Papst besucht ungarische Minderheit in Rumänien

1. Juni 2019 in Weltkirche


Franziskus feiert im Wallfahrtsheiligtum Sumuleu Ciuc in Siebenbürgen Gottesdienst auf Ungarisch, Rumänisch und Deutsch - Aufruf zu Versöhnung trotz schwieriger Vergangenheit. Die Predigt im Wortlaut


Bukarest (kath.net/KAP) Papst Franziskus hat seine Rumänienreise mit einem Besuch in Sumuleu Ciuc fortgesetzt. Die Stadt im Osten Siebenbürgens ist ein Zentrum ungarischsprachiger Katholiken. Seit dem 16. Jahrhundert ist Sumuleu Ciuc ein Marienwallfahrtsort der meist katholischen Ungarn. Unter den Kommunisten verboten, wurde die Wallfahrt ab 1990 wiederbelebt. Bei einer Messe mit Zehntausenden Gläubigen an der Wallfahrtsstätte Sumuleu Ciuc rief der Papst zu Versöhnung und Brüderlichkeit zwischen den verschiedenen Kulturen und Traditionen auf. Die Fürbitten wurden auf Ungarisch, Rumänisch und Deutsch vorgetragen.

Franziskus betonte, der Reichtum eines Volkes seien "seine tausend Gesichter, Kulturen, Sprachen und Traditionen". Dabei verwies er auf die rumänischen und ungarischen Traditionen des Wallfahrtsortes sowie die Beteiligung von Christen anderer Konfessionen. Damit sei Sumuleu Ciuc "ein Symbol des Dialogs, der Einheit und der Brüderlichkeit".

Der Papst rief zu Versöhnung trotz einer schwierigen Vergangenheit auf. Die Menschen dürfen sich "nicht die Brüderlichkeit rauben lassen von Gerde und Verletzungen, die Spaltung und Zersplitterung nähren". Zugleich sei es eine "Gnade", alte und gegenwärtige Feindseligkeiten und Misstrauen in Gemeinschaft verwandeln zu können.

Weiter ermutigte der Papst die Besucher des Wallfahrtsorts, die hauptsächlich gesellschaftlichen Minderheiten angehören, zu Offenheit und Zukunftshoffnung. "Pilgern heißt, nicht so sehr auf das zu schauen, was hätte sein können und nicht gewesen ist, sondern auf das, was uns erwartet und was wir nicht weiter aufschieben können." Dazu gehörten Solidarität, Brüderlichkeit sowie Streben nach dem Guten, Wahrheit und Gerechtigkeit.

Gott schaue auf den Schwachen, um die Starken zu zerstreuen, sagte Franziskus. Zugleich betonte er, es gelte zu "kämpfen, dass die, welche gestern zurückgeblieben sind, zu den Protagonisten von morgen werden und die Protagonisten von heute nicht morgen zurückgelassen werden".

Die Geschichte des Pilgerheiligtums von Sumuleu Ciuc reicht in das 14. Jahrhundert zurück und ist mit dem siebenbürgischen Heerführer Johann Hunyadi und seinem Kampf gegen die Osmanen verbunden. Im Mittelpunkt der religiösen Verehrung steht eine 500 Jahre alte und mehr als zwei Meter große gotische Holzstatue, Maria mit dem Jesuskind und Zepter. Sie wurde um 1515 für die Kirche der seit 1400 in Sumuleu Ciuc ansässigen Franziskaner geschaffen und ist angeblich die größte bekannte Gnadenstatue der Welt. Traditionell findet eine große Wallfahrt am Samstag vor Pfingsten statt. Die meisten Pilger sind Ungarn, Angehörige der größten Minderheit Rumäniens, oder aus dem Nachbarland selbst.

Die Anreise des Papstes am Morgen von Bukarest musste wegen schlechter Wetterbedingungen geändert werden. Die vorgesehene letzte Etappe mit einem Helikopter über die Gipfelkette der Ostkarpaten wäre nach Aussagen der Organisatoren wegen Gewitterzellen zu gefährlich gewesen. Daher musste der päpstliche Tross mit dem Flugzeug zunächst nach Targu Mures (Neuburg am Mures) fliegen und von dort rund 150 Kilometer mit dem Auto über Landstraßen anreisen. Das Areal des Gottesdienstes liegt auf einem Wiesenhang oberhalb der Wallfahrtskirche.

Am Nachmittag wird Franziskus im nordost-rumänischen Iasi unweit der Grenze zu Moldawien erwartet. Dort ist eine Begegnung mit Jugendlichen und Familien geplant. Am Abend kehrt das Kirchenoberhaupt nach Bukarest zurück.


kath.net veröffentlicht die Predigt von Papst Franziskus bei der heiligen Messe im Heiligtum von Şumuleu Ciuc (Schomlenberg):

Voller Freude und dankbar gegenüber Gott bin ich heute bei euch, liebe Brüder und Schwestern, in diesem geliebten Marienheiligtum, das reich an Geschichte und an Glauben ist. Wir kommen als Söhne und Töchter, um unserer Mutter zu begegnen und zu erkennen, dass wir Geschwister sind. Die Heiligtümer sind gewissermaßen die „sakramentalen“ Orte einer Kirche als Feldlazarett. Sie bewahren das Gedächtnis des gläubigen Volkes, das inmitten seiner Bedrängnisse nicht müde wird, die Quelle lebendigen Wassers zu suchen, wo die Hoffnung aufgefrischt wird. Es sind Orte der Freude und des Feierns, der Tränen und des Flehens. Ohne viele Worte treten wir hin zu Marias Füßen, um uns von ihr anschauen zu lassen. Sie möge uns mit ihrem Blick zu ihm führen, der »der Weg, die Wahrheit und das Leben« ist (Joh 14,6).

Wir machen das nicht irgendwie, sondern wir sind Pilger. Jedes Jahr am Samstag vor Pfingsten begebt ihr euch auf einer Wallfahrt hierher, um das Gelübde eurer Vorfahren zu erfüllen, um den Glauben an Gott zu stärken und die Verehrung der Gottesmutter zu vertiefen, die in der großen Holzstatue dargestellt ist. Diese jährliche Wallfahrt gehört zum Erbe Siebenbürgens; doch sie ehrt zugleich die rumänische wie die ungarische Tradition. Sie achtet auch die Gläubigen anderer Konfessionen und ist ein Symbol des Dialogs, der Einheit und der Brüderlichkeit. Sie ruft dazu auf, erneut einen Glauben zu bezeugen, der Leben geworden ist, und ein Leben, das sich zur Hoffnung macht. Auf Pilgerschaft sein heißt zu wissen, dass wir als Volk zu unserem Haus kommen; es bedeutet, dass wir uns bewusst sind, ein Volk zu sein.

Wir kommen als Volk, dessen Reichtum seine tausend Gesichter, tausend Kulturen, Sprachen und Traditionen sind. Es ist das heilige gläubige Volk Gottes, das mit Maria pilgernd unterwegs ist und die Barmherzigkeit Gottes besingt. Wie Maria in Kana in Galiläa sich bei Jesus dafür eingesetzt hat, dass er sein erstes Wunder vollbringe, so wacht sie als Fürsprecherin in jedem Heiligtum – sie wendet sich nicht nur an ihren Sohn, sondern auch an jeden von uns, dass wir uns nicht durch das Gerede und die Verwundungen, die Spaltung und Zersplitterung hervorrufen, unsere gelebte Brüderlichkeit rauben lassen. Die verwickelten und traurigen Geschichten der Vergangenheit sollen nicht vergessen oder geleugnet werden, aber sie dürfen auch kein Hindernis oder ein Argument dafür sein, das ersehnte brüderliche Zusammenleben zu verhindern.

Auf Pilgerschaft sein heißt sich gerufen und angespornt zu fühlen, gemeinsam voranzugehen und den Herrn um die Gnade zu bitten, früheren und jetzigen Groll und Argwohn in neue Gelegenheiten für die Gemeinschaft zu verwandeln; auf Pilgerschaft sein heißt sich von unseren Sicherheiten und Bequemlichkeiten zu lösen und die neue Erde zu suchen, die der Herr uns schenken will. Die Pilgerschaft fordert uns dazu heraus, den Geist zu entdecken und weiterzugeben, dass wir zusammen leben können und keine Furcht davor zu haben brauchen, uns zu vermischen, einander zu begegnen und zu helfen. Auf Pilgerschaft sein heißt an dieser etwas chaotischen Menge teilzuhaben, die sich in eine wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, die Geschichte schreibt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 87). Auf Pilgerschaft sein heißt nicht so sehr auf das zu schauen, was hätte sein können (und es nicht ist), sondern vielmehr auf all das, was uns erwartet und was wir nicht mehr aufschieben können.

Pilgern bedeutet, an den Herrn zu glauben, der kommt und in unserer Mitte ist und die Solidarität, die Brüderlichkeit und das Verlangen nach dem Guten, dem Wahren und der Gerechtigkeit fördert und anspornt (vgl. ebd., 71). Pilgern bedeutet, sich dafür einzusetzen und zu kämpfen, dass die, welche gestern zurückgeblieben sind, zu den Protagonisten von morgen werden und die Protagonisten von heute morgen nicht zurückgelassen werden. Und das, Brüder und Schwestern, erfordert das handwerkliche Tun, gemeinsam an der Zukunft zu arbeiten. Ja, dafür sind wir hier, um gemeinsam zu sagen: Mutter, lehre uns, die Zukunft zu entwerfen.

Wenn wir zu diesem Heiligtum pilgern, wird unser Blick auf Maria gelenkt und auf das Geheimnis ihrer Erwählung durch Gott. Sie war ein Mädchen aus Nazaret, einem kleinen Ort in Galiläa, am Rand des Römischen Reiches und auch am Rand Israels. Mit ihrem „Ja“ hat sie es vermocht, die Revolution der zärtlichen Liebe (vgl. ebd., 88) in Gang zu setzen. Das Geheimnis der Berufung seitens Gottes, der seine Augen auf den Schwachen richtet, um die Starken zu zerstreuen, treibt und ermutigt auch uns, so wie sie, wie Maria „Ja“ zu sagen, um die Pfade der Versöhnung einzuschlagen.

Brüder und Schwestern, vergessen wir nicht: Wer etwas wagt, den enttäuscht der Herr nicht. Gehen wir voran, gehen wir gemeinsam voran, wagen wir etwas. So lassen wir zu, dass das Evangelium der Sauerteig ist, der alles zu durchdringen vermag und unseren Völkern die Freude der Erlösung schenkt. Tun wir das in Einheit und Brüderlichkeit.




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