Patriarch Sako: Islam braucht dringend "religiöses Update"

9. April 2019 in Weltkirche


Patriarch mahnt bei internationaler Tagung im Stift Heiligenkreuz Trennung von Religion und Politik in muslimischen Staaten an - Iranische Friedensnobelpreisträgerin Ebadi: Kein Platz für archaische muslimische Vorschriften im 21. Jahrhundert


Wien (kath.net/KAP) Der Islam braucht dringend ein "religiöses Update" und die Muslime einen Mentalitätswandel, damit sie Angehörige anderer Religionen nicht länger als zweitrangig betrachten und behandeln. Das hat der chaldäische Patriarch Kardinal Louis Raphael Sako bei einer internationalen Tagung im Stift Heiligenkreuz einmal mehr eingemahnt. Allein in den vergangenen 15 Jahren hätten aufgrund des islamistischen Terrors, aber auch aufgrund der alltäglichen Gewalt gegen bzw. der Diskriminierung von religiösen Minderheiten rund eine Million Christen den Irak verlassen, so Sako. Nicht einmal mehr eine halbe Million sei verblieben. "Nicht alle Muslime sind fanatisch, aber die antichristliche Mentalität ist durchgängig verbreitet", sagte der Patriarch.

Sako bekräftigte einmal mehr seine Forderung nach der Trennung von Religion und Politik in muslimischen Staaten. Egal ob Muslim oder Christ, jeder sei zuerst Bürger eines Landes mit gleichen Rechten und Pflichten, so der Patriarch. Diese Sicht müsse vor allem auch in den schulischen Lehrplänen verankert werden, um eine neue Generation in diesem Sinn zu bilden.

Den Islam sah der Patriarch in einer großen inneren Krise. Ohne Erneuerung, wozu etwa auch eine moderne Koran-Exegese gehört, die von der buchstabengetreuen Auslegung Abstand nimmt und die religiösen Texte in die Gegenwart überträgt und interpretiert, habe der Islam keine Zukunft, zeigte sich Sako überzeugt: "Wir haben allein im Irak bereits eine Million junge Muslime, die sich als nicht gläubig bezeichnen; und zwar als Folge von islamistischem Fundamentalismus und Terrorismus." Bei seinem letzten Besuch in der nordirakischen Metropole Mosul während des Ramadan seien nicht nur alle Geschäfte, sondern auch die Restaurants tagsüber offen gewesen, "und die Leute haben gegessen, was eigentlich streng verboten ist". Auch das ist für den Patriarchen ein Zeichen der inneren Krise des Islam.

Zugleich ortete Sako auch positive Anzeichen der Verständigung zwischen Muslimen und Christen; sogar in Mosul. Die Stadt war 2014 vom IS eingenommen worden, allerdings auch schon davor ein Zentrum des islamischen Extremismus mit zahlreichen Anschlägen auf Christen gewesen. Seit der Rückeroberung 2016 scheuten deshalb auch die einstigen christlichen Bewohner die Rückkehr. Gerade deshalb habe er vor Kurzem in Mosul einen Gottesdienst als Zeichen der Hoffnung gefeiert und um die Christen zur Rückkehr zu ermutigen. Dabei sei die Kirche ausschließlich von Muslimen vorbereitet und geschmückt worden, hob der Patriarch hervor.

Sako war einer der Hauptredner bei der Fachtagung "Frieden bedeutet mehr als 'Nicht-Krieg' - Im Krieg ist Wahrheit das erste Opfer", die am vergangenen Wochenende von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz im Stift Heiligenkreuz veranstaltet wurde. Weitere Referenten neben dem Patriarchen waren u.a. Serge Brammertz, Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs in Den Haad, die iranische Juristin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi und der Historiker Peter Wiesflecker.

Patriarch Sako nutzte seinen jüngsten Österreich-Aufenthalt auch dazu, die chaldäischen Gemeinden in Wien und Linz zu besuchen und mit den Gläubigen Gottesdienst zu feiern. In Österreich leben knapp 200 chaldäische Familien.

Plädoyer für modernen Islam

Shirin Ebadi plädierte in ihrem Vortrag wie auch der chaldäische Patriarch für die Trennung von Religion und Staat in muslimischen Ländern. Einige Staaten wie Tunesien seien auch schon in diese Richtung unterwegs, viele andere - Ebadi führte dies am Beispiel ihres Heimatlandes Iran bzw. auch an Saudi Arabien aus - noch weit davon entfernt. Im Iran seien die Christen als religiöse Minderheit zwar einerseits in gewissem Rahmen staatlich anerkannt, zugleich seien vielfältige zivil- und strafrechtliche Diskriminierungen auch schon in der Verfassung verankert. Andere religiöse Minderheiten wie die Bahai hätten überhaupt keine Rechte. Und auch Muslime würden unter den strikten Regelungen leiden. Derzeit würden sich rund 300 ehemalige Muslime, die zum Christentum übergetreten sind, wegen dieses Delikts in Haft befinden.

Es sei ihre tiefste Überzeugung, so die im Londoner Exil lebende Friedensnobelpreisträgerin, dass es für archaische Regelungen im Koran bzw. der Scharia im 21. Jahrhundert keinen Platz geben dürfe. Viele moderne Muslime würden so denken. Zugleich wolle sie dafür danken, dass sie als Muslima im Stift Heiligenkreuz ihre Ansichten vortragen können, sagte Ebadi. Mehr Dialog und Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Christen sei dringend notwendig.

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