Mietnomaden im Hause Gottes

16. April 2019 in Kommentar


Oder: Wie der Geist von 68 in der Kirche heimisch wurde - UPDATE: "Müssen denn Kirchen abbrennen um zur Besinnung zu kommen?" - Gastkommentar von Helmut Müller


Vallendar (kath.net) Paul VI. hätte vom "Rauch Satans" im Hause Gottes gesprochen. Aber nach diesen Kategorien denken Kritiker des Papstes, em. nicht mehr. Wie von einer Tarantel gestochen melden sie sich jetzt zu Wort. Ich nenne sie „Mietnomaden“ und benutze weitere säkulare Metaphern, in denen allein sich ihre kirchliche Wirklichkeit wohl noch abspielt.

Nach der eruptiven Wortmeldung aus dem Kloster Mater ecclesiae in den vatikanischen Gärten, war von dieser weder in den „heute Nachrichten" um 19 h noch in der „ARD Tagesschau" um 20 h etwas zu hören, dafür weltweit umso mehr ebenfalls eruptiv in online Redaktionen von Zeitungen und Internetportalen. Um in der Metapher des Hauses zu bleiben, haben doch einige getroffene Hunde vor dem Haus gebellt, das sie als ihr Territorium zu verteidigen suchen. Denn Benedikt appelliert ganz klar, dass in der Kirche Gott letztlich Hausherr ist und nicht irgendeine autonome Vernunft, sei sie theoretisch oder praktisch. Deren kommunikativer Bezug zum Hausherrn ist schwierig. Eine Kommunikation über Naturrecht läuft gar nicht mehr und Offenbarung ist häufig nur noch eine Ausleuchtung eben dieser Vernunft; gar nicht zu reden von der Kommunikation mit den Verwaltern des Hauses. Weil das so ist, beginnt diese sich so autonom begreifende Vernunft alle Hausordnungen selbst zu schreiben. Jeder wird als vormodern verbellt, der diese Vernunft in Frage stellt. Allerdings ist sie erst gut 200 Jahre alt. Von „mein Wille geschehe“, war bei Jesus nie die Rede, und wir beten auch jetzt noch „Dein Wille geschehe“. Wie auch immer, von Verwaltern des Hausherrn jedenfalls lässt man sich nicht mehr dreinreden, zumal wenn solche 92 Jahre alt und in Pension sind. Dazu kommt, dass diese Vernunft den eigentlichen Hausherrn als schwer zugänglich in „seinem Himmel" lässt und ihn dort ruhig stellt. Der eine oder andere Prophet dieser Vernunft ist nicht einmal mehr sicher, dass es Gott angesichts des Elends der Welt überhaupt gibt.

So gesehen, sind mit der Wortmeldung Benedikts dann tatsächlich zwei Welten aufeinandergeprallt, die vorgeben, im gleichen Haus zu wohnen und die eine die andere gar nicht mehr versteht: Hätte er doch den Mund gehalten, hört man allenthalben. Oder: Er lenkt von dem eigenen Versagen ab, obwohl selbst im Spiegel letzten Jahres zu lesen war, dass dieser Papst in seinen 8 Amtsjahren 800 Priester eben aus diesem Haus verbannt hat. Geräuschloses Aufräumen wird wohl in seinem Fall als Vertuschen missverstanden. Weitere Vorwürfe: Er vergisst die Opfer. Aber das ist leider zum immer wiederkehrenden Mantra seiner Gegner geworden. An Opfer wird vorwiegend gedacht, wenn der Täter katholisch ist. Wenn es um den ideologiekonformen Missbrauch an der Odenwaldschule geht, ist das höchstens eine Woche in der Presse präsent. Weiterer Vorwurf: Er schiebt den 68ern alles in die Schuhe, obwohl doch übergriffig gewordene Prälaten alles andere als typische 68er seien und selbst in intakten katholischen Milieus Missbrauch stattfindet. Und überhaupt, die vormoderne Denkweise dieses Papstes, die ewiggestrige Sexualmoral seien doch der eigentliche Grund des Missbrauchs.

Als vom Jahrgang her gerade schon 68er, muss ich dem Papst beipflichten. Ich kann mich noch genau erinnern, dass selbst das Leben in unserem kleinen Dorf erschüttert worden ist, als 1963 das "Schweigen" von Ingmar Bergmann lief und in Nachbarorten zu sehen war. Ich muss nicht erwähnen, dass unser Dorf nicht voll von Existenzphilosophen war, die das Zeug gehabt hätten, den Sinn von „Schweigen" zu verstehen. Die vielleicht 90 Sekunden Geschlechtsverkehr und der Busen der Hauptdarstellerin waren es, was den einen oder anderen (vermutlich heimlich) in den Nachbarort oder weniger heimlich 40 Minuten weiter nach Saarbrücken trieb. (Ich hatte den Film 30 Jahre später gesehen.)

Wenn es Kleriker gab, die bis dahin ihre sexuellen Neigungen noch im Griff hatten, kann da nicht mit „Schweigen“ der Gedanke einhergegangen sein und gleichzeitig mit dem beginnenden Konzil: Jetzt wird die Sexualmoral erneuert und ich lebe sie schon vorweg? Ist das so abwegig? Viele denen es lieber gewesen wäre, Benedikt hätte geschwiegen, waren noch gar nicht auf der Welt, als „Schweigen“ in die Kinos kam und können gar nicht nachvollziehen, dass so etwas den Missbrauch forciert haben könnte. Bezeichnend ist der Vorwurf der Protagonistin darin an ihre kranke Schwester: "Du mit Deinen Vorstellungen, die im Ewigen gründen". Eine das pralle Leben Darstellende und sich den Mann von der Straße Holende redet so zu einer Dahinsiechenden! Kleriker sind ja nicht dumm und könnten inspiriert worden sein, der Körper pochte eh darauf, eine (Un)Moral der Zukunft vorweg zu leben.

„Schweigen“ war damals der Dammbruch, der dann eine unsägliche Schlammflut nach sich zog mit Oswald Kolle, den Schulmädchen-, Hausfrauen- und Sekretärinnenreporten, alles in Dauerschleife. Und das soll keinen Einfluss gehabt haben? Als allmählich in die Pubertät kommender Jugendlicher habe ich es an mir selber gespürt, wie verheerend das war. Vermutlich schreiben einige aufgrund ihres Alters über diese Jahre wie Blinde über Farben. Das bemerkt man auch an der Mini-Serie Ku’damm 56, in die das 68er-Denken als spiritus rector wie implantiert wirkt. Übrigens Benedikt sagt ja nicht, dass es vor dieser Zeit keinen Missbrauch gegeben hätte.

Wenn das alles "auf der Straße" vor dem Hause Gottes geschehen ist, ist es da geblieben? Nein, es ist in das Haus eingedrungen. Der Zeitgeist jedenfalls dringt in die Seelen der Menschen (auch in katholischen Milieus), wie der Rauch des Wirtshauses in die Kleider. Erst zu Hause angekommen riecht man, wie man stinkt. Mittlerweile gibt es immer weniger Räume, in denen das Stinken noch wahrgenommen werden kann. Das sei zur Entschuldigung jüngerer Zeitgenossen gesagt.

Zu unserer aller Zerknirschung und der beider Päpste, ist tatsächlich Schlimmes geschehen. Aber es darf doch nachgefragt werden, ob die mangelnde Kommunikation mit dem Hausherrn, nämlich mit Gott, nicht ein erheblicher Grund des Missbrauchs durch seine Diener gewesen ist, wenn „auf der Straße" der "Teufel los ist“ und einige mehr nach draußen schauten als im Herrgottswinkel beteten? Diese Gottesvergessenheit benennt Benedikt, wenn er Theologien kritisiert, die mehr am Katheder stehen als in Kirchen knien.

Kirche ist zudem ein Haus, das wir nicht selbst gebaut haben, sondern in das jeder von uns eingezogen ist. Mittlerweile leben wir darin mit Mietnomaden, die es schätzen, dass der Hausherr möglichst weit von ihnen weg wohnt, am besten in seinem Himmel bleibt. Überhaupt die ganze sakrale Architektur nervt sie nur noch. Warum sonst geht man zu Soziologen, Politologen, Demoskopen, McKinsey und Humanwissenschaftlern, um letztere sozusagen als „Baubiologen“ eines neuen Hauses zu konsultieren? Man könnte doch im eigenen Hause eine Theologie des Leibes konsultieren! Und dann kommt da ein 92jähriger daher, der noch mit einem Plumpsklo groß geworden ist (ich übrigens auch), womöglich hat noch eine Gewitterkerze auf dem Dachboden bei Unwettern gebrannt, und der will uns weiter wohnen im Altbau schmackhaft machen? Da soll man nicht zum Mietnomaden werden!

Mit den 68ern sind wohl auch diese Mietnomaden eingezogen, vermüllen das Haus Gottes mit ihrem gescheit daherkommenden Gedankenmüll, der so problematisch ist, dass kein Herrgottswinkel, kein Hausheiligtum, vielleicht auch kein Kreuz, ein Weihwasserkessel schon gar nicht mehr, in dieses Haus passt. Der reine Stilbruch! Weihrauch im Hause Gottes wird nur noch als gesundheitsschädlicher Feinstaub wahrgenommen. Sicher, Reformen mussten kommen, das Konzil hat sie gebracht, aber der Geist von 68 hat ihrer Umsetzung nicht gut getan. Selbst Böckle nannte damals Zahlen von 40 Prozent für eine natürliche Empfängnisregelung, feierte aber die 60 Prozent dagegen. Zahlen von denen wir heute träumen! Was wäre geworden, wenn die 40 Prozent von Seinesgleichen gefeiert worden wären? Dann wäre er nicht im Fernsehen gekommen, wie er eine Montagsvorlesung einmal mit sichtbarem Stolz begonnen hatte: „Ich bin im Fernsehen gekommen.“ Aber uns ist ja nicht verheißen worden, dass wir ins Fernsehen kommen, sondern dass wir wohl eine kleine Herde sind.

Das kirchliche Lehramt hat seit langer Zeit schon nicht mehr die Kraft gegen dieses Mietnomadentum vorzugehen. Das will Benedikt wohl auch andeuten. Hans Küng und Eugen Drewermann konnte man noch mit der Hausordnung konfrontieren und sanktionieren. Heut ist es umgekehrt: Leute mit einer Theologie von Benedikt kommen nicht einmal mehr auf eine Berufungsliste an der Universität. Das Nihil obstat wird nicht mehr vom Bischof vergeben, sondern von einer Berufungskommission, in der, wenn es um theologische Institute geht, auch Atheisten sitzen. Übrigens: Während meines ganzen Theologiestudiums in Bonn bin ich keinem einzigen Ratzingertext in Vorlesung und Seminaren begegnet.

Drewermann ist dann tatsächlich zu seinem 60. Geburtstag ausgezogen. Aber wohin mit den Mietnomaden? Es gibt andere Strukturen des Christlichen ohne Weihwasser und Weihrauch. Warum ziehen sie nicht dort hin? Wo soll unser einer bleiben, der den Altbau mag? Und Johannes Hartl zeigt mit seinem Gebetshaus, dass da auch noch jede Menge Jugendliche einziehen. Und weil immer wieder von Homosexualität die Rede ist, hier noch ein passendes Wort von einem Homosexuellen, nämlich von Oscar Wilde, das so treffend ist wie es dieser Tage nur sein kann. Er meinte einmal vor mehr als hundert Jahren: Die katholische Kirche ist eine Kirche der Sünder und Heiligen. Für die anständigen Menschen genügt die anglikanische. Und er ist dann auch auf dem Sterbebett noch katholisch geworden. Heute ist die anglikanische Kirche gesellschaftlich kaum noch wahrnehmbar. Aber genau eine solche wünschen sich genannte Mietnomaden, eine Vernunftkirche, nicht einmal eine von Anständigen, wie sie Oscar Wilde noch in der Anglikanischen vorschwebte.

Dort und anderswo werden alle Wohnqualitäten angeboten, die man im römisch-katholischen Altbau vermisst. Aber anziehend sind diese anderen Häuser des Christlichen nicht, mit Ausnahme von Freikirchen. Aber genau da wollen katholische Mietnomaden gerade nicht hin. Ansonsten sind bisher aus Kirchen der Reformation noch mehr Menschen ausgezogen als aus dem Altbau. Allerdings gibt es seit geraumer Zeit in Deutschland eine Ökumene des gemeinsamen Schrumpfens. Die Spanne zwischen den Austrittszahlen wird kleiner. Ich kenne übrigens eine Lösung für Mietnomaden. Das Wohnmobil. Denn da kann man problemlos dem Zeitgeist hinterherziehen. Und auf dem Campingplatz ist man dann auch mit anderen zusammen.

Update:
Der Brand von Notre Dame erschüttert nicht nur ganz Frankreich. In der französischen Revolution wurde Notre Dame in Tempel der Vernunft umgewidmet und darin eine Göttin der Vernunft verehrt. Wie Mietnomaden Wohnungen verwüsten, verwüsten Theologien, in denen Vernunft groß geschrieben und Glauben klein geschrieben wird, den Glauben der Kirche. Sie brennen ihn regelrecht aus und lassen nur Glaubens- und Gebetsruinen, Strukturen der Anständigkeit und Wahrheiten übrig, die man meint, Zeitgenossen zumuten zu können. Müssen denn Kirchen abbrennen um zur Besinnung zu kommen?

kath.net-Buchtipp:
Zeitgerecht statt zeitgemäß
Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist
Von Helmut Müller
Hardcover, 244 Seiten
2018 Bonifatius-Verlag
ISBN 978-3-89710-790-8
Preis Österreich: 15.40 EUR

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Symbolbild: Petersdom, der Morgennebel wabert um die Kuppel


Foto (c) Paul Badde


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