Ein Gebetsfrühstück ODER wenn die Koalition nach wie vor funktioniert

28. Mai 2019 in Österreich


Wenige Stunden nach der Absetzung von Kanzler Kurz versammelten sich im österreichischen Parlament 40 Parlamentarier sowie Persönlichkeiten von zahlreichen Kirchen zu einem ungewöhnlichen Frühstück – Von Roland Noé - Viele Videos


Wien (kath.net/rn)
Wer hätte das gedacht: Mitten in der größten Krise der österreichischen Innenpolitik findet im Herzen der österreichischen Politik, dem Parlament, ein Gebetsfrühstück mit 250 Teilnehmern statt. Dort, wo sich wenige Stunde zuvor noch einige Parteienvertreter verbal zerfetzt und Bundeskanzler Sebastian Kurz abgesetzt haben, entsteht wenige Stunden eine Atmosphäre im Hohen Haus, die zeigt, dass für nicht wenige Parlamentarier es noch andere Werte gibt und die ÖVP-FPÖ-Koalition (mit Mitwirkung einer SPÖ-Parlamentarierin) auf einer anderen Ebene noch besteht.

Zu Beginn der Veranstaltung, die von ÖVP und FPÖ finanziert wurde, bedankte sich der Hausherr des Parlaments, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei den Organisatoren, Gudrun Kugler (ÖVP) und Christian Ragger (FPÖ), die gemeinsam die Veranstaltung moderierten. Ragger erinnerte zuvor daran, dass zwar die Koalition zerplatzt, man aber trotzdem noch gute Freunde sei. Sobotka lobte Kugler für ihre Beharrlichkeit und kam dann zurück auf die aktuellen politischen Entwicklungen. „Wir haben keine Staatskrise“, betonte der Präsident. Die Zeiten seien aber schwierig, die Politik habe laut Sobotka einen „großen Erklärungsbedarf“. „Die Politik kann nicht alles. Und dessen sind wir auch uns bewusst, dass es Jemand gibt, der uns lenkt, der uns führt.“ Seinen Impulses beendete Sobotka mit Psalm 23.

In einem Grußwort erzählte anschließend Bernd Rützel von der SPD vom Gebetskreis Freitagmorgens im Deutschen Parlament, wo er regelmäßig dabei ist. Dort seien alle Konfessionen vertreten, dort stehe einer in der Mitte, dieser sei der „beste Medienberater“ und „personalerater“, Jesus Christus. Er frage sich oft: „Was hätte Jesus jetzt getan. Sich davon leiten zu lassen, macht ein Stück frei und Stück unabhängig.

Altabt Gregor Henckel-Donnersmark legte dann die Bibel zum Thema „Liebt eure Feinde“ aus. „Überlegen Sie sich mal, wann Sie für den politischen Gegner gebetet haben“, fragte der Alt-Abt vom Stift von Heiligenkreuz die Parlamentarier.

Die wichtigste Rede hielt dann Prof. Manfred Lütz. Er sei angesichts der politischen Situation in Österreich von der großen Gelassenheit der Österreicher begeistert, betonte er und begann dann das Thema „Christentum und Geschichte“ auszulegen. „Die Christen schämen sich in der Regel für die eigene Geschichte, ohne diese zu kennen.“ Lütz erinnerte hier beispielsweise, dass Toleranz eine christliche Erfindung sei. Anschließend kritisierte Lütz den „Entschuldigungs-Wahn“ in der Kirche. „Sie können inzwischen fast jeden deutschen Bischof nachts wecken und ihn bitten, sich für etwas zu entschuldigen. Er entschuldigt sich sofort und schläft weiter.“ Angesichts der Diskussion um das „christliche Abendland“ erinnerte Lütz an folgendes: „Christlich ist das, was in 2000 Jahren Christen als christlich verstanden haben.“ Der Theologe betonte in dem Zusammenhang, dass Christentum keine Privatsache sei.

Musikalisch wurde das Gebetsfrühstück vom Kinderchor KISI gestaltet, der Lieder mit biblischen Texten in deutscher, englischer und hebräischer Sprache vortrug.

Die Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler erklärt als Hauptverantwortliche für die Organisation des Gebetsfrühstücks das Anliegen des Treffens mit folgenden Worten in einer Aussendung am Dienstag: „Beim Gebetsfrühstück geht es um Brückenbauen über Parteigrenzen hinweg: Raum auch für Freundschaft und ein Miteinander ohne politische Agenda. Dies trägt zu einem respektvolleren Umgang im politischen Alltag und bei Nationalratssitzungen bei.“

„Authentischer Glaube und Gottesbeziehung sind gerade in Zeiten einer zunehmenden Säkularisierung für die Gesellschaft etwas Wesentliches, tragen zu Zusammenhalt und Konfliktlösung bei“, so Kugler. Die Organisatoren betonten die Wichtigkeit des gemeinsamen Gebets inmitten der politisch turbulenten Situation: „Der fraktionsübergreifende Charakter des Gebetsfrühstücks schafft in Zeiten wie diesen eine nicht zu unterschätzende Gesprächsbasis.“

Die Tradition des parlamentarischen Gebetsfrühstücks entstand vor über 60 Jahren in den USA, wo seit Dwight D. Eisenhower die amerikanischen Präsidenten – Demokraten wie Republikaner – daran teilnehmen. Inzwischen fand es europaweite Verbreitung. Sowohl im Deutschen Bundestag als auch im Europäischen Parlament findet seit Jahren regelmäßig ein Gebetsfrühstück statt. Ähnliche Treffen gibt es auch in Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Moldawien, Rumänien, Mazedonien, in der Ukraine und der Slowakei.

Seit 1981 gibt es im österreichischen Parlament eine ähnliche Initiative im kleineren Kreis zu Austausch und Gebet. Begründet wurde dieses Gebetsfrühstück, an dem ParlamentarierInnen aller Fraktionen teilnahmen, von den ehemaligen Abgeordneten Josef Höchtl und Andreas Karlsböck. In Österreich wurde 2019 das Gebetsfrühstück von ÖVP und FPÖ finanziert.

Exklusive Grußwort von Gudrun Kugler für kath.net



Rede von Prof. Lütz



Rede von Nationalratspräsident Sobotka



Grußwort vom SPD-Abgeordneten Bernd Rützel:


KISI – Happy Day


KISI - Gebetsfrühstück in Wien - 28. Mai 2019 - Shema Yisrael und Großer Gott




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