Aufarbeitung des Falls des laisierten Kardinals McCarrick?

21. Juni 2019 in Kommentar


Geschlagene vier Monate ist der frühere Erzbischof von Washington bereits laisiert, erst jetzt wird das Bischofswappen aus der Kathedrale entfernt – Missbrauchsaufarbeitung stagniert in den USA. Kommentar von Petra Lorleberg


Washington D.C. (kath.net/pl) Es ist tatsächlich ein Problem: Welche Bildsprache und welche Erinnerungskultur wählt man gegenüber einem laisierten Erzbischof und Kardinal? Das Erzbistum Washington muss sich dieser Frage stellen, denn der Ex-Kardinal Theodore McCarrick – einst einflussreich und bei Papst Franziskus geschätzt – fiel tief. Missbrauchsvorwürfe kleben an ihm in einer Menge, die dem Vatikan sogar die Laisierung ratsam erscheinen ließ. Seine Causa hat die US-amerikanische Kirche in eine tiefe Krise gestürzt, die noch in keiner Weise aufgearbeitet und überwunden ist. Auch die katholischen Gläubigen in Europa zeigen Wirkung: katholische Amtsträger sind mit einem derartigen Vertrauensvorschuss ausgestattet, dass wir uns als Kirche den Einfluss solcher Typen nicht leisten können. Wer unter den praktizierenden katholischen Gläubigen möchte ernsthaft unter der geistlich (und oft genug auch politisch Einfluss nehmenden) Leitung mafiöser und skrupelloser Typen stehen?

Erzbistum Washington arbeitet auf - aber zeitverzögert

Jedenfalls: Das Erzbistum Washington D.C. stellt sich diesem Problem – aber erkennbar zeitverzögert und ungeschickt. Geschlagene VIER Monate hat es gedauert, bis das Kardinalswappen des Erzbischofs von Washington nach seiner Laisierung aus seiner früheren Kathedrale entfernt wird. Und diese Information muss man einem Twitterzufallsfund entnehmen, denn eine Pressemeldung des Erzbistums scheint es bisher dazu noch nicht zu geben. Die US-amerikanische Katholikin Anna Harter dokumentiert die Arbeiten am früheren Bischofswappen mit Fotos (siehe unten).

Auch mit der Aufbereitung der Bischofschronik auf der Homepage des Erzbistums tut man sich schwer. Monatelang war dort noch eine einseitig ehrenhafte Biographie auf McCarrick zu finden gewesen, obwohl McCarrick da wegen der Länge und Schwere der Vorwürfe gegen ihn längst kein Kardinal gewesen war. Inzwischen hat das Erzbistum zu einer ernstzunehmenderen Darstellung auf ihrer Homepage gefunden. Denn natürlich ist auch Fakt: Ganz auslöschen kann man Missetäter McCarrick nicht aus der Bistumsgeschichte. Deshalb ist McCarricks Wappen nur noch stark verdunkelt angedeutet. Im Begleittext heißt es nun (kath.net übersetzt diesen Text ungekürzt): Theodore Edgar McCarrick war der fünfte Erzbischof von Washington, er war von 2001 bis 2006 im Amt. Im Februar 2001 wurde er zum Kardinal ernannt. Er legte dieses Amt im Juli 2018 nieder wegen des Vorwurfs des Fehlverhaltens während seiner Zeit, bevor er Erzbischof von Washington geworden war. Er wurde im Februar 2019 nach Abschluss eines kanonischen Gerichtsverfahrens durch die Kongregation für die Glaubenslehre aus dem Klerikerstand entlassen.“

Zu wenig Aufarbeitung?

Doch noch drängender als das Problem, wie sich das Erzbistum Washington nun an seinen früheren Erzbischof erinnern mag, ist folgender Punkt:
Blickt man auf die weitere Entwicklung in der Missbrauchskrise der US-amerikanischen katholischen Kirche, dann sieht man zu wenig Aufarbeitung. US-Katholiken nennen weitere Namen von Kardinälen, deren Vita und Lebensführung dringend kritisch untersucht gehört, darunter die Donald William Kardinal Wuerl (unmittelbarer Nachfolger McCarricks als Erzbischof von Washington) und Kurienkardinal Kevin Farrell, Präfekt des Dikasteriums für Laien, Familie und Leben.

Zumindest im Radar der Presseöffentlichkeit lässt sich hier nichts erkennen, im Gegenteil: der umstrittene Kardinal Farrell wurde Februar 2019 von Papst Franziskus ausgerechnet zum Kardinalkämmerer der Heiligen Römischen Kirche ernannt, das bedeutet, dass er während der nächsten Sedisvakanz für die Organisation des Konklaves und die Verwaltung des Heiligen Stuhls verantwortlich ist, er wird also die Staatsgeschäfte führen.

Unter den hohen Würdenträgern in McCarricks unmittelbarem Umfeld ist außerdem offenbar ein gravierender Mangel an korrekter Einschätzung in Krisensituationen zu verorten. Man habe nichts gesehen, oder man habe das nicht geglaubt. Man habe auch nur vereinzelt Gerüchte gehört. Kardinal Wuerl behauptet beispielsweise Mitte Januar 2019 in einem Brief an die Priester seines Bistums allen Ernstes, er habe die Vorwürfe massiven sexuellen Missverhaltens, die ihm über McCarrick zugetragen worden waren, „vergessen“: „Es ist mir wichtig, persönliche Verantwortung zu übernehmen und mich für diese Gedächtnislücke zu entschuldigen. Es gab nie eine Absicht, falsche Informationen zu liefern.“ Die Vorwürfe von 2004 gegen McCarrick und die Meldung an die Nuntiatur seien ihm inzwischen aber wieder „eingefallen“, kath.net hat berichtet.

Wo bleibt die Durchleuchtung der McCarrick-Protegées und der Schweigestrukuren?

Eine Untersuchung jener Geistlichen, die unter McCarricks schützender Hand Kirchenkarriere gemacht haben, wäre dringendst erforderlich und muss unbedingt öffentlich gemacht werden, um das schwer erschütterte Vertrauen der US-Katholiken wieder herstellen zu können. Die Zeit, in der eine öffentliche Entschuldigung gereicht hätte, ist längst vorbei.

Außerdem sollten alle kirchlichen Würdenträger, die Kenntnis von den Fehlverhalten McCarricks haben konnten, einer genauen kirchlichen Untersuchung unterworfen werden. Innerkirchlicher Artenschutz wäre angesichts des Ausmaßes der Missbrauchsverbrechen völlig unangebracht.

Verfolgt man nämlich die Meinungsäußerungen praktizierender US-Katholiken auf Twitter, dann lässt sich feststellen: diese Katholiken fühlen sich von ihrer Kirche massiv an der Nase herumgeführt. Eine Lösung ist – so der Tenor – nicht in Sicht, im Gegenteil kommt die Frage auf: War McCarrick vielleicht nur das Bauernopfer, das man seitens der Kirchenleitung erbracht hat, obwohl man die Grundprobleme in den eigenen Reihen nicht überzeugend angeht?

Petra Lorleberg auf Twitter folgen

Walked into the Cathedral of St Matthew like I do everyday and I see that @WashArchdiocese decided to remove McCarrick’s seal from the wall (next to the tabernacle) of previous archbishops of DC. 👏👏 pic.twitter.com/uIRwWNAf6s

— Anna Harter (@annaoharter) 19. Juni 2019


Erzbistum Washington DC. - Vollständige Vorstellung des früheren Erzbischofs Ex-Kardinal Theodore McCarrick auf der Bistumshomepage - Stand 21.6.2019


Erzbistum Washington DC. - Vollständige Vorstellung des ´früheren Erzbischofs Theodore McCarrick´ auf der Bistumshomepage - Stand 5.9.2018


Foto oben: Archivfoto - Papst Franziskus begegnet Kardinal McCarrick


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