die aktuelle Kirchenstatistik für Deutschland veröffentlicht. Die Zahlen sind kein Grund zur Freude: Denn immerhin rund 216.000 Katholiken haben 2018 der katholischen Kirche den Rücken gekehrt und sind ausgetreten. Und es steht noch eine Studie aus Mai 2019 im Raum, die bis zum Jahr 2060 noch einmal einen Rückgang der Zahl der Kirchenmitglieder (derzeit 23.002.128) um gut die Hälfte prognostiziert.

Die Reaktionen hierauf sind völlig unterschiedlich und lassen teilweise nicht erkennen, dass ernsthafte Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der aktuellen Entwicklung besteht. Dies umso mehr, wenn etwa von einem „selbstkritischen und konstruktiven“ Umgang mit den Zahlen die Rede ist, gleichzeitig aber „Initiativen“ wie Maria 2.0 gelobt werden, die angeblich zeigen, „dass die Menschen sich Veränderungen in der Kirche wünschen“, oder wenn die Zahlen sogar als „Ansporn“ gewertet werden, den „Reformprozess“, den man mit dem Synodalen Weg beschreiten wolle, mutig weiter zu betreiben. Es sind also nach dieser Lesart die üblichen Themen wie Zölibat, Frauenpriestertum und die angeblich so „verstaubte“ Sexualmoral, welche die Menschen aus der Kirche treiben. Dabei sagt die Statistik über die konkreten Gründe für die Austritte gar nichts aus. Geht es wieder mal nur um die eigene Agenda? Von Selbstkritik und Konstruktivität ist da wenig zu spüren.

Aber es geht auch anders. Im Bistum Regensburg etwa gibt es bis Ende August ein „Austrittstelefon“. Von dort hört man so ganz andere Töne. Erst vor ein paar Tagen gab es ein Gespräch der „Tagespost“ mit Schwester Maria Benedikta Rickmann, die mit am Regensburger Austrittstelefon sitzt. Und da scheint es gar nicht so klar um die feministische Machtfrage, pardon, das Frauenpriestertum, oder gar die Abschaffung des Zölibates zu gehen, wie DBK und ZdK es darstellen. „Die Wünsche sind nicht so konkret“, formuliert Schwester Maria Benedikta Rickmann denn auch. „Es geht viel weiter in die Tiefe. Es ist jedenfalls nicht so, dass man sagt, wir schaffen den Zölibat ab und schon bleibt der Anrufer in der Kirche. Oft haben die Menschen auch sehr hohe Erwartungen an die Kirche. Sie soll eine Vorbildfunktion erfüllen, der sie aber nicht gerecht wird. Die Kirche wird nie perfekt sein. Es wird unter den Gläubigen auf der Erde immer wieder Unrecht und Verletzungen geben.“ Aha. Das klingt schon ganz anders. Es sieht also eher danach aus, dass die Menschen Orientierung suchen und eben nicht das Zeitgeistige. Und da ist es doch gerade die Kirche, die Orientierung bieten kann.

Der Synodale Weg wird beschritten werden. Das steht fest. Wie könnte er aber tatsächlich zu einer Chance für die katholische Kirche in Deutschland werden, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung? Die „hörende Kirche“, von der Papst Franziskus spricht – und auch Kardinal Marx –könnte tatsächlich glaubwürdig sein und Vertrauen zurückgewinnen, was allerorten als dringende Notwendigkeit beschrieben wird. Die Neue katholische Frauenbewegung hat es nach dem Brief des Papstes an die deutschen Katholiken schon gesagt: Es muss eine völlige Neuausrichtung des Gesprächsprozesses erfolgen. Wenn man den Brief von Franziskus ernst nimmt und eben nicht wie von Marx und Sternberg angekündigt nur „intensiv bedenken“ will. Wenn man die Gläubigen und die aktuellen Zahlen wirklich ernst nimmt. Das aber würde bedeuten, dass man über die inhaltliche Ausrichtung der vorgesehenen Foren gründlich nachdenkt. Der Brief des Papstes, über den ich schon in einem früheren Beitrag geschrieben habe, bietet allemal Anregungen dazu.

Da ist zum Beispiel das Forum „Priesterliche Lebensform“, zu dem die DBK sagte, sie wisse, dass Änderungen gefordert sind und man wolle herausfinden, wie weit der Zölibat zum Zeugnis des Priesters gehören muss.Wäre nicht die „Stärkung der priesterlichen Lebensform und des gottgeweihten Lebens“ ein richtigeres Forum? Über die Frage der Auswahl geeigneter Priesteramtskandidaten und den Zugang zu den Seminaren könnte man gleichzeitig etwas für die Missbrauchs-Prävention erreichen. Und auch über andere Formen des gottgeweihten Lebens sollte man sprechen. Denn auch diese Berufungen haben abgenommen.

Das Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ – übrigens das einzige Forum, dessen Besetzung angeblich noch nicht feststeht – hatte das ZdK gefordert. Es geht um das Frauendiakonat und die Priesterweihe von Frauen. Das Lieblingsthema der ewig gestrigen Feministinnen, die zuletzt mit „Maria 2.0“ auf ihre klerikalen Machtansprüche aufmerksam machen wollten und durch die die tatsächliche Rolle der Frau inzwischen vollkommen aus dem Blick geraten ist. Rom hat bereits entschieden und von der deutschen Teilkirche kann diese Frage nicht in die eigene Zuständigkeit gezogen werden. Deshalb wäre es sinnvoll, stattdessen ein Forum zum Thema „Berufung und Genius der Frau“ einzuberufen. Papst Paul VI. sagte es in seinem Schreiben an die Frauen zum Abschluss des II. Vatikanischen Konzils: „Die Stunde kommt, die Stunde ist schon da, in der sich die Berufung der Frau voll entfaltet, die Stunde, in der die Frau in der Gesellschaft einen Einfluss, eine Ausstrahlung, eine bisher noch nie erreichte Stellung erlangt.“ In der Tat soll man die Bedeutung der Frauen für die Gesellschaft nicht unterschätzen und Frauen haben eine einflussreiche Stellung in unserer Gesellschaft erlangt, das wird uns derzeit ja gerade in der Politik vor Augen geführt. Aber… Neulich fragte mich eine Frau: „Wo sind diese Frauen, von denen Papst Paul sprach? Zwar haben die Frauen in unserer Zeit eine Stellung erreicht, die sie noch nie erlangt haben, aber wo bleibt ihre Ausstrahlung?“

Gesellschaften, in denen Frauen – nicht einfach physisch, sondern die weiblichen Eigenschaften – fehlen, verändern sich nicht zum Positiven. In den westlichen Gesellschaften erleben wir das gerade, wo die Geschlechter negiert werden und damit auch deren – einander ergänzende – Rollen. Ich finde, dem kann die Kirche etwas entgegensetzen.

Kaum ein Papst hat über Frauen mehr reflektiert als der heilige Johannes Paul II.. In seinem Schreiben „Mulieris Dignitatem“ über die Würde der Frau, seinem „Brief an die Frauen“ und zahlreichen Ansprachen forderte er eine neue Betrachtung der Rolle der Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft. Nicht einen amazonenhaften, machthungrigen Feminismus, der danach strebt, die Frauen zu vermännlichen. Sondern eine Besinnung auf die Rolle der Mutterschaft, die ja nicht nur und ausschließlich im Sinne einer leiblichen Mutterschaft besteht, sondern auch im Sinne einer geistigen Mutterschaft, in der die Frauen sich ihrer Nächsten annehmen. Ein Forum könnte auf diese Fragen Antworten und Signale in unsere Zeit geben, die vielen Frauen helfen würden.

Und schlussendlich das Forum zur „Sexualmoral“, das die DBK einrichten will, weil „wichtige Erkenntnisse aus Theologie und Humanwissenschaften noch nicht rezipiert“ seien. Mit der Theologie des Leibes in praktischer Umsetzung würde man zeitgemäße Werte für die Sexualität vermitteln, ohne die Moralverkündigung auf dem Altar des Zeitgeistes zu opfern. Man muss sich nur darauf einlassen. Und bei vielen jungen Leuten in unserer Kirche wird gerade die Theologie des Leibes nicht als „verstaubt“ angesehen.

Aber es gibt ein wichtiges Thema, über das bislang gar nicht gesprochen und nur wenig geschrieben wurde: Die aktuelle Kirchenstatistik nennt Zahlen über die Sakramente der Taufe, der Ehe und der Kommunion sowie den sonntäglichen Messbesuch. Zahlen über die Anspruchnahme des Sakramentes der Buße und der Versöhnung aber werden gar nicht erst erhoben. Längst ist die Beichte aus vielen Gemeinden komplett verschwunden. Vor Ostern und vor Weihnachten finden die beliebten Bußandachten statt, selbstverständlich ohne Beichte… Und überhaupt macht heute jeder seine Sünden mit sich selbst ab und meint, Gott sei derartig barmherzig, dass er selbst die größte Ungerechtigkeit und den dicksten Schwindel noch vergibt und der Platz im Himmel quasi schon reserviert ist. Gott ist barmherzig, ja. Genau deshalb hat er uns Menschen ein Gewissen und die Beichte geschenkt.

Papst Franziskus ist eine Wiederbelebung der Sakramente, vor allem der Beichte und der Eucharistie, wichtig. So wichtig, dass er 2015 beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom bat, die Praxis der Sakramente zu erneuern in den Gemeinden. Und weil bislang nicht viel geschehen ist in dieser Richtung (aus Unwillen oder Unvermögen?), hat er nun seine Bitte an uns Katholiken in Deutschland in seinem Brief wiederholt. Das ist vor allem für uns die Aufforderung, unsere Hirten an ihre pastoralen Aufgaben zu erinnern. So zeugen z. B. zahlreiche Gebetsinitiativen und Initiativen etwa zur Eucharistischen Anbetung davon, dass in uns Gläubigen der Wunsch da ist, vor dem Altarssakrament unsere Anliegen vorzubringen oder einfach „nur Ihn anzuschauen und von Ihm angeschaut zu werden“. Wie kann den Menschen der Sinn der Beichte wieder vermittelt werden? Warum ist die Eucharistische Anbetung wichtig? Was bedeutet es überhaupt, an der Eucharistie teilzuhaben? Gibt es eine Ehevorbereitung, die diesen Namen auch verdient? „Maria 1.0“ hat völlig zu Recht ein Forum „Neuevangelisierung“ gefordert, krankt es doch in vielen Bereichen der Glaubensvermittlung in unserer Kirche.

Die Gespräche am „Austrittstelefon“ lassen ebenfalls erkennen, dass die Menschen eine Kirche zum Anfassen brauchen, die tatsächlich da ist und hört, ihnen Orientierung bietet. Die Kirche kann diese Orientierung geben. Sie wird zeitgemäße Formen der Vermittlung und der Kommunikation finden müssen dafür. Das ist nicht einfach, aber machbar. Dem sollten sich DBK und ZdK auf ihrem Synodalen Weg stellen. Dann könnte man gemeinsam gehen, wirklich synodal sein. Die Prognose über den Rückgang der Zahl der Katholiken in unserem Land bis 2060 ist nicht „unabänderlich“ soweit es nicht um demographische Entwicklung geht.

Noch ist es Zeit. Die Gespräche zum Ablauf und zur Feinabstimmung des Synodalen Weges laufen gerade erst. Was dieser Prozess nötig hat ist Umkehr. Umkehr von einem Irrweg, der – wird er stur weitergegangen, ohne die Realitäten einzubeziehen – die Kirche letztlich spalten und zu weiteren Austritten führen wird.


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